Hamburg. Menschen fallen bei Videokonferenzen verstärkt Makel im Gesicht auf. Die Verbraucherzentrale warnt vor dem Trend.
Doppelkinn, Falten auf der Stirn, müde Augen … Die Liste angeblicher eigener Makel ist oft lang und wird aktuell für viele Menschen noch offensichtlicher. Durch Videokonferenzen, die in der Pandemie stark zugenommen haben, wächst der Wunsch vieler Hamburger nach einem straffen Gesicht und beschert Schönheitschirurgen mehr Aufträge.
„Die Menschen sind ständig damit konfrontiert, wie ihr Gesicht aussieht“, sagt Holger Fuchs. Er ist Chefarzt in der Praxis Klinik Pöseldorf, hat eine Ausbildung zum Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie gemacht. Und er weiß: Die Nachfrage nach Liftings und Spritzen mit Botox oder Hyaluron hat seit dem Sommer des vergangenen Jahres klar angezogen.
Hamburgerin entscheidet sich für Schönheitsoperation
Der Effekt während des Videochats: Die Menschen schalten die Kamera ein und sehen ihr digitales Spiegelbild als Nahaufnahme. Der Fokus liegt also auf dem Gesicht – und die eigenen Makel fallen einem selbst – anders als im Büro – nun eher auf. Fuchs sagt, deshalb sei die Zahl seiner Eingriffe am Doppelkinn um 15 Prozent, an der Augenpartie um 20 Prozent gestiegen. Auch aktuell sei die Nachfrage weiter hoch, weil sich viele im Lockdown behandeln ließen. Die Schwellungen und blauen Flecke könnten dann noch zu Hause heilen.
Zu Fuchs‘ Patientinnen zählte nun auch erstmals seine Frau. Daniela Fuchs hatte vor 15 Jahren einen Sportunfall, bei dem ihr Gesicht zertrümmert und die linke Hälfte nach einer Operation gelähmt war. Die Haut um das Auge sei daher schlecht durchblutet gewesen, erzählt sie. Im Corona-Jahr habe sie dann Oberlid, Wangen und Kinn straffen lassen. Der Grund: „In Videokonferenzen habe ich tagtäglich gedacht, so wirklich schön finde ich das nicht. Mich haben auch immer mehr Kollegen aus dem erweiterten Berufsfeld darauf angesprochen. Das hat bewirkt, die Operation endlich durchzuführen.“
„Boom der minimalinvasiven Operationen“
Aber auch Patienten ohne Unfallgeschichte lassen sich von Fuchs behandeln, darunter Fernsehmoderatoren, deren Namen der Chefarzt aber nicht preisgeben will. Warum die Menschen vor allem seit dem Sommer mehr Operationen nachfragen, erklärt Fuchs sich so: „Die Patienten sind flexibler, haben mehr Zeit und fahren nicht in den Urlaub, gehen nicht essen. Wer also weiter über Einkommen verfügt oder Rücklagen hat, investiert jetzt in Eingriffe.“
Auch Zusammenschlüsse von Fachärzten bestätigen die höhere Nachfrage. Doch verlässliche Zahlen gibt es nicht. Die Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) erwartete aber bereits im Juli einen „Boom der minimalinvasiven Operationen“. Dazu zählt unter anderem das Lidlifting. Zahlen seiner mehr als 100 Fachärzte veröffentlicht die Vereinigung in den nächsten Tagen.
Hamburger Start-up expandiert
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC). In einer Umfrage unter 40 Mitgliedern bestätigten die meisten, häufiger Falten unterspritzt und Oberlider gestrafft zu haben. Der Trend könnte aber bald abebben, denn 2020 bliebe vermutlich ein „Ausnahmejahr“, heißt es.
Ein Hamburger Start-up, das gerne auch mal in der Mittagspause Schönheitsmakel ausbessert, expandiert derweil kräftig. Docboom heißt die Kette, die 2019 in der Innenstadt ihren ersten Standort eröffnet hat. Ein zweiter folgte in Winterhude, ein dritter im Berliner Stadtteil Charlottenburg. 2020 konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben einen siebenstelligen Umsatz erzielen.
Docboom gehört Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkunde
Und 2021 kommen weitere Standorte dazu. So wird im April eine Filiale in Düsseldorf eröffnet, im Mai folgt eine weitere in Eppendorf. Auch mit Standorten in Köln, Frankfurt und Stuttgart liebäugeln die Gründer. Die Kette gehört einem Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenkunde (HNO), einem Betriebswirt und einer Unternehmerin: Bülent Ugurlu betreibt eine HNO-Praxis am Neuen Wall. Roald Christoph und Filiz Christoph-Atas sind für die Zahlen verantwortlich. Die beiden haben zuvor Kosmetiksalons mit dem Namen Adam & Eve eröffnet, von denen ein Salon in die neue Docboom-Filiale in Eppendorf einzieht, allerdings räumlich getrennt im ersten Stock.
Im Erdgeschoss führen selbstständige Ärzte die Schönheitsbehandlungen durch. Manche von ihnen tragen keinen Doktortitel, andere waren zuvor in der Herz- oder Allgemeinchirurgie tätig. Das ist in Deutschland erlaubt. Voraussetzung ist, dass nur Ärzte, ausgenommen Zahnärzte oder Heilpraktiker, die Behandlungen durchführen. Ugurlu schult die Ärzte, bevor sie die Patienten behandeln dürfen. Sie setzen Fäden, lasern und füllen Falten mit Hyaluron auf. Ein Skalpell nutzen sie nicht.
Lippenkorrektur bei Docboom kostet 99 Euro
Holger Fuchs von der Praxis Klinik Pöseldorf kennt Docboom und Ugurlu. Die Qualität der gespritzten Produkte sei gut, sagt der Chefarzt. Verlockend seien die günstigen Angebote. Laut Preistabelle kostet eine Lippenkorrektur 99 Euro, ein komplettes Facelift 1149 Euro – beides zuzüglich Mehrwertsteuer. Fuchs nimmt mehr als das Doppelte.
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Er sagt: „Viele Produkte sind günstiger, aber man kann eine Klinik damit nicht vergleichen.“ Schönheitschirurg sei nicht gleich Schönheitschirurg, denn der Begriff sei nicht geschützt. „Viele haben leider nicht die Qualifikation, behandeln trotzdem.“ Nach seiner sechsjährigen Ausbildung zum Facharzt für plastische, ästhetische und rekonstruktive Chirurgie verfüge er jedenfalls über ausreichend Kenntnisse zur Anatomie des Gesichts.
Verbraucherzentrale Hamburg warnt vor Eingriffen
Die Verbraucherzentrale Hamburg steht dem Thema generell kritisch gegenüber. „Grundsätzlich befürworten wir keine Schönheitsoperationen und minimalinvasiven Eingriffe. Es können gesundheitliche Schäden entstehen – und man setzt sich einem gesundheitlichen Risiko aus“, sagt Anke Puzicha aus der Abteilung Gesundheit und Patientenschutz. „Viele Behandlungen ziehen Folgebehandlungen nach sich, weil sich Stoffe wie Hyaluron wieder abbauen. Dann gerät man in eine Art Abhängigkeitsverhältnis.“
Dass sich jemand also nur einmal die Falten glätten lasse, sei demnach unrealistisch. Vielleicht lässt also auch schon ein anderer Kamerawinkel das Doppelkinn schlanker erscheinen – oder ein bisschen mehr Licht die Augen wacher wirken. Dann kann man sich Spritze und Skalpell ersparen.