Hamburg. Der Chef des Geldhauses Donner & Reuschel und des Hamburger Bankenverbands über die schwierige Lage der Branche.

Es sind spannende Zeiten für die Branche, in der Marcus Vitt arbeitet: Er ist seit 2010 Vorstandssprecher des Privatbankhauses Donner & Reuschel mit Sitz in Hamburg und München, gleichzeitig ist er amtierender Vorstandsvorsitzender des Bankenverbands Hamburg. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Lage der Bankenlandschaft, die Digitalisierung, die Defizite des Bildungssystems und überhöhte Bewertungen am Aktienmarkt.

Herr Vitt, als Vorstandsvorsitzender des Bankenverbands Hamburg hätten Sie beinahe ein Mitgliedsinstitut verloren – wenn es zu der Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank gekommen wäre. Wie lange bleibt es nun ruhig, was die beiden Marktführer angeht?

Marcus Vitt: Vermutlich nicht lange, denn es besteht ganz klar Konsolidierungsbedarf: Wir haben zu viele Banken in Deutschland.

Was wird nach Ihrer Einschätzung nun geschehen?

Eine der beiden deutschen Großbanken dürfte durch einen deutlich profitableren Wettbewerber aus dem europäischen Ausland übernommen werden.

Werden wir in einem Jahr mehr wissen?

Das wird schneller gehen.

Aber wäre der von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) favorisierte Zusammenschluss der beiden großen Frankfurter Geldhäuser nicht doch eine gute Lösung für die Exportnation Deutschland gewesen?

Ich halte nicht viel von politischem Einfluss auf die Bankenlandschaft. Wir haben alle gesehen, dass dies bei den Landesbanken nicht gut funktioniert hat. Außerdem gehe ich davon aus, dass sich bei einer Fusion von deutschen Großbanken zu große Klumpenrisiken im Kreditbestand ergeben würden.

Müssen Sie als Banker fürchten, dass in den nächsten Jahren Internetkonzerne immer mehr Bankdienstleistungen übernehmen?

In den Basisleistungen ist das Geschäft durch die Standardisierung tatsächlich immer austauschbarer geworden – und dies macht es Branchenfremden mit moderner IT leichter, hereinzugrätschen. Es gibt da allerdings ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Für uns Banken besteht das Geschäftsmodell nicht darin, die Daten unserer Kunden zu vermarkten. Wir wissen, dass diese Daten hochsensibel sind, und gehen entsprechend damit um. Dazu brauchen wir keine Datenschutzgesetze. Besser wäre ohnehin eine umfassende Digitalisierungsstrategie – und da hat Deutschland noch erheblichen Nachholbedarf.

Was fehlt Ihnen denn hierzulande in dieser Hinsicht?

Ich war gerade in Estland, wo praktisch alle Schulen an eine landesweite Bildungsplattform angeschlossen sind. Das ist eine Art digitales Klassenbuch, das alle Schüler, Lehrer und Eltern miteinander vernetzt. So können bestimmte Leistungsschwächen gezielt und schnell erkannt und angegangen werden – und Estland hat im jüngsten PISA-Test hervorragend abgeschnitten. Das ist schon beeindruckend. So etwas würde ich mir auch für uns wünschen. Übrigens will Schleswig-Holstein demnächst ein ähn­liches System einführen. Generell halte ich es aber für sinnvoller, wenn im Bildungssektor nicht jedes Bundesland seinen eigenen Weg geht.

Immer wieder fordern Unternehmer, dass in den Schulen ein Fach „Wirtschaft“ flächendeckend eingeführt wird. Wie stehen Sie dazu?

Es muss nicht unbedingt ein eigenes Fach sein. Ich halte es aber schon für wichtig, dass den Schülern gewisse Grundprinzipien der Daseinsvorsorge frühzeitig nahegebracht werden. Ebenso wichtig wäre es, ganz konkret über Chancen und Risiken der Digitalisierung zu sprechen. Kinder und Jugendliche müssen zum Beispiel wissen: Wenn ich mir ein Spiel auf den Computer oder das Smartphone herunterlade, dann werden meine Nutzerdaten vom Spieleanbieter verkauft.

Auch in der Bankenbranche hält die künstliche Intelligenz Einzug. Wird der Kunde künftig nicht mehr von einem Menschen, sondern von einem Automaten beraten?

Ich halte davon nicht viel. Denn im Austausch mit Menschen kommt man zu besseren Ergebnissen. Das hat viel mit Empathie zu tun. Eine Maschine hat dieses Einfühlungsvermögen aber nicht.

Und wie steht es mit Abläufen „hinter den Kulissen“? Kann die künstliche Intelligenz treffendere Kreditentscheidungen fällen?

Das mag im Massengeschäft ganz gut funktionieren. Donner & Reuschel ist aber eher so etwas wie eine Maßmanufaktur. Aufgrund unseres Zuschnitts können wir mit kurzen Entscheidungswegen punkten.

Alle Privatbanken klagen über die erhebliche Zunahme der Bürokratie durch die seit Anfang 2018 geltende neue Europäische Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die für mehr Transparenz in der Wertpapierberatung sorgen soll. Welche Auswirkungen spüren Sie?

Auch bei uns haben sich die Kunden mit Wertpapierumsätzen seitdem stärker zurückgehalten. Es scheint allerdings, dass die Abneigung gegen die nun vorgeschriebene Aufzeichnung aller Gespräche mit den Beratern besonders in Deutschland und in Österreich so ausgeprägt ist, in anderen Ländern scheint man damit nicht so ein großes Problem zu haben. Ohne Zweifel trägt die Richtlinie aber dazu bei, dass sich das Geschäft von der Vermögensberatung immer stärker in Richtung der Vermögensverwaltung verschiebt, bei der der Kunde uns die einzelnen Investmententscheidungen überlässt. Aufgrund der Zusammenarbeit mit einem FinTech-Unternehmen können wir jedoch eine App anbieten, über die unsere Kunden rund um die Uhr auf dem gleichen Informationsstand über ihr Portfolio und die Märkte sein können wie die Kundenbetreuer bei uns. Für Kunden, die nicht nur in liquide Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen investieren möchten, bieten wir weiterhin eine individuelle Vermögensberatung gegen ein Honorar an.

Wie hoch ist das Beratungshonorar, welche Anlagen sind im Angebot – und wie viel Geld muss man mitbringen, um davon profitieren zu können?

Das Honorar liegt etwas oberhalb von einem Prozent. Wir vermitteln hier unter anderem Risikokapital-Beteiligungen, wobei unser Produktpartner zuletzt eine Jahresrendite von mehr als 50 Prozent erzielte, Investments in Patente oder in Windparks. All diese Angebote entwickeln wir nicht selbst, das überlassen wir den jeweiligen Spezialisten. Wir verstehen uns da als unabhängiger Produktprüfer. Für diese Form der Vermögensberatung sollte ein Anlagebetrag von ungefähr einer halben Million Euro zur Verfügung stehen, das ist aber keine harte Grenze.

Betreiben Privatbanken nicht eine Umverteilung des Vermögens in der Gesellschaft von unten nach oben, indem sie Reiche noch reicher machen?

Das mag vordergründig so aussehen, trifft aber nicht die Tatsachen. Worauf es ankommt, um Vermögenszuwächse erzielen zu können, ist eine intelligente Anlagestrategie. Das erfordert eine sehr intensive Beschäftigung mit den Märkten. Wir nehmen uns die Zeit dafür, weil es unser Geschäft ist. Aber auch ein Privatanleger, der nicht sehr vermögend ist, kann im Prinzip eigenständig sehr gute Anlageergebnisse erzielen. Allerdings erfordert das eine Risikobereitschaft, die in der Regel mit Erfahrung gekoppelt ist. Außerdem haben wir exklusiv in Kooperation mit der Schweizer Privatbank Globalance einen Fonds im Programm, der erfolgreich in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen investiert und der schon ab einem Betrag von 10.000 Euro gezeichnet werden kann.

Donner & Reuschel ist in der Vermögensverwaltung für die Kunden traditionell stark aktienorientiert. Wie ist man durch das Jahr 2018 gekommen, in dem der Deutsche Aktienindex (DAX) um 18 Prozent nachgab?

Das kommt darauf an, welchen Aktienanteil ein Kunde in seinem Portfolio maximal zulässt. Bei einem Anteil von 100 Prozent betrug der Wertverlust weniger als vier Prozent, denn wir haben die Aktienquote rechtzeitig vor den kräftigen Kursrückgängen gegen Jahresende heruntergefahren – schon Anfang Dezember lag sie bei Null. Im bisherigen Verlauf des Jahres 2019 haben wir sie aber stufenweise wieder heraufgesetzt, aktuell sind wir bei 87,5 Prozent.

In den zurückliegenden Monaten sind einige Börsenneulinge aus dem Internetsektor mit enorm hohen Bewertungen auf dem Aktienmarkt gestartet, etwa der Fahrdienst-App-Anbieter Uber. Er hat seit der Gründung bisher Verluste von umgerechnet sieben Milliarden Euro angesammelt, wird durch die Börse aber dennoch auf einen Wert von 62 Milliarden Euro taxiert. Erinnert das nicht an die unseligen Zeiten des Neuen Marktes?

Verglichen mit solchen Unternehmen scheinen profitable Konzerne wie Google oder Amazon fast schon der „Old Economy“ anzugehören. Und während deren Marktbewertungen nachvollziehbar sind, muss man sie bei Firmen, die nachhaltig hohe Verluste schreiben, schon stark hinterfragen. Da ist etwas aus den Fugen geraten.

Wie hat sich das Geschäft bei Donner & Reuschel im Jahr 2018 entwickelt?

Uns hat geholfen, dass Kredite an Unternehmenskunden und professionelle Immobilienfinanzierer sehr stark gefragt waren. Damit konnten wir die Bilanzsumme von 4,1 Milliarden auf 4,3 Milliarden Euro steigern. Das verwaltete Vermögen nahm um rund acht Prozent auf 24,4 Milliarden Euro zu. Aber 2018 war das schwierigste Börsenjahr seit zehn Jahren, und das hat auch uns belastet. Der Nettogewinn ist von 3,7 Millionen auf rund 2,3 Millionen Euro gesunken. Dabei muss man berücksichtigen, dass uns die Liquiditätshaltung angesichts der Negativzinsen pro Jahr rund 20 Millionen Euro kostet. Bundesweit ist die Mitarbeiterzahl um 37 auf 475 Beschäftigte zurückgegangen, weil wir bei den Beratern eine Qualitätsauslese vorgenommen haben.