Hamburg. In der S21 zwischen Berliner Tor und Bergedorf übernehmen Computer die Fahrt. Was das für die Zukunft des Nahverkehrs bedeutet.
Langsam rollt die S-Bahn los und an der auf dem Bahnsteig stehenden Valeska Hoop vorbei. Sie ist Lokführerin bei der Hamburger S-Bahn, und was da an ihr vorbei ins Abstellwerk in Bergedorf rollt, ist ihr Zug. Eigentlich müsste sie ihn fahren, aber den Job macht ein Computer. „Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt“, sagt die 31-Jährige. Aber dann hat der Zug schnell gedreht, rollt wieder an den Bahnsteig, und Hoop entert für die Fahrt zum Bahnhof Dammtor wieder den Fahrstand ihrer Bahn.
Es ist eine Weltpremiere, was die Deutsche Bahn und der Technikkonzern Siemens am Montag zum Start des Weltkongresses für Intelligente Transportsysteme (ITS) präsentieren: die erste automatisch fahrende S-Bahn. „Willkommen in Hamburg und willkommen in der Zukunft“, ruft Bahnchef Richard Lutz, als er die ersten Fahrgäste begrüßt. „Wir erleben heute einen Zeitenwandel. Die Eisenbahn ist in der digitalen Zukunft angekommen.“
Auf rund 23 Kilometern zwischen den Haltestellen Berliner Tor und Bergedorf wurde die Bahnstrecke digitalisiert, vier Züge wurden für den Weltkongress umgerüstet. Ab dem Fahrplanwechsel im Dezember kann jeder Hamburger den selbstfahrenden Zug benutzen, der nun beim ITS Weltkongress vorgestellt wird.
Weltpremiere in Hamburg: S-Bahn fährt ohne Lokführer
Anfahren, halten, Türen öffnen und schließen – alles macht künftig der Zug selbst. Gesteuert wird er per Funk, aus der Leitstelle der S-Bahn in Hammerbrook. Lokführerinnen wie Valeska Hoop können dann während der Fahrt ihre Hände in den Schoß legen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) darf den Knopf drücken, mit dem die Steuerung des Zuges vom Zugführer auf den Computer übergeht. „Das ist eigentlich ein ganz einfacher Vorgang, aber einer mit weitreichender Bedeutung“, sagt er.
Was damit gemeint ist, verdeutlicht der Siemens-Vorstandschef Roland Busch: „Durch die Automatisierung des Zugverkehrs können wir die Pünktlichkeit um 15 Prozent steigern, den Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent senken und vor allem das Transportaufkommen um 30 Prozent steigern.“
Hintergrund ist, dass zwischen zwei Zügen im manuellen Betrieb aus Sicherheitsgründen große Zwischenräume von mindestens 1000 Metern bestehen müssen. Bei automatischer Steuerung können mehr Züge in engerer Taktung auf die Strecke geschickt werden. „Das ist der Schlüssel für die Mobilitätswende“, sagt Bahnchef Lutz. „Wir können 30 Prozent mehr Fahrgäste transportieren, ohne einen Meter Gleisneubau.“
Ganz auf ihre Zugführer verzichten möchte die Bahn noch nicht
Bürgermeister Tschentscher sieht noch einen anderen Vorteil: „Kommt es zu einer Betriebsstörung, dauert es länger, den Zugverkehr wieder per Hand hochzufahren als im digitalen Modus.“ Für Stadtteile wie Bergedorf, die auf eine sicher funktionierende S-Bahn-Anbindung angewiesen seien, sei das wichtig. „Zudem ist dieses Projekt ein starkes Signal für eine effiziente und klimafreundliche Mobilität der Zukunft.“
Selbstfahrende Züge gibt es in anderen Städten schon länger. In Nürnberg wurde bereits 1972 einen fahrerlose U-Bahn eingesetzt. Seit Anfang der 2000er-Jahre digitalisiert die Pariser Metro ihr Netz. Dennoch ist das in Hamburg vorgestellte Projekt eine Weltneuheit: „Automatisch fahrende Züge gibt es bisher nur in geschlossenen Systemen, also etwa in einem U-Bahn-Netz, bei dem die Züge immer dieselbe Strecke von A nach B fahren. Unser System ist ein offenes, das nicht nur bei S-Bahnen, sondern auch bei Fernzügen eingesetzt werden kann. Unsere Technologie ist bereits zugelassen, und da sie offene Schnittstellen hat, kann sie jeder Betreiber weltweit für alle Zugtypen ab sofort nutzen. Insofern kann man von einer Weltpremiere sprechen“, sagt Siemens-Chef Busch.
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Ganz auf ihre Zugführer verzichten möchte die Bahn trotz modernster Technik aber dennoch nicht: „Das ist kein Personaleinsparungsprogramm. Die Lokführer bleiben zur Überwachung der Fahrt an Bord“, sagt S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke. „Zudem schauen sie, dass der Fahrgastwechsel reibungslos verläuft, und helfen Rollstuhlfahrern in den S-Bahn-Wagen.“
60 Millionen Euro hat die Umrüstung gekostet
Außerdem müssen die Lokführer weiterhin auf unerwartete Ereignisse reagieren können, wenn beispielsweise ein umgestürzter Baum die Gleise blockiert. Die neuen Züge sind zwar automatisiert, anders als selbstfahrende Autos verfügen sie aber nicht über eine besondere Sensorik für Hindernisse auf der Strecke.
„Dann müssen wir eingreifen“, sagt Hoop. Sie hat 2017 ihre Ausbildung zur Lokführerin abgeschlossen, war davor Busfahrerin. „Ich wollte mal etwas Neues machen“, sagt sie. Dass sie an einem so neuartigen Projekt teilnehmen durfte, hätte sie nicht gedacht. „Ich finde es immer noch aufregend.“
60 Millionen Euro hat die Umrüstung gekostet. Mehr als 200 Mitarbeiter der Bahn und von Siemens waren an dem Projekt beteiligt, das Teil des Bahn-Infrastruktur-Programms „Digitale Schiene Deutschland“ ist.
Bis das ganze S-Bahn-Netz automatisiert ist, wird es noch Jahre dauern
„Wir werden jetzt weitere Lokführer der S-Bahn schulen, damit wir im Dezember in den Regelbetrieb gehen können“, sagt Arnecke. Zudem sollen nach und nach die 190 anderen S-Bahn-Züge umgerüstet werden. Hinzukommen 64 bestellte Züge, die bereits über die neue Technologie verfügen.
Außerdem sollen weitere Streckenteile nachgerüstet werden. Bis das ganze 150 Kilometer umfassende Hamburger S-Bahn-Netz automatisiert ist, wird es noch Jahre dauern. Und zudem 800 Millionen Euro verschlingen, wie aus einer Machbarkeitsstudie hervorgeht. Davon fließen 620 Millionen Euro in die Infrastruktur. 180 Millionen in die Digitalisierung der Züge.
Ein Anfang ist gemacht, an diesem Montag auf dem ITS Weltkongress in Hamburg. Am Bahnhof Dammtor endet die Sonderfahrt. Alle müssen wieder aussteigen.