Hamburg. Mehr als 4000 Hamburger sollen in eine neue Tochter wechseln. Das stört nach Betriebsräten und Gewerkschaften auch Politiker.

Der geplante Konzernumbau bei Airbus schlägt hohe Wellen. IG Metall und Betriebsräte protestieren scharf gegen die Pläne, auch hochrangige Politiker schalten sich in die Diskussion ein. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Was plant Airbus?

Der Konzern kündigte am 21. April eine Neuaufstellung seiner Flugzeugstrukturmontage an. Im Kern geht es um die Gründung von drei neuen Tochterfirmen, die ab Anfang 2022 große und kleinere Flugzeugteile fertigen und zusammenbauen sollen. Für das Hamburger Werk mit rund 15.000 Beschäftigten ist die geplante Aerostructure-Einheit in Deutschland am wichtigsten.

Wie sieht die Arbeitsteilung bisher aus?

Die vorderen Rumpfsegmente kommen aus Frankreich. Bei der Airbus-Tochter Stelia Aerospace wird die Nasensektion mit dem Cockpit hergestellt und bei Airbus in St. Nazaire zusammengebaut. Die mittleren und hinteren Rumpfabschnitte werden in Deutschland gefertigt.

Die Tochterfirma Premium Aerotec Gruppe (PAG) stellt die Rumpfschalen her. Sie wurde 2009 durch den Zusammenschluss der Airbus-Werke Nordenham und Varel mit dem Standort Augsburg, der bis dahin zum damaligen Airbus-Mutterkonzern EADS gehörte, gegründet. In Hamburg werden die Rumpfschalen in der Strukturmontage von rund 1600 Airbus-Mitarbeitern zu Rumpfsektionen zusammengebaut.

Welche neue Struktur ist geplant?

Airbus kündigte im April an, in der neuen Tochter mit dem Arbeitstitel Airbus Aerostructures Herstellung und Zusammenbau zusammenzufassen. Diese Firma solle zu 100 Prozent im Besitz von Airbus bleiben. Am 19. Mai gab das Unternehmen eine Ausweitung der Pläne bekannt. Neben der Struktur- soll die Ausrüstungsmontage in der neuen Aerostructure-Einheit aufgehen. In der Ausrüstungsmontage werden auf Finkenwerder Elektrokabel, Hydraulik- und Klimarohre in den Rümpfen verlegt.

Wie soll die neue deutsche Aerostructure-Tochter aussehen?

In das Tochterunternehmen sollen große Teil von PAG übergehen, und zwar die kompletten Standorte Nordenham, Bremen und Teile von Augsburg. Hinzu kommen große Anteile der Airbus Operations GmbH: das gesamte Werk Stade mit 2000 Beschäftigten sowie – durch die erweiterten Pläne – rund 4000 Mitarbeiter in Hamburg, die in der Struktur- und Ausrüstungsmontage arbeiten. Die Firma soll rund 9500 Beschäftigte haben. In der Airbus Operations GmbH verbleiben die Endlinien, an denen die Flieger zusammengebaut werden, das Auslieferungszentrum und ein Großteil des Engineerings mit rund 3500 Ingenieuren.

Was passiert mit PAG in Hamburg?

2017 baute PAG die Präsenz in Hamburg aus. Rund 150 Mitarbeiter sitzen am Hein-Saß-Weg. Rund 50 von ihnen arbeiten in der Fertigung, der Großteil ist in der Entwicklung tätig. Im benachbarten Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) sind es 15. Der Schwerpunkt liegt auf 3-D-Druck und der Entwicklung von Druckrümpfen. „Die Beschäftigten von Premium Aerotec in Hamburg würden in das neue Aerostructures-Unternehmen übergehen“, sagte eine Firmensprecherin dem Abendblatt.

Welche weiteren Töchter soll es geben?

Auch in Frankreich soll die Fertigung der Rumpfsegmente (Stelia) und der Zusammenbau (Airbus) in einer Aerostructure-Einheit gebündelt werden. Diese soll näher an den Konzern geholt werden, aber als eigenständige Einheit neben der Gesellschaft Airbus Operations France agieren – ähnlich wie in Deutschland mit Airbus Operations GmbH und der neuen Aerostructure-Einheit.

In Deutschland ist zudem der Aufbau eines neuen „Global Players“ geplant – die dritte geplante neue Tochter. In diese Firma mit rund 3500 Beschäftigten sollen das PAG-Werk Varel sowie ein Teil des PAG-Standortes Augsburg einfließen. Sie soll sich auf die Fertigung von Einzelteilen und Kleinkomponenten konzentrieren. Für diese ist sowohl ein Verbleib im Haus als auch ein Verkauf denkbar. Die Einzelteilefertigung in Frankreich verbleibt hingegen in der neuen Aerostructure-Einheit.

Wie begründet Airbus den Umbau?

Die Flugzeugstrukturmontage zähle nun zu der „Kernaktivität“, hieß es. Für diese wolle man „eine moderne, indus­trielle Fertigung“ aufbauen. Entscheidend sei, dass man bei neuen Produkten „sehr stark auf den Bereich Wasserstoff und neue Technologien setzen“ würde, sagte Airbus-Deutschland-Chef André Walter im April zur Begründung.

Der Hintergrund: Im September 2020 stellte der Flugzeugbauer Konzeptstudien für „grüne Flugzeuge“ vor, die ab 2035 fliegen sollen. Für sie ist ein Wasserstoffantrieb geplant. Weil das Gas in der benötigten Menge sehr voluminös ist, müssen die Tanks im Rumpf untergebracht werden. Das Kerosin steckt bisher überwiegend in den Flügeln. Das zieht erhebliche Veränderungen der Flugzeugstruktur nach sich. Das Einbeziehen der Ausrüstungsmontage begründete Walter im Mai damit, „dass es in Hamburg keinen Sinn macht, die Fertigung zu teilen“.

Airbus hofft auf eine Verbesserung der Abläufe. Bisher werden die Rumpfschalen quasi wie von externen Lieferanten eingekauft. Daher dauere es von der Bestellung bis zur Lieferung lange. Die neue Einheit solle Schnittstellen reduzieren und die Produktion effizienter machen – also die Kosten senken. In Frankreich sei dies bei der Einzelteilefertigung durch die teilweise Produktion in Tunesien, Marokko und Kanada schon gelungen, so ein Airbus-Sprecher. Dies sei neben einem kleineren Geschäftsvolumen der Grund für den Verbleib in der Aerostructure-Einheit.

Wie reagieren Arbeitnehmervertreter?

Sowohl Betriebsräte als auch die Gewerkschaft IG Metall lehnen die Umbaupläne ab. „Wir werden betrieblich Druck aufbauen, und zwar an allen Standorten, die betroffen sind“, sagte Holger Junge, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats. Die Zustimmung der Arbeitnehmer zur Ausgliederung braucht Airbus nicht. Aber Junge sieht viele Möglichkeiten, dem Arbeitgeber das Leben zu erschweren wie zum Beispiel, wenn die Arbeitnehmer nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Er erwartet einen zähen Kampf. Eine Kundgebung mit Hunderten Beschäftigten gab es auf Finkenwerder bereits, auch einen Aktionstag. Junges Kritik ist scharf: „Wir haben ein Management, dem kein Mensch mehr vertraut.“

Der Hintergrund: Airbus traf die Corona-Krise im Frühjahr 2020 hart. Weltweit lag die Luftfahrt nahezu lahm, daher nahmen Airlines nicht ihre neuen Flieger in Empfang. Das Geschäft lag monatelang brach. Die Produktionsraten wurden gekürzt. Mit einer Erholung auf Vorkrisenniveau wird frühestens 2023 gerechnet. Daher sollten in Hamburg 2260 Stellen gestrichen werden. Entlassungen standen im Raum. Anfang März verkündeten Arbeitnehmer und -geber, dass diese nicht nötig seien. 2300 Mitarbeiter sind mit Abfindungen freiwillig ausgeschieden, bis Ende 2023 sind betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen.

Es schien also Ruhe eingekehrt zu sein – bis im April die Pläne für die Umstrukturierung der Strukturmontage und dann rund vier Wochen später noch die Einbeziehung der Ausrüstungsmontage bekannt wurden. „Wir sind entsetzt über diese Salamitaktik“, sagte damals Jan-Marcus Hinz, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates von Airbus Operations.

Was befürchten Gewerkschaft  und Betriebsrat?

Zum einen befürchten sie eine Spaltung der Belegschaft, wenn im Hamburger Werk die Beschäftigten für zwei unterschiedliche Firmen arbeiten. Zum anderen rechnen sie perspektivisch mit einer Verschlechterung der Konditionen. Zwar sagte der Hamburger Werksleiter Walter, dass bei einem Wechsel von der Airbus Operations GmbH zu der neuen Aerostructure-Tochter jeder Mitarbeiter seine Ansprüche mitnehme.

Aber: „Wer sichert das den Beschäftigten in der neuen Firma ab?“, fragte Hinz. Walter sagte auch: „Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft schaffen, und deswegen werden die Beschäftigungsbedingungen in den Unternehmen gleich sein.“ Ob das auch für spätere Neueinstellungen gilt, ließ er aber offen. Das werde Gegenstand der Verhandlungen mit den Sozialpartnern sein. Klar ist: Werden neue Mitarbeitende zu schlechteren Konditionen eingestellt, erhöht dies den Druck auf die Beschäftigten mit Altverträgen.

IG-Metall-Küste-Bezirksleiter Daniel Friedrich sieht langfristig den Verbleib der Tochter im Konzern infrage gestellt. Die Ausgliederung in eine Tochter, „macht doch nur Sinn, wenn es zumindest Gedankenspiele gibt, sich später davon zu trennen“. Das Management weist solche Verkaufspläne aber zurück.

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„Es gibt nach wie vor eine Ungleichbehandlung zwischen Deutschland und Frankreich“, sagte PAG-Gesamtbetriebsratschef Thomas Busch. Denn während in Deutschland mit Aerostructure und Einzelteilefertigung zwei Töchter gegründet werden sollen, halte man in Frankreich die Prozesskette eng zusammen. Zudem sieht er die Gefahr, dass das neue Unternehmen keine Gewinne mehr machen dürfe – so wie es bisher PAG ergangen sei. „Der Besitzer ist gleichzeitig der größte Kunde. Uns sind Zielpreise vom Besitzer aufgedrückt worden“, sagte Busch. Das habe zur Folge gehabt, dass es Programme wie für den A400M gab, bei denen man null Marge haben machen dürfen. Folgendes Szenario ist denkbar: Wenn ein Unternehmen keinen Gewinn mehr macht, erhalten die Mitarbeiter auch keine Erfolgsbeteiligung – an der Stelle könnte der Konzern also sparen.

Warum schaltet sich die Politik bei Airbus ein?

Die Ministerpräsidenten Stephan Weil (Niedersachsen, SPD) und Markus Söder (Bayern, CSU) sorgen sich um die Standorte Varel und Augsburg in ihren Bundesländern und schrieben gemeinsam einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die bisher bekannten Kaufinteressenten brächten weder eine ausreichende Auslastung noch genug Geld für Investitionen mit. Daher sei zu befürchten, dass beide Betriebe „schon in wenigen Jahren nicht mehr mit Wettbewerbern in Niedriglohnländern konkurrieren können“. Der Bund sei als Airbus-Anteilseigner mit Frankreich in der Pflicht, auf Airbus einzuwirken, „eine Ausgliederung und einen Verkauf der Teilefertigung zu überdenken“ – in Frankreich soll sie im Konzern bleiben.

Auch in Hamburg gibt es Widerstand. „Wir haben viel öffentliches Geld, Steuerzahlergeld, in den Luftfahrtstandort Deutschland, auch in Hamburg, investiert“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi Mitte Mai bei der Kundgebung. Er nahm Bezug auf das vom Staat gezahlte Kurzarbeitergeld und teure aufgelegte Luftfahrtforschungsprogramme. Das sei sinnvoll, weil es sich um eine Zukunftstechnologie handele. Es könne aber nicht sein, dass nun ein Outsourcing-Prozess vorangetrieben werde, der Arbeitsplätze gefährde und Mitarbeiter unter Druck setze. Die SPD-Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienscherf (Hamburg), Mustafa Güngör (Bremen) und Johanne Modder (Niedersachsen) forderten in einer gemeinsamen Erklärung Airbus auf, die Umbaupläne in der Fertigung „dringend zu überdenken“. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) ließ über eine Sprecherin ausrichten, dass er in stetigem Kontakt mit Airbus-Werksleiter Walter sei. Ein Statement wollte er nicht abgeben.