Hamburg. Der 62-Jährige arbeitet hier nicht nur, er fotografiert auch leidenschaftlich aus seiner Containerbrücke. Tausende sind begeistert.
Es sind maritime Einblicke, die nur von oben möglich sind. Außerdem muss man mittenmang sein. Wie sieht der Laderaum eines Containergiganten von innen aus? Welchen Blickwinkel ermöglicht eine Ankerwinsch? Und welchen Eindruck macht die Schiffsbrücke eines Ozeanriesen – auf Augenhöhe mit dem Kapitän? Atemberaubende Ansichten. Wenn man verdammt nah dran ist. So wie Manfred Bull.
Der Containerbrückenfahrer, die Familie seit Generationen Hamburger, machte aus seinem Hafenberuf ein Hobby. Was der gebürtige Altonaer nach seiner Lehre zum Maler und Lackierer als unständiger Kaiarbeiter 1979 mit dem Verladen von Kaffee- und Zuckersäcken begann, setzte er auf Kränen und Brücken fort. Der berufliche Blick auf die einmalige Welt der Schiffe und Schuppen faszinierte ihn so sehr, dass er irgendwann zur Kamera griff.
So blickt ein Manfred Bull auf den Hamburger Hafen
2009 folgte die Idee, andere an seiner Begeisterung teilhaben zu lassen. Aktuell gucken Tausende zu, wenn Manfred Bull seine Fotos ins Internet stellt. Eine von ihm organisierte Facebook-Gruppe, die er einst dümpelnd übernahm, hat 26.800 Mitglieder. Der offizielle Name ist Programm: „Wenn Du Schiffe, Häfen und Mee(h)r liebst, dann...“. An Bord sind Schifffahrtsbegeisterte aus aller Herren Länder, sogar aus Australien und den USA. Hamburg ist der Heimathafen. Mehr als ein Grund also für einen Lokaltermin mit einem Hanseaten mit Hamburgs Hafen im Herzen. Und der nicht nur darüber redet, sondern dort seit 41 Jahren im Einsatz ist.
Als Treffpunkt vereinbaren wir den Strandkiosk Ahoi in Övelgönne, direkt am Elbufer. Vis-à-vis des Burchardkais in Waltershof nehmen wir Platz. Auf der anderen Seite des Stroms sind Bulls Kollegen emsig beschäftigt, Containerschiffe zu beladen oder zu löschen. Die gewaltigen Hebezeuge rangieren vor und zurück. 1988 erwarb Bull bei Lehrgängen in Rotterdam und Hamburg die Berechtigung, Transportgeräte mit Riesenkräften passgenau zu dirigieren. Etwa 70 dieser gigantischen Containerbrücken gibt es im Hafen Hamburg.
Vier Stunden am Stück darf Bull auf der Brücke verbringen
Bull & Kollegen sitzen in ihren Kanzeln in 35 bis 50 Meter Höhe. Die 110 Meter langen Ausleger, die „Laufkatzen“, lassen sich 75 Meter nach vorne ausfahren. Mit Joysticks lenken die Profis Tragrahmen („Spreader“). Sobald die vier Befestigungen verriegelt sind, signalisiert ein rotes Licht in der Führerkabine: Hoch mit dem Container. Mehrere Monitore helfen bei dieser filigranen Schwerstarbeit. Durch den verglasten Boden und Seitenscheiben haben die Containerbrückenfahrer zusätzlich Überblick. An den Seiten der Kanzel befindet sich ein Balkon. Eine Bühne wie geschaffen zum Fotografieren.
Mehr Hafen geht nicht. Das war Manfred Bull von Anfang an klar. Schon Großvater Wilhelm und Vater Hans waren Hafenarbeiter. Als Buttje pflegte Manfred mit dem Rad von daheim in Altona zum Bananenschuppen im Freihafen zu fahren. Diese Faszination begleitete ihn lebenslang. Arbeitgeber ist die Gesamthafenbetriebsgesellschaft. Im Auftrag der Hamburger Hafen und Logistik AG ist Manfred Bull auf den Terminals Altenwerder, am Burchardkai sowie am Unikai im Schichtbetrieb aktiv. Nach 40 Jahren im Job stand 2021 ein Senatsfrühstück an. Eigentlich. Doch verhinderte Corona diese Ehrung. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
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„Der Hafen ist mein Leben“, sagt der 62-Jährige bei Milchkaffee und einem Croissant am Strand. Es klingt keinesfalls kitschig – sondern inbrünstig. Auf der Elbseite gegenüber tobt der Hafenalltag. Bull nimmt lieber mit dem Rücken zu den Containerterminals Platz. Macht ihn sonst ganz kribbelig, wenn er die Kollegen bei der Maloche sieht. Dabei ist doch erst morgen um sieben wieder Schicht am Burchardkai. Vier Stunden am Stück dürfen die schwindelfreien Mitarbeiter auf ihrem Spezialsitz in der Kanzel am Hebel sitzen. Schlaucht sonst zu sehr. Die andere Zeit sind sie Einweiser an Deck.
Manfred Bulls Fotografien begeistern internationale Fans
Hier wie dort ergeben sich Einblicke in die Hafenwelt, die nur wenige kennen. Anfangs hielt Manfred Bull besondere Motive mit einem herkömmlichen Fotoapparat inklusive Filmspule fest, später mit seinem i-Phone. In seiner Freizeit hat Bull kleine und große Digitalkameras am Mann, mit Teleobjektiv. Er fotografiert Sonnenuntergänge mit Hintergrund, Hafenkulissen bei Tag und Nacht, bizarre Kräne in Nebelschwaden, skurrile Silhouetten, Containerberge, Ladeszenen oder Kommandobrücken. Via Facebook lässt er Menschen zugucken, die nicht so nahe herankommen. Die Begeisterung für diese besonderen Bilder ist international. Im Laufe von zwölf Jahren speicherte er rund 120.000 Motive – sortiert in diversen Alben.
Das Echo ist enorm. In Manfred Bulls Facebook-Forum geht’s hoch her. Leidenschaft für Häfen und Schiffe, nicht nur in Hamburg, verbindet Menschen. Bisher organisierte der Containerbrückenfahrer mit dem Faible für Fotos vier Gruppentreffen. Anfangs auf der „Lisa von Lübeck“, zuletzt an Bord der „Cap San Diego“. 500 Seelenverwandte waren an Bord, als es 2019 hieß: Leinen los! Für eine Tombola hatte Organisationschef Bull ein Jahr im Hafen getrommelt und für eine Tombola Preise im Wert von 23.500 Euro mobilisiert.
Jeder Tag im Hamburger Hafen bringt Spannung
Apropos „Cap San Diego“: Zum Museumsschiff pflegt Manfred Bull eine traditionelle Bindung. Früher arbeitete Vater Hans als Oberlademeister auf dem 1961 gebauten Stückgutfrachter. Und weil sich die Passion des Sohnes im Hafen herumsprach, trat die Geschäftsführung des Schiffs an den fotografierenden Hafenarbeiter heran. Seitdem ist Bull Ehrenbotschafter der „Cap San Diego“. Den gibt‘s nur einmal. Er kümmert sich um Werbung, Sponsoren und den guten Ruf. Nach seinem Ruhestand Ende Mai 2023 will der heute 62-Jährige sein Engagement ausbauen.
Bis dahin ist eine Menge zu tun. In luftiger Höhe auf der Brückenkanzel ebenso wie beim Fotografieren. Denn in mittlerweile 41 Jahren als Arbeiter in Hamburgs Hafen hat Manfred Bull erfahren: Jeder Tag bringt Spannung. Immer wieder anders, immer wieder neu.
Freiraum für Träume bleibt. Fotos auf einem Flugzeugträger, das wäre was. Und im Hubschrauber oder Heißluftballon über den Hamburger Hafen. Wer oben ist, sieht anders.