Hamburg. Kapuzenpulli statt Jackett, T-Shirt statt Bluse – selbst manche Chefinnen und Chefs sind im Job jetzt gekleidet wie beim Zelten.

Auf den ersten Blick ist es keine ganz große Veränderung, aber sie zeigt einen Wandel. Für die Wiedereröffnung nach knapp drei Monaten Corona-Lockdown hat der Herrenmodehändler Wormland in der Europa Passage nicht nur die neue Saisonware in Regale geräumt und auf Bügel gehängt, sondern auch im Laden umgebaut. Für klassische Anzüge gibt es jetzt weniger Platz als früher.

„Wir haben die Flächen komprimiert“, sagt Filialleiter Armin Louis Nur. Weil viele Menschen seit einem Jahr ganz oder teilweise von zu Hause arbeiten, Geschäftsreisen entfallen und Videokonferenzen die Besprechungen im Büro ersetzen, ist auch die Kleidung in vielen Berufen weniger formell geworden. „Es geht eindeutig weg vom konventionellen Business-Outfit mit zwei blauen Anzügen, einem schwarzen und einem hellen im Schrank“, sagt Nur.

Dresscode in Hamburger Büros: Pulli und T-Shirt

Das war auch schon vor der Pandemie so, aber der Trend hat jetzt noch mal einen ordentlichen Schub bekommen. Inzwischen verkauft Wormland häufiger Hosen, Shirts und Hemden, die sich sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Freizeit tragen lassen. „Der Auftritt in der Geschäftswelt wird legerer“, sagt Nur.

Pulli und T-Shirt statt Jackett und Bluse. Was bislang in vielen hanseatischen Unternehmen undenkbar war, ist inzwischen der modische Normalfall. Nicht mal Bankenchefs binden im Homeoffice noch eine Krawatte um, sondern schalten sich schon mal im Kapuzenpulli in eine Videokonferenz. Peinliche Ausreißer, wie sie während des ersten Lockdowns zu sehen waren, passieren inzwischen kaum noch.

Lernkurve im Umgang mit Kleidung und Frisuren

„Der Umgang mit Kleidung und Frisuren im Homeoffice führte zu einer Lernkurve, über die ich auch heute noch schmunzeln kann“, sagt Eva van Pelt, Co-Vorstandsvorsitzende der Eppendorf AG. Das Abendblatt hat nachgefragt, wie sich das Arbeiten von zu Hause auf die Kleiderordnung in Hamburger Firmen auswirkt. Um es vorwegzunehmen: Wie locker es am Heimarbeitsplatz zugeht, bleibt zumeist den Mitarbeitern überlassen. Und selbst in Unternehmen, die ihr konservatives Erscheinungsbild pflegen, sind die Regeln jetzt weniger strikt.

„Einen expliziten Dresscode für Videokonferenzen gibt es nicht“, heißt es bei der Versicherungsgruppe Signal Iduna. Bei großen digitalen Veranstaltungen seien Vorstände und Mitarbeiter aber längst nicht mehr ausnahmslos in Anzug und Kostüm erschienen, sagt Unternehmenssprecher Bennmann. Ähnlich wie bei internen Videokonferenzen zeige sich auch bei Kundenberatungen durch den Außendienst eine größere Bandbreite von Anzug mit Krawatte bis hin zum Pullover oder Strickjacke.

Hanse Merkur: Homeoffice in legerer Kleidung

Ganz ähnlich die Bilanz bei der Hanse Merkur Krankenversicherung. „Es ist zu beobachten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice gelegentlich legerer als im Büro erscheinen“, sagt Sprecherin Gabriele Rolfes. Anders sei es bei digitalen offiziellen Anlässen oder Meetings mit Externen. „Dafür kleidet man sich dem Anlass entsprechend.“

Die Hamburger Sparkasse, die schon vor fünf Jahren unter dem Motto „Gute Beratung braucht weder Anzug noch Kostüm“ die Krawattenpflicht aufgehoben hatte, setzt ebenfalls auf das richtige Gespür bei den Mitarbeiten, wenn es um den eigenen digitalen Auftritt geht. „Gesonderte Regeln gibt es nicht“, sagt der stellvertretende Pressesprecher André Grunert. Wenn jemand den ganzen Tag keinen Kundenkontakt hat, sei alles erlaubt. Sobald die Kamera bei Beratungsgesprächen angeschaltet ist, gelten die gleichen Regeln wie in Filiale und Büro. „Das ist eine Frage der Seriosität.“

Business-Dresscode für Kundentermine

Auch die Berenberg Bank toleriert bei internen Terminen und Videokonferenzen jetzt Poloshirt oder Pullover. Im echten Leben ist das bei dem Geldhaus am Neuen Jungfernstieg mit 400-jähriger Tradition kaum vorstellbar. „Für Termine mit Kundenkontakt halten wir unseren üblichen Business-Dresscode ein“, sagt Sprecherin Sandra Hülsmann. Selbst wenn die Begegnung nur virtuell ist – zumindest obenrum bleibt das konservative Erscheinungsbild gewahrt.

Zum Thema Jogginghose äußert sich die ehrwürdige Hamburger Institution nicht. Dabei ist die Renaissance der Schlabberhosen zum Symbol des Corona-Ausnahmezustands geworden. Nach einer Umfrage im Auftrag des Branchenverbands Bitkom, die den Wandel in der Arbeitsbekleidung belegt, trägt jeder Dritte (35 Prozent) Jogginghose beim Video-Anruf mit Vorgesetztem, Kunden oder Kollegen.

Jeder sechste Hamburger in Schlafanzughose vorm PC

Jeder sechste (17 Prozent) sitzt danach sogar in Schlafanzughose vorm Monitor. Dass Männer auch gern in Unterhose im Homeoffice arbeiten, ist allerdings offenbar ein Gerücht. Nur vier Prozent der Befragten bestätigten das. Allerdings: Laut der Befragung legen Frauen (zwei Drittel) mehr Wert auf eine gutes Erscheinungsbild als Männer. Wenn eine wichtige Videokonferenz ansteht, ziehen sich 63 Prozent der Frauen um – aber nur 46 Prozent der Männer.

Viele Modeunternehmen haben sich schon auf die Veränderungen eingestellt. „Hemden und Blusen sowie die Konfektion im Allgemeinen haben seit Beginn des ersten Lockdowns sehr starke Nachfrage-Rückgänge verbucht“, heißt es beim Hamburger Modehändler Peek & Cloppenburg mit 23 Filialen.

Homeoffice trägt zur „Casualisierung“ bei

Das Homeoffice habe zu einer deutlichen Verschiebung hin zur „Casualisierung“ beigetragen, die Grenzen zwischen Freizeit- und Bürokleidung verschwömmen immer mehr. Das Unternehmen stellte sich auf die geänderte Kundennachfrage ein. Vor allem Hosen werden bequemer, man sitzt ja die meiste Zeit. „Insgesamt gibt es viel Volumen und Weite und dabei besonders viel Tragekomfort durch flexible Qualitäten wie Jersey bei Hosen, Hemden und Anzügen“, so eine Sprecherin.

Professor Ulrich Reinhardt, Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen und Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Westküste in Heide, sagt sogar das Ende für die Büro-Klassiker Anzug und Kostüm voraus. „Nach der Pandemie wird es statt des ,Casual Friday‘ einen ,Smart Wednesday‘ geben.“ Sprich: Wenn vor der Krise besonders in konservativ geprägten Banken, Anwaltskanzleien und Versicherungsunternehmen der Freitag der einzige Tag in der Woche war, an dem Beschäftigte den Business-Look gegen Baumwollhosen und Kleid tauschen konnten, könnte es bald genau andersherum sein.

Männer rasieren sich seltener im Homeoffice

Der Mittwoch wäre laut Reinhardt dann der eine Wochentag, an dem formelle Kleidung etwa für offizielle Besprechungen vorgeschrieben ist. Dabei macht der Zukunftsforscher im Homeoffice auch seine ganz persönlichen Studien. „Es ist zu beobachten, dass Männer sich seltener rasieren.“ Er selbst trage bei Online-Vorträgen jetzt auch meist Poloshirt statt Oberhemd. „Aber ich rasiere mich regelmäßig.“

Dass es eben nicht egal ist, was Mitarbeiter im Homeoffice tragen, ist längt ein Thema für Ratgeber und Experten. Kurz gefasst: Wer sich morgens vor dem Gang zum heimischen Schreibtisch so kleidet wie vor dem Gang ins Büro, arbeitet motivierter und effektiver. „Durch das neue Normal des permanenten Homeoffices verändert sich für jeden Einzelnen sehr viel“, sagt auch Lichtblick-Geschäftsführer Constantin Eis.

Selbstachtung durch die richtige Kleidung

„Da spielt auch Selbstachtung eine wichtige Rolle, und die kann sich natürlich auch in der richtigen Kleidung ausdrücken.“ Das gilt auch im virtuellen Miteinander. Da kann ein Chef, den man seit einem Jahr nur im Pulli gesehen hat, schon mal eine ungeahnte Sehnsucht nach einem weißen Hemd wecken – als Ausdruck von gelernten Umgangsformen.

„Wir achten im Homeoffice ebenso wie im Büro und von jedem anderen Arbeitsort aus darauf, professionell und dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein“, betont Eva-Miriam Böttcher, Personalchefin bei Engel & Völkers. Während es der Immobilienvermittler bei internen Terminen lockerer sieht, wird während Videokonferenzen mit Externen „ein Kleidungsstil erwartet, welcher der Marke entspricht“.

Airbus: Anzüge bei Meetings mit Führung Pflicht

Das kann schon mal dazu führen, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich bei mehreren Videokonferenzen am Tag öfter umziehen. Beispiel Airbus: Während es beim Flugzeugbauer in Hamburg intern durchaus lockerer zugehen kann, ist nach Berichten von Insidern bei Videokonferenzen mit der französischen Führung ein Anzug nach wie vor Pflicht. Ähnlich ist es bei Geschäftskontakten mit Unternehmen in den USA und Asien, wo im Geschäftsleben formelle Kleidung erwartet wird.

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Angesichts des Spagats zwischen Kleiderregeln, Selbstdarstellungswunsch und Bequemlichkeit rückt nun das Thema virtuelle Mode für das gute Styling im Netz in den Fokus. Dabei geht es um Kleidungsstücke, die im realen Leben nicht existieren. Sie werden am Computer entworfen, 3-D-programmiert und können auch nur im digitalen Raum „getragen“ werden. Inzwischen gibt es mehrere Anbieter, die Preise liegen zwischen 30 und mehreren 1000 Euro. Während Influencer sich in sozialen Medien schon in virtuellen Jacken und Kleider präsentieren, findet die Idee in der breiten Masse einstweilen keinen großen Anklang.

Hamburger könnten bald virtuelle Mode tragen

Nach einer aktuellen Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“ der Wirtschaftsberatungsgesellschaft KPMG in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut EHI ziehen 60 Prozent der Befragten virtuelle Kleidung nicht in Erwägung, weitere 15 Prozent halten es für eine weniger gute Idee.

„Im Moment ist virtuelle Mode im Experimentierstadium, aber die Corona-Situation befördert die Entwicklung“, sagt Kai Dünhölter, Modedesign-Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Die weitere Professionalisierung sei eine Frage der Zeit. „Bei Mode geht es immer darum, wie man mit der Welt kommuniziert. Wenn diese Welt immer virtueller ist, ist es nur folgerichtig, dass man sich virtuell präsentiert.“