Hamburg. Corona trifft Hamburg als drittgrößten Luftfahrt-Standort hart. Wie Airbus, Flughafen und Lufthansa Technik durch die Krise kommen.

Im Frühjahr 2020 schien plötzlich die Existenz des größten Hamburger Arbeitgebers auf dem Spiel zu stehen. Mit dramatischen Worten wandte sich Guillaume Faury Ende April per Brief an seine Belegschaft. „Wenn wir nicht jetzt agieren, ist das Überleben von Airbus fraglich“, schrieb der Vorstandsvorsitzende und oberste Vorgesetzte von 15.000 Beschäftigten in der Hansestadt.

Zwei Wochen zuvor hatte der Konzern die Produktionsraten für seine Flugzeugprogramme massiv gekürzt. Von der für Hamburg besonders wichtigen A320-Familie – dem Brot- und Buttergeschäft – sollen nur noch 40 statt zuvor 60 Maschinen im Monat gebaut werden. Quasi über Nacht habe man ein Drittel des Geschäfts verloren. Nun werde die Beschäftigung angepasst, schrieb Faury. Deshalb gebe es Kurzarbeit. Auch der Abbau von Stellen stehe im Raum. Und das in einer Branche, die jahr(zehnt)elang nur eine Richtung kannte: nach oben.

Pandemie bremste Hamburger Luftfahrtbranche

Doch das Coronavirus bremste die Vollgas gewohnte Branche aus. Ab Mitte März 2020 wurde der Flugverkehr nahezu lahmgelegt. Das ist schlecht für Hamburg als drittgrößten Standort der zivilen Luftfahrt weltweit mit rund 40.000 Beschäftigten.

Rund um den Globus brachen die Passagierzahlen ein – das spürte auch Hamburgs Flughafen. Es fanden kaum noch Flüge statt – daher brachen bei Lufthansa Technik die Aufträge für die Wartung, Reparatur und Überholung der Jets weg. Fluglinien nahmen keine neuen Flieger mehr ab – deshalb füllte sich das Gelände des Werksflughafens von Airbus auf Finkenwerder mit fertigen und nicht ausgelieferten Maschinen. Und Zulieferern wurden deutlich weniger Produkte abgenommen. Die erfolgsverwöhnte Branche darbt.

Nach 17 Monaten Corona-Krise gibt es aber langsam wieder Positives zu vermelden. Die Reiserestriktionen wurden in diesem Sommer gelockert. Dies spüren die Hamburger Branchengrößen, wenn auch durchaus unterschiedlich – das Abendblatt beleuchtet die Lage der Unternehmen.

Statt früher bis zu 140 Ziele sind nun 105 Städte im Flugplan

Mitte Juni steht Michael Eggenschwiler auf dem Top-Deck des Terminals 2. Die Aussicht auf das Vorfeld ist von der Veranstaltungsfläche unterm Dach bestens. Die Rollwege und Startpisten sind zumeist aber leer. Statt Passagierjets zieht eine startende Bundeswehr-Transall die Blicke auf sich. „Corona hatte uns ungewollt in den Dornröschenschlaf geschickt“, sagte der Hamburger Flughafen-Chef. Aber nun freue man sich, endlich wieder mehr Passagiere zu begrüßen.

Immerhin bis zu 30.000 Fluggäste sollen es pro Tag in diesem Sommer werden. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es aber noch rund 47.000 im Schnitt pro Tag – in der Hochsaison deutlich mehr. Statt früher bis zu 140 Ziele sind nun 105 Städte im Flugplan. Um das wieder höhere Passagieraufkommen zu bewältigen, wurden Mitarbeiter aus der Kurzarbeit geholt.

Mit Beginn der Pandemie griff der Airport auf das staatliche Hilfsinstrument zurück. Die Kurzarbeit liege seitdem „beständig auf hohem Niveau bei rund 83 Prozent der zur Kurzarbeit berechtigten Beschäftigten“, sagte eine Sprecherin. Berechtigt sind nicht alle der einst rund 2000 Mitarbeiter. Möglich ist das Beschäftigungsinstrument derzeit bis Ende des laufenden Jahres. Der weitere Umfang der Kurzarbeit werde von der künftigen Entwicklung der Passagierzahlen abhängen.

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Flughafen will 200 Stellen bis zum Jahr 2023 streichen

Eine Rückkehr auf das Niveau von 2019 werde frühestens 2025 erwartet. Damals nutzten 17,3 Millionen Fluggäste den Helmut-Schmidt-Flughafen. In diesem Jahr rechnet Eggenschwiler mit 6,5 Millionen Reisenden. Entsprechend werden beim Personal Einschnitte vorgenommen. Bis zum Jahr 2023 sollen 200 Stellen abgebaut werden. Dies soll über Altersteilzeitregelungen und natürliche Fluktuation erreicht werden. Auf betriebsbedingte Kündigungen wolle man verzichten. Nach Angaben von Mitte Mai gelten etwa 140 Stellen als bereits abgebaut.

Finanziell steckt der Airport tief in den roten Zahlen. Für 2020 wurde ein Minus von 113 Millionen Euro ausgewiesen. Durch Zuschüsse von Bund und Ländern für das Offenhalten der Infrastruktur als wichtiger Versorgungsweg trotz kaum vorhandener Flugbewegungen könnte das Minus auf 65 Millionen Euro sinken. Eine Entscheidung über die beantragten Gelder soll demnächst fallen. Aber auch 2021 und 2022 dürfte es noch zweistellige Millionen-Euro-Fehlbeträge geben. Auf der Bilanzpressekonferenz Ende März peilte Eggenschwiler für 2023 eine schwarze Null an.

2020 war „das bisher schwerste Jahr" für Lufthansa Technik

Beim Nachbarn in Fuhlsbüttel sieht es nicht viel besser aus. Die Corona-Krise hat Lufthansa Technik als Weltmarktführer für Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen massiv getroffen. 2020 sei „das bisher schwerste Jahr unserer Unternehmensgeschichte“ gewesen, sagte Vorstandschef Johannes Bußmann auf der Bilanzpressekonferenz im März. Der Umsatz schmolz fast auf die Hälfte.

Lag das Betriebsergebnis 2019 noch beim Rekord von 463 Millionen Euro, stand nun ein Verlust von 383 Millionen Euro auf dem Papier. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. „Die wirtschaftliche Lage ist weiter angespannt, wir rechnen damit, dass das Unternehmen über das Jahr hinweg in der Verlustzone bleiben wird“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Immerhin hofft man darauf, dass 2022 vier Fünftel des Geschäfts aus der Vor-Corona-Zeit zurück sind. Aber mit einer nachhaltigen Erholung wird erst Ende 2023/Anfang 2024 gerechnet.

Ob weitere Arbeitsplätze wegfallen ist unklar

Der mit Milliarden aus der Staatskasse gerettete Mutterkonzern Lufthansa ermittelte einen Personalüberhang von 2500 Stellen in Deutschland bei der Technik-Tochter. Die Konsequenzen: Bereits im Frühjahr 2020 verzichtete man auf die Dienste von rund 1200 Leiharbeitern – ein Großteil von ihnen in Fuhlsbüttel. Mitte Juni 2020 gab es sogar Massenentlassungen in der Hansestadt. Von 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennte man sich in der Probezeit. In diesem Frühjahr standen mit 8000 Menschen schon 500 weniger in Fuhlsbüttel auf der Gehaltsrolle. Sie müssen zudem in diesem Jahr auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie Gehaltserhöhungen verzichten.

Ob weitere Arbeitsplätze am Standort wegfallen, sei Gegenstand interner Kapazitätsanalysen, so der Sprecher. Es liefen Freiwilligenprogramme zur Anpassung der Personalkapazität. Heißt: Nehmen genügend Beschäftigte ein Abfindungsangebot an, könnte auf das zwangsweise verordnete Ausscheiden von Mitarbeitern verzichtet werden. Eine konkrete Anzahl möglicherweise vom Abbau betroffener Arbeitsplätze könne nicht genannt werden. An der Kurzarbeit solle so lange wie möglich und nötig festgehalten werden. Von den 15.000 Mitarbeitern in Deutschland betrifft das momentan etwa zwei Drittel.

Diehl Aviation nutzt umfassend das Instrument Kurzarbeit

Südlich der Elbe hat der größte Hamburger Zulieferer der Branche bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Diehl Aviation nutzt umfassend das Instrument Kurzarbeit und kappt massiv Stellen. Um den Jahreswechsel 2019/20 beschäftigte der Hersteller von Bordküchen und Wascheinheiten noch rund 900 Menschen in der Hansestadt. Ende März 2022 sollen es nur noch 470 Personen sein. In diesem Jahr sei zwar die „Talsohle des krisenbedingten Einbruchs erreicht“, sagt ein Sprecher, „aber die Erholung wird noch einige Jahre dauern“.

Bei Hanse-Aerospace kehrt nach und nach die Zuversicht zurück. In dem Verein sind rund 140 Zulieferer der Luft- und Raumfahrtindustrie mit 15.000 bis 20.000 Beschäftigten in der Metropolregion zusammengeschlossen. „So ganz langsam kommt die Luftfahrt wieder in Gang“, sagte der geschäftsführende Vorsitzende Nils Stoll Ende Mai. Bisher habe man nicht viele Betriebe durch Insolvenzen verloren. Das liege auch an den Corona-Hilfskreditprogrammen, die aufgelegt wurden.

Sein Optimismus stützt sich auf die damalige Entscheidung von Airbus, die Raten für die Flugzeugprogramme wieder zu erhöhen. „Das ist genau das richtige Signal, das viele Betriebe jetzt auch brauchen“, sagte Stoll, der im Hauptberuf Geschäftsführer von Krüger Aviation ist. Der Barsbütteler Betrieb ist Weltmarktführer für Spiegel in Waschräumen von Flugzeugen und stattet zum Beispiel die A320-Familie aus – und für den Verkaufsschlager verkündete der Flugzeugbauer im Mai große Pläne.

Airbus-Chef: "Die Luftfahrtbranche beginnt sich zu erholen“

„Die Luftfahrtbranche beginnt sich von der Covid-19-Krise zu erholen“, sagte Airbus-Chef Faury. Statt 40 Flieger der A320-Familie sollen im vierten Quartal 45 Flieger pro Monat gefertigt werden. Für das zweite Quartal 2023 wird mit einer „festen Rate von 64“ geplant – das wären mehr als vor der Krise und so viele wie nie.

Der Konzern rechnet mit weiterer Erholung des Markts. Daher sollen sich die Zulieferer darauf vorbereiten, dass im ersten Quartal 2024 70 dieser Flieger pro Monat gefertigt werden. Für 2025 wurde sogar die Rate 75 in Aussicht gestellt. Traditionell kommt mehr als die Hälfte dieser Flieger aus einer der vier Hamburger Endmontagelinien. Zudem gibt es in Toulouse zwei solcher Fertigungsstraßen, in Mobile (USA) und Tianjin (China) jeweils eine.

Bei Airbus gibt es Ärger über geplanten Konzernumbau

Die Perspektiven für den Flugzeugbauer bessern sich und sehen eigentlich gut aus – die Stimmung in der Belegschaft ist aber angespannt. Das liegt an den harten Einschnitten, die das Personal betreffen. Für mehrere Tausend Beschäftigte wurde im vergangenen Jahr Kurzarbeit angemeldet. In Norddeutschland mussten 1100 Leiharbeiter gehen, etwa 600 davon auf Finkenwerder. Ende Juni 2020 kündigte das Unternehmen an, dass 2260 Jobs in Hamburg wegfallen sollen. Das entspricht etwa jeder siebten Stelle. Betriebsbedingte Kündigungen wurden nicht ausgeschlossen.

Fürs Gesamtjahr weist der Konzern einen Verlust von 1,1 Milliarden Euro nach Steuern aus. Nach langwierigen Verhandlungen einigte man sich Anfang März mit den Arbeitnehmervertretern. Entlassungen gibt es nicht. Rund 2300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlassen den Konzern freiwillig mit einer Abfindung. Auch die Kurzarbeit wird deutlich zurückgefahren.

Doch Ruhe kehrt nur kurz ein. Wenige Wochen später verkündet der Konzern eine Umstrukturierung. Die Fertigung von Rumpfschalen soll von der einst ausgegliederten Tochter Premium Aerotec Group (PAG) zwar wieder näher an den Konzern geholt werden, aber in eine neue Aerostructures-Tochter gepackt werden. Und die Strukturmontage, in der auf Finkenwerder die Rumpfschalen zu Rumpfsektionen verbaut werden, soll ebenfalls Teil der neuen Tochter werden. Mitte Mai sickert durch, dass auch die Ausrüstungsmontage – also das Verlegen von Elektrokabeln, Hydraulik- und Klimarohren in den Rümpfen – in der neuen Firma erfolgen soll.

IG Metall fordert bis 2035 eine Beschäftigungsgarantie

Letztlich sollen das gesamte Werk Stade mit 2300 Beschäftigten sowie 4000 Mitarbeiter auf Finkenwerder von der Airbus Operations GmbH in die neue Aerostructures-Einheit wechseln. Betriebsrat und IG Metall sind entsetzt, befürchten eine Verschlechterung der Arbeitskonditionen, hohen Wettbewerbsdruck für die neue Firma und sprechen von einer Salamitaktik. „Wir haben ein Management, dem kein Mensch mehr vertraut“, sagte Holger Junge, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, auf einer Protestkundgebung im Mai.

Die IG Metall fordert nun bis 2035 eine Beschäftigungs- und Standortgarantie. Zwar können die Arbeitnehmervertreter eine Ausgliederung nicht verhindern, aber für die Absicherung der Mitglieder in Sozialverträgen sei man zuständig und mobilisierungsfähig. Wenn das Management nicht mit der Gewerkschaft spreche, „laufen wir in einen heißen Herbst hinein“, sagte Bezirksleiter Daniel Friedrich. Aktionen und Warnstreiks seien möglich.

A321XLR soll Airbus aus der Krise fliegen

Airbus erwartet zwischen 2023 und 2025 eine Rückkehr des Flugverkehrs auf das Vorkrisenniveau. Zunächst soll sich der Kurz- und Mittelstreckenverkehr erholen. Im Anschluss folge die Langstrecke und das entsprechende Fluggerät – und da sieht sich Airbus mit einem neuen Modell gut aufgestellt. „Der A321XLR ist das perfekte Flugzeug, um aus der Covid-19-Krise herauszufliegen“, sagte der damalige Chief Operating Officer (COO) Michael Schöllhorn im Dezember dem Abendblatt.

Durch einen neuen Tank im Frachtraum kann die Maschine bis zu 8700 Kilometer nonstop fliegen. Das ermöglicht Langstreckenflüge wie von Hamburg nach Chicago. Die Hoffnung des Konzerns: In einem langsam anziehenden Langstreckenmarkt greifen Fluglinien verstärkt auf den kleinen Flieger mit extralanger Reichweite zurück, weil er schneller hoch ausgelastet wird als ein Großraumflieger. 2023 soll die Maschine erstmals ausgeliefert werden. Der Pluspunkt für die Hansestadt: Sie wird (derzeit) nur an der Elbe montiert.

Erholt sich Airbus? Wirtschaftssenator ist optimistisch

Wirtschaftssenator Michael Westhagemann ist voll des Lobes und bezeichnet den Jet als „das kommende Langstreckenflugzeug der ,Post-Covid-Ära‘“. Trotz der aktuellen Probleme der Branche ist der parteilose Politiker optimistisch. „Schon heute ist der Luftfahrtstandort Hamburg für die Zukunft gut aufgestellt“, sagte er dem Abendblatt mit Blick auf die Ankerfirmen Airbus, Flughafen und Lufthansa Technik. Die Hansestadt sei der global führende Standort für Flugzeugkabinen und stark wachsend in neuen Geschäftsfeldern. Auch bei der Entwicklung eines „grünen“, mit Wasserstoff angetriebenen Fliegers wolle die Stadt eine maßgebliche Rolle spielen.

Airbus plant, den „grünen“ Flieger 2035 in die Luft zu bringen. Man wolle „zum Pionier einer nachhaltigen Luftfahrt werden“, sagte Faury. Das Positive: Wer sich solch langfristige Ziele setzt, bangt wohl nicht mehr um die Existenz des Unternehmens.