Hamburg. Der erneute Lockdown trifft die Branche hart. So wenige Fahrzeuge wie seit 1966 nicht mehr. Angst um die Altersvorsorge wächst.
Holger Brandt fährt seit 35 Jahren durch Hamburgs Straßen. Er ist Taxifahrer aus Leidenschaft. Brandt weiß genau, wie man am schnellsten vom Flughafen zur Gertigstraße kommt oder von der Palmaille zum Hauptbahnhof. Er kennt alle Schleichwege, wenn die Hauptstraßen mal wieder verstopft sind. Doch für das Problem, vor dem Brandt derzeit steht, hat auch er keine schnelle Lösung.
Die Corona-Pandemie ist seit Herbst mit hohen Infektionszahlen zurück, hat zum zweiten (kleinen) Lockdown geführt. Und Brandt weiß zum ersten Mal keinen Ausweg. „Als im Frühjahr der erste Lockdown kam, waren mit einem Schlag etliche Taxis von den Straßen verschwunden, weil die Unternehmer ihre Fahrer in Kurzarbeit geschickt hatten. Im Sommer, als die Infektionswelle abebbte, gab es wieder mehr Wagen auf der Straße, weil die Kurzarbeit für viele Fahrer auslief. Dann kam der Herbst“, sagt Brandt. „Und der hat uns voll erwischt.“
Nur noch 3009 Taxis in Hamburg angemeldet
Gaststätten zu, Theater und Kinos dicht, keine Geschäftskunden mehr, keine Weihnachtsfeiern oder andere Veranstaltungen. „November und Dezember waren in unserer Branche immer die umsatzstärksten Monate. Und jetzt liege ich beim Umsatz fast 80 Prozent darunter, wenn ich das mit 2019 vergleiche.“
So stelle sich die Situation im gesamten Taxigewerbe dar, ergänzt Thomas Lohse, Vorstand der Hansa-Funktaxi Genossenschaft. „Die Umsätze sind im Schnitt um rund 65 Prozent eingebrochen. Gerade Betriebe mit mehreren Fahrzeugen kämpfen ums Überleben. Und etliche werden es nicht schaffen.“ Der Bundesverband Taxi und Mietwagen geht davon aus, dass jedes dritte Fahrzeug in Deutschland bis Jahresende abgemeldet wird, weil die Fahrer wegen des zweiten Lockdowns so wenig zu tun haben. Und Hamburger Zahlen stützen diesen Trend.
„Derzeit sind nur noch 3009 Taxis angemeldet“, sagt ein Sprecher der für die Konzessionsvergabe zuständigen Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. „Das ist der niedrigste Stand seit 1966.“ Immer mehr Betreiber würden ihre Konzessionen zurückgeben und sich aus dem Geschäft zurückziehen. „In 397 Fällen wurde das Fahrzeug nur vorübergehend stillgelegt. Die Fahrer lassen die Konzession ruhen und hoffen auf bessere Zeiten“, so der Sprecher.
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Aber ewig gehe das auch nicht, hält Brandt dagegen. Er hat nur ein Fahrzeug, ist also ein sogenannter selbst fahrender Einzelunternehmer. Er sitzt derzeit fünfeinhalb Tage in der Woche auf dem Bock, an keinem verdient er auskömmlich. „Das gesamte Abend- und Nachtgeschäft ist uns weggebrochen. Ich fahre jetzt tagsüber zehn Stunden und habe nur noch die Hälfte an Fahraufträgen.“
Nicht nur die Anzahl der Touren sei zurückgegangen, sondern auch deren Länge. „Wir haben noch Stammkunden und Arztfahrten, aber das sind meist kurze Strecken.“ Dabei laufen Brandts Fixkosten weiter. Diese belaufen sich auf 2000 Euro im Monat: Krankenkasse, Ratenzahlung für das Auto, Konzessionsabgabe, Gebühren für den Berufsverband und den Anschluss an Hansa-Taxi – dazu Spritkosten und Steuern. „Ich gehe jetzt an meine Altersversorgung ran, um über die Runden zu kommen.“ Im Dezember werde das auch wieder so sein. „Die Alternative wäre, das ich aufs Arbeitsamt gehe. Aber das will ich nicht.“
Kritik an November-Hilfen der Politik
Seine Mitgliedsunternehmen seien in einer ganz schwierigen Situation, sagt Lohse. „Einerseits haben sie eine Beförderungspflicht. Sie sind Teil des öffentlichen Personennahverkehrs und gehören damit zur Daseinsvorsorge. Das ist ja auch richtig in diesen Zeiten, wenn schnelle Fahrten zum Arzt ins Krankenhaus oder zur Apotheke notwendig sind. Andererseits sind ihre Einnahmen so gering, dass sie den Geschäftsbetrieb kaum mehr aufrechterhalten können.“
Die Politik habe einen Fehler gemacht, meint dazu Fahrerkollege Farid Ahmadi. Er steht seit eineinhalb Stunden vor einem Postamt und wartet auf eine neue Tour. Ahmadi ist wie Brandt Einzelunternehmer mit einem Fahrzeug. Er ist zugleich Vorsitzender des Landesverbands Hamburger Taxiunternehmer (LHT), der 311 Betriebe mit 1070 Fahrzeugen vertritt. „Die Politik hat jetzt die November-Hilfen zur finanziellen Unterstützung notleidender Gaststätten und Kultureinrichtungen eingeführt, aber uns dabei ausgespart. Dabei hängen doch wir am Gaststättenbetrieb maßgeblich mit dran.“
Taxi in Hamburg: Erholung frühestens 2023
Ahmadi rechnet vor: Er habe Fixkosten von 2000 bis 3000 Euro im Monat und im November bisher 1900 Euro verdient. Lebenshaltungskosten und Miete seien bei den Kosten nicht eingerechnet. „Ich habe meine Rücklagen inzwischen aufgebraucht und denke jetzt daran, meine Rentenversicherung aufzulösen“, sagt er. Es gebe aber Kollegen, die noch schlechter dran seien: „Einem wird jetzt die Konzession entzogen. Der Grund ist, dass er seine Krankenkassenbeiträge nicht mehr bezahlen konnte.“ Und ohne Krankenkasse gibt es keine Konzession.
„Wir haben ja dafür gekämpft, dass wir in die November-Hilfen mit einbezogen werden“, sagt Lohse. „Leider vergeblich.“ So blieben nur die üblichen Corona-Hilfen des Bundes, von denen es im Januar wohl eine Neuauflage geben soll. Aber auch diese erhalten nur Betreiber, nicht einzelne Fahrer. Viele seien an einem Punkt angelangt, den Job hinzuwerfen.
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„Wir verzeichnen im Jahr etwa 20 bis 30 Abgänge in unserer Funk-Genossenschaft, aber normalerweise auch Zugänge. Jetzt gibt es kaum Neuanmeldungen und die Zahl der Abmeldungen steigt. Wer vorhatte, demnächst in den Ruhestand zu gehen, zieht das nun vor“, so Lohse.
Um eine neue Konzession zu bekommen, erwarte die Behörde einen Nachweis, dass man für mehrere Monate finanziell abgesichert ist. „Wer kann das schon garantieren? Ich denke es wird mindestens bis 2023 dauern bis sich unsere Branche wieder erholt hat“, so Lohse. Brandt will aber die Flinte nicht ins Korn werfen. „Ich bin gerade erst 60“, sagt er. „Und ich bin Optimist.“