Hamburg. Nach fast elf Wochen Lockdown endlich wieder Waschen, Schneiden, Föhnen, Färben. Die 1430 Hamburger Salons sind auf Wochen ausgebucht.

Um 9 Uhr wird es kurz etwas unübersichtlich. Die ersten drei Kunden stehen fast zeitgleich vor der Tür des Ryf-Salons in Niendorf. Beim Eintreten klatschen die Mitarbeiterinnen Beifall – für jede und jeden einzeln. „Ich bin so voller Vorfreude und dankbar, dass wir wieder arbeiten dürfen“, sagt Salonleiterin Annette Kling. Sie steht hinter dem Empfangstresen und kümmert sich um die Registrierung der Kontaktdaten. Kurz noch Hände desinfizieren, dann geht es für Gitta Kruse direkt auf den Friseurstuhl.

„Ich hatte meinen letzten Termin im November“, sagt die 69-Jährige und betrachtet mit kritischem Blick ihre ausgewachsene Corona-Mähne im Spiegel. „Den Pony habe ich mal mit der Nagelschere nachgeschnitten. Aber das war nicht besonders erfolgreich.“ Um den ersten Termin zu bekommen, hat die Niendorferin schon direkt nach der Bekanntgabe des Öffnungsdatums vor zweieinhalb Wochen angerufen. Jetzt will sie das volle Programm: Waschen, Schneiden, Föhnen. Friseurin Andrea Roth kommt mit der Farbkarte, auch die Strähnchen brauchen dringend eine Auffrischung.

Warteschlangen vor Friseursalons in Ottensen und Eimsbüttel

So geht es vielen. Der Nachholbedarf ist knapp elf Wochen nach Beginn des zweiten Corona-Lockdowns enorm. Das Haupthaar wuchert um einst freie Ohren und kriecht über Krägen, graue Ansätze sind auch mit besten Willen nicht mehr zu übersehen. Trotz Terminpflicht bildeten sich am Montagvormittag Warteschlangen vor einigen Salons, etwa in Ottensen und Eimsbüttel.

Die Kalender der 1430 Betriebe in Hamburg sind ähnlich wie nach dem ersten Lockdown im Frühjahr über Wochen gut gefüllt. In der Niendorfer Ryf-Filiale klingelt an diesem Vormittag ununterbrochen das Telefon. 300 Termine für die Startphase hat Salonchefin Kling schon aus dem Home­office vergeben. Aktuell ist der Laden bis Anfang April quasi ausgebucht. Schon in der vergangenen Woche hatte das Team geputzt und zusätzliche Abstandsmarkierungen verklebt. Bis auf Weiteres werden sie zu viert jetzt erst mal sechs Tage die Woche durcharbeiten. Abends ist open end – je nach Bedarf.

Hygienemaßnahmen in Friseursalons verschärft

Dabei überwiegt die Erleichterung bei Friseuren und Kunden trotz aktuell steigender Inzidenzwerte über mögliche Ansteckungsrisiken. Die Bundesregierung hatte die nationale Öffnungsper­spektive für die Branche mit der „erheblichen Bedeutung von Frisuren für die Körperhygiene“ begründet.

Für den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) hat es „etwas mit Würde zu tun in diesen schwierigen Zeiten“. Die ohnehin schon strengen Hygienemaßnahmen in den Salons wurden noch mal verschärft: Medizinische Masken sind jetzt Pflicht, pro zehn Quadratmeter Ladenfläche ist nur noch eine Person erlaubt. Luftfilter sollen zusätzlich für mehr Virenschutz sorgen.

Im Salon Engelslocke im Schanzenviertel wurden schon kurz nach Mitternacht wieder Haare schön gemacht. „Wir haben das Stammkunden angeboten, die sonst nicht hätten kommen können“, sagt Riza Tanriver, der den Friseurbetrieb seit 2016 mit seinem Bruder Emrah führt. Bis 2 Uhr morgens waren drei der acht Mitarbeiter im Einsatz. Unter den ersten Kunden war Profitänzerin, Moderatorin und Unternehmerin Christine Deck, die seit Montagmorgen wieder selbst in ihrem Kosmetiksalon im schleswig-holsteinischen Norderstedt steht. Für das Engelslocke-Team ging es um 10 Uhr weiter.

Salon Engelslocke umgestaltet und vergrößert

Die Corona-Zwangspause hatte Inhaber Riza Tanriver genutzt, um den Salon komplett umzugestalten und auf 100 Quadratmeter zu vergrößern. Unter anderem gibt es jetzt einen VIP-Raum, in dem einzelnen Kunden aufwendige Services wie Haarverlängerungen oder Farbveränderungen angeboten werden können. Trotz herber Umsatzverluste investiert das Brüder-Duo einen fünfstelligen Betrag in die Zukunft.

Im Salon Engelslocke der Brüder Riza und Emrah (r.) bekamen die ersten Kundinnen bereits um kurz nach Mitternacht die Haare wieder schön.
Im Salon Engelslocke der Brüder Riza und Emrah (r.) bekamen die ersten Kundinnen bereits um kurz nach Mitternacht die Haare wieder schön. © Unbekannt | Michael Rauhe

„Wir hatten Rücklagen, mit denen wir durch die vergangenen zehn umsatzlosen Wochen gekommen sind“, sagt Riza Tanriver. Er ist für die wirtschaftliche Leitung zuständig, während sein Bruder als Friseurmeister der kreative Kopf ist. Jetzt sehen beide zuversichtlich in die Zukunft. Auch wenn die Umsatzverluste auch in diesem Jahr nicht wieder reinzuholen sind. „Wir versuchen uns auf die Delle nach dem ersten Ansturm vorzubereiten, in dem wir offensiv Folgetermine vergeben.“

Ryf-Salons: Umsatzverluste von ca. zehn Millionen Euro

Auch Friseur-Filialst Ryf arbeitet so. Das Hamburger Unternehmen mit 73 Geschäften in Deutschland und der Schweiz hat knapp 20 Filialen in Hamburg und Umgebung. Geschäftsführer Marc Breckwoldt hatte mit anderen Friseurunternehmern eine Kampagne für die Öffnung der Friseursalons initiiert und mehr als 50.000 Unterschriften gesammelt.

Die Umsatzverluste während der beiden Schließungsphasen bezifferte er auf knapp zehn Millionen Euro für sein Unternehmen. Staatliche Hilfen hat er bislang noch nicht erhalten. Jetzt ist er erst mal froh, dass es wieder losgeht. Bis zum Wochenende habe er noch gezittert, ob der Öffnungstermin bleibt. Bundesweit gelten unterschiedliche Regeln. So sind die Ryf-Salons in Flensburg wegen der Ausbreitung der britischen
Virusvariante weiterhin geschlossen, im sächsischen Vogtland ist ein negatives Testergebnis ähnlich wie in Österreich für den Friseurbesuch erforderlich.

Testpflicht für Hamburg könnte Kunden abschrecken

Darüber, ob das auch in Hamburg gelten sollte, gehen die Meinungen in der Branche auseinander. Viele Friseure befürchten, dass bei einer Testpflicht weniger Kunden kommen würden. „Wohlempfinden ist extrem wichtig für die Psyche. Wir haben harte Zeiten und viele Verbote“, sagt Andrea Wolf, die ihren Salon am Neuen Wall betreibt.

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Vor allem für ältere Menschen habe ein Friseurbesuch eine hohe Bedeutung. Die Haarstylistin fordert, auch Friseure mit höherer Priorität zu impfen. „Wir sind ja an vorderster Front, genau wie die Kassiererinnen.“ Obwohl sie keine Probleme mit den Hygieneregeln hat, sind Selbsttests in den Salons für sie eine Option. „Die müssen dann aber kostenlos sein.“

Preiserhöhungen bei Hamburger Friseuren erwartet

Schon nach dem ersten Lockdown hatten die zusätzlichen Schutzauflagen die Preise nach oben getrieben. „Jetzt rechne ich nicht mit weiteren Preiserhöhungen“, sagt der Hamburger Innungsobermeister Birger Kentzler, der einen Salon in Bahrenfeld betreibt. Nach den langen Monaten der Krise sitze auch bei vielen Kunden das Geld weniger locker.

Unabhängig davon bleibe für viele Salons die Situation schwierig, auch weil nach dem ersten Andrang die Kundenzahlen erst mal wieder zurückgehen werden. „Überleben werden nur die Betriebe, die einen langen Atem haben.“