Hamburg. D.H.W. Schultz & Sohn deckte Rathaus, Michel und Hotel Atlantic ein. Mit Isabel Matthiessen steht erstmals eine Chefin an der Spitze.
Der Firmenname ist etwas sperrig und sagt wohl nur den wenigsten etwas. Aber die meisten Hamburgerinnen und Hamburger haben schon mal unter einem Dach gestanden, das Handwerker von D.H.W. Schultz & Sohn gedeckt haben. Rathaus, Michel, Landungsbrücken, Dammtorbahnhof, Hotel Atlantic, die Hapag-Lloyd-Zentrale – die Liste der Bauwerke liest sich wie ein Auszug aus der Hamburger Geschichte. Gerade arbeiten sie im Auftrag der HHLA in der Speicherstadt an Block M26.
„Wir sind der älteste Handwerksbetrieb der Stadt“, sagt Geschäftsführerin Isabel Matthiessen. 1726 war Gründer Mathias Mettlerkamp in Altona für das „Bleydecker-Gewerbe“ eingetragen worden. Quasi als Urvater der bekannten Kupferdächer Hamburgs. Fast 300 Jahre später hat jetzt zum ersten Mal eine Frau das Sagen in der Männerdomäne.
Matthiessen neue Geschäftsführerin des Handwerkbetriebs
Der Firmensitz des traditionsreichen Unternehmens liegt versteckt in einem Gewerbegebiet in Stellingen. Ein Zweckbau, funktional und ganz ohne Patina. Einziger Hinweis auf die lange Unternehmenshistorie ist im Treppenhaus das Porträt von Albert Christian Wilhelm Schultz, Enkel von Namensgeber Diederich Wilhelm Hieronimus Schultz und Leiter der Ersteindeckung des Hamburger Rathauses 1894. Isabel Matthiessen hat an diesem Februartag dafür keinen Blick übrig, mit schnellen Schritten marschiert sie in die Werkstatt.
Auf einem Arbeitstisch liegen lange Kupferbleche. Gerade schieben Meister Mario Zunk und der Auszubildende Leonard Ernst das erste in eine sogenannte Kantbank, um es in die richtige Form zu bringen. „Jedes Dach ist anders, und jedes Teil muss einzeln ausgemessen und angepasst werden“, erklärt die D.H.W.- Geschäftsführerin. Später am Tag verlegen die Handwerker die vorgeformten Einzelteile auf ihrer Baustelle, sodass sie Regen und Wind keine Angriffsfläche geben. „Das ist wie ein Puzzle, nur aus Blech“, sagt Mario Zunk und grinst. Das Traufeinhangblech, wie es in der Fachsprache heißt, ist für das Dach einer Villa in Blankenese.
Isabel Matthiessen: „Die ersten Monate waren hart“
Isabel Matthiessen führt seit einem Jahr die Geschäfte bei D.H.W. Schultz & Sohn. Die 44-Jährige hatte den Posten von außen kommend übernommen, nachdem der renommierte Betrieb mit den Sparten Dachdeckerei, Haustechnik, Feuer- und Blitzschutz nach mehreren Führungswechseln in die Krise gerutscht war. „Erst mal haben die Männer schon geguckt, dass da plötzlich eine Frau stand und ihnen sagte, wo es langgeht“, sagt sie. „Und zwar eine, die aussieht wie eine Frau.“ Statt Fassonschnitt und Blaumann trägt die Chefin die Haare lang, liebt enge Jeans und perfekt manikürte Fingernägel. Die Skepsis war groß.
„Die ersten Monate waren hart“, sagt Matthiessen. Aber die gebürtige Lübeckerin mit langjähriger Erfahrung im Metallgewerbe ist keine, die sich leicht unterkriegen lässt. Am zweiten Tag stand sie mit auf dem Dach und fuhr Gabelstapler. Dann hatte D.H.W. gerade mal acht Wochen nach ihrem Arbeitsbeginn den ersten Corona-Fall. Ein Mitarbeiter, der aus den Skiferien im österreichischen Ischgl zurückgekommen war. Es wurde Matthiessens Feuerprobe als Chefin. „Wir haben das gut hinbekommen“, sagt sie. Wie alle in der Firma trägt sie eine Maske – immer.
Handwerker konnten trotz Corona weiterarbeiten
Während viele andere Unternehmen massiv unter den Auswirkungen der Pandemie leiden, konnten die Handwerker von D.H.W. Schultz & Sohn den Hamburgern auch im Corona-Jahr weiter aufs Dach steigen. Unter den Aufträgen: der denkmalgeschützte Speicherblock M26/27 am Sandtorkai, den die HHLA gerade zu einem Bürospeicher umbauen lässt, der Wohnpark Trabrennbahn Farmsen und diverse Schulneubauten. „Wir waren nicht vom Lockdown betroffen, hatten weder Kurzarbeit noch
Umsatzeinbußen“, sagt Betriebswirtin Matthiessen, die parallel zum laufenden Geschäft die Strukturen des Handwerksbetriebs modernisierte.
„Wir haben innerhalb von zwölf Monaten den Laden um 180 Grad gedreht.“ Es gibt jetzt Abteilungsverantwortliche, Kostenstellen und auch die Ausbildung wurde ausgebaut. Um den Corona-Hygiene-Standards zu genügen, hat Matthiessen zwei neue Transporter angeschafft, auf den Baustellen weitere Sanitärbereiche aufgebaut und bei jedem Beschäftigten morgens Fieber messen lassen.
Umsatz im Corona-Jahr auf 5,4 Millionen Euro gestiegen
Matthiessens erstes Jahresergebnis kann sich sehen lassen. D.H.W. konnte den Umsatz im Corona-Jahr auf 5,4 Millionen Euro steigern und ist aus den roten Zahlen raus. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs auf 45, weitere werden gesucht. Anfang Februar haben zwei weitere Azubis angefangen. Der wichtigste Unternehmensbereich ist auch 295 Jahre nach der Gründung die Dachdeckerei. Oder die Bauklempnerei, wie es formal richtig heißt. Das hat nichts mit dem Sanitärbereich zu tun, sondern bezeichnet in der Nachfolge der Bleydecker die Verarbeitung von Metallen wie Kupfer oder Aluminium beim Dachdecken.
Nach der Eintragung in das Hamburger Handwerker-Register 1726 – möglicherweise gab es den Betrieb sogar schon vorher – hatte Mathias Mettlerkamp immer mehr Aufträge an Land gezogen und damit das Ansehen der Familie vermehrt. 1770 errichtete der Sohn des Gründers den ersten Blitzableiter auf dem Turm der Jacobikirche in der Hamburger Altstadt. Als der Nachfahre in der dritten Generation 1814/15 in der Bürgergarde für die Befreiung gegen die napoleonischen Truppen kämpfte, benannten die Hamburger Stadtväter sogar eine Straße nach ihm: den Mettlerkampsweg in Hamm-Nord.
Patent: Schultz’sches Patentdach
Schon in den Jahren vor Verkauf des Betriebs an die Familie Schultz 1866 waren die Bereiche Sanitär und Heizung dazugekommen. In den Gründerjahren ging es unter der neuen Leitung Schlag auf Schlag: 1878 deckte das Unternehmen das Dach der Hauptkirche St. Petri, 1885 folgte St. Gertrud, 1894 nach dem Großen Brand das Hamburger Rathaus. Allein im Jahr 1900 weist die Firmenchronik knapp 40 Aufträge aus, unter anderem baute D.H.W. „am Hamburger Hauptzollamt mit, am Central-Gefängnis in Fuhlsbüttel und an der Villa Direktor Ballin in der Badstraße“.
Bis heute lagern im Firmentresor Zeitungsausschnitte von spektakulären Arbeitseinsätzen wie der aus dem Jahr 1933, als ein Handwerker im Hamburger Anzeiger auf der Spitze der Hauptkirche St. Katharinen zwischen Himmel und Erde die Wetterfahne ausbesserte – „112 Meter über der Straße“. Auch viele Patente sind erhalten, etwa für das Schultz’sche Patentdach von 1880, das sich die Hamburger auch in den USA hatten schützen lassen. Im ersten Stock, wo auch Chefin Matthiessen ihr Büro hat, hängen einige der Zeitdokumente an den Wänden. Das Geschäft der Vergangenheit ist die Basis für die Zukunft.
Stadt vertraut Handwerksbetrieb D.H.W.
„Wenn in der Stadt an einem bekannten Bauwerk etwas getan werden muss, werden wir eigentlich immer gefragt“, sagt die Geschäftsführerin. Dabei ist D.H.W. inzwischen auch Hersteller für Brandschutzanlagen, unter anderem haben der HVV, die Messehallen und das HSV-Stadion Anlagen von dem Traditionsbetrieb installiert. Auch am BER in Berlin und im Frankfurter Vorzeige-Hochhaus One steckt die Technik der Hamburger. „Bislang war der wichtigste Umsatzbringer immer die Dachdeckerei“, sagt sie. Inzwischen holen die anderen Sparten auf.
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Isabel Matthiessen hat einen Plan. Dazu gehört auch, weitere Frauen ins Unternehmen zu holen. Eine Dachdeckerin gibt es noch nicht, aber die Abteilung Brandschutz leitet eine Frau. Inzwischen hat sie auch die ersten E-Autos angeschafft.
In 5 Jahren wird Handwerksbetrieb D.H.W. 300 Jahre alt
„Es ist doch eine schöne Vorstellung, dass ein Unternehmen, das mit Pferdefuhrwerken angefangen hat, künftig emissionsfrei unterwegs ist.“ Die fünf Gesellschafter hat sie hinter sich. Übrigens auch Familie Schultz, die bis heute Anteile an D.H.W. Schultz & Sohn hält. „Kontinuität ist für das Unternehmen wichtig“, sagt Matthiessen. Die erste Frau an der Spitze hat dabei die nächsten fünf Jahre im Blick. Auf der Internetseite werden Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zum 300. Geburtstag gezählt – es sind heute noch 1893 Tage.