Hamburg. Vorstand Michael Schöllhorn will auf Kündigungen in Hamburg verzichten, spricht über neuen Langstreckenjet und Wasserstoffantrieb.
Am Ende des größten Krisenjahres für die Luftfahrt verbreitet Airbus Zuversicht für 2021. „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Es ist unser Wille, ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen“, sagte Chief Operating Officer Michael Schöllhorn im Exklusiv-Interview mit dem Abendblatt. Versprechen könne er dies wegen vieler Unsicherheiten allerdings nicht.
Der Flugzeugbauer mit 15.000 Beschäftigten in Hamburg wurde von der Corona-Pandemie hart getroffen. Weil die Zahl der Passagiere massiv einbrach, hatten die Airlines kein Geld, ihre neuen Flugzeuge zu bezahlen. Im April wurde die Rate für die A320-Familie um ein Drittel auf 40 Maschinen pro Monat gekürzt.
Als Folge verkündete der Konzern, bundesweit 5100 Jobs, davon 2260 in der Hansestadt, zu streichen. Allerdings könnte der Stellenabbau geringer ausfallen, sagte Schöllhorn nun. Durch Förderprogramme von Bund und Ländern könne man „mehrere Hundert Beschäftigte an Bord halten“. Zudem hilft die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes – und es gibt Hoffnung auf ein Wiederhochfahren der Produktion. „Mit Zulieferern haben wir über eine Anhebung der Rate auf 47 bei der A320-Familie im zweiten Halbjahr 2021 gesprochen“, sagte Schöllhorn.
Neuer Langstrecken-Airbus soll Hamburger Arbeitsplätze sichern
Große Hoffnungen für die Zukunft setzt der Manager auf ein neues Flugzeug: den A321XLR. Durch einen neuen Tank im Frachtraum kann die Maschine bis zu 8700 Kilometer nonstop fliegen. Das ermöglicht Langstreckenflüge wie zum Beispiel von Hamburg nach Chicago oder Mumbai. „Der A321XLR ist das perfekte Flugzeug, um aus der Covid-19-Krise herauszufliegen“, sagte Schöllhorn.
Der Jet soll 2023 in den Markt kommen und wird zunächst nur im Werk auf Finkenwerder endmontiert. Mehr als 450 Bestellungen für ihn liegen vor. Insgesamt stehen im Orderbuch 7300 Maschinen. Bei den Aufträgen erwartet er durch die Branchenkrise Verschiebungen nach hinten, aber kaum Streichungen.
Generell ist Schöllhorn für den Standort Hamburg optimistisch. „Wir sind überzeugt, dass wir nach einer Krise wieder durchstarten können. Dann werden wir auch wieder Beschäftigung aufbauen.“ Sorgen bereite aber die Lage der Zulieferer – die Einschätzung deckt sich mit einer neuen Umfrage der IG Metall.
Herr Schöllhorn, wie häufig fliegen Sie derzeit noch?
Michael Schöllhorn: Ich fliege regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche, von meinem Wohnort München vor allem zu unseren Hauptstandorten Toulouse und Hamburg. Früher waren es gut doppelt so viele Flüge.
"Fliegen ist in Corona-Zeiten sicherer als der tägliche Einkauf"
Fühlen Sie sich an Bord sicher?
Michael Schöllhorn: Ich mache das jetzt seit neun Monaten, mache jede Woche zwei Covid-Tests. Ich habe mich immer sicher gefühlt und fühle mich bestätigt: Ich fliege und ich bin weiterhin gesund. Die Luft wird in Flugzeugen alle zwei bis drei Minuten erneuert. Und der Teil, der nicht ausgetauscht wird, wird über Hepa-Filter gereinigt, die die Coronaviren herausfiltern. Auch tragen alle an Bord Masken. Das Risiko, sich bei Flugreisen anzustecken, liegt Untersuchungen zufolge bei einem Bruchteil dessen, was man beim täglichen Einkauf eingeht.
Trotzdem fliegen nur wenige Menschen. Die Branche trifft das Coronavirus voll ...
Michael Schöllhorn: Was wir jetzt brauchen, ist eine konsequente Teststrategie. Das ist für einen Neustart des Luftverkehrs essenziell. Die Menschen wollen fliegen, jetzt muss das Flickwerk unterschiedlichster Restriktionen überwunden werden.
Airbus erwartet eine erste leichte Erholung Mitte nächsten Jahres
Wann rechnen Sie mit einer Erholung der Branche?
Michael Schöllhorn: Wir sind mitten in der zweiten Corona-Welle. Was die Fluggesellschaften in den nächsten Monaten machen werden, können wir nicht vorhersagen. Daher bleiben wir vorsichtig. Wir erwarten eine erste leichte Erholung Mitte nächsten Jahres. Dann könnten wir die Produktionsrate bei der A320-Familie, die wir im April von 60 auf 40 Maschinen pro Monat gesenkt haben, wieder anheben. Die Krise haben wir genutzt, um unsere internen Abläufe weiter zu verbessern, die Produktion zu stabilisieren und die Digitalisierung weiter voranzutreiben. Damit sehen wir uns für die nächsten Schritte gut aufgestellt. Mit Zulieferern haben wir über eine Anhebung der Rate auf 47 bei der A320-Familie im zweiten Halbjahr 2021 gesprochen. Die Kurve könnte aber auch etwas später oder flacher ansteigen. Wir beobachten die Lage aufmerksam.
Manche Experten halten selbst die Rate 40 für zu hoch. Müssen Sie die Rate noch weiter absenken?
Michael Schöllhorn: Nein, die 40 haben sich bestätigt und waren rückblickend sehr gut gewählt. Seit Sommer liefern wir sogar wieder mehr Flieger aus als wir produzieren. Wir sehen uns auch bei den Raten für unsere A330- und A350-Großraumflugzeuge richtig aufgestellt, auch wenn hier die Erholung dauern wird.
"Je länger die Krise dauert, umso mehr Zulieferer werden in Bedrängnis kommen"
Stellt sich Airbus darauf ein, womöglich kriselnde Zulieferer aufzukaufen?
Michael Schöllhorn: Nein, einen Aufkauf von Zulieferern planen wir nicht. Wir haben aber im zweiten Quartal weiter deren Produkte abgenommen, obwohl wir nicht jedes Flugzeug ausliefern konnten. Da haben wir einige Milliarden Euro im Bestand aufgebaut. Klar ist: Je länger die Krise dauert, umso mehr Zulieferer werden in Bedrängnis kommen. Wir sprechen mit ihnen und geben gezielt Hilfe, zum Beispiel ziehen wir Aufträge vor oder vereinbaren neue Zahlungsziele.
In Ihrem Auftragsbuch stehen 7300 Maschinen. Glauben Sie wirklich, dass alle diese Flugzeuge angesichts der klammen Airline-Kassen noch abgenommen werden?
Michael Schöllhorn: Wir sehen Verschiebungen, aber kaum Streichungen. Und selbst wenn einzelne Aufträge storniert werden – die Größenordnung stimmt in etwa. Die Airlines halten an ihren Bestellungen fest. Alle rechnen damit, in Zukunft wieder Flieger abzunehmen, weil die Luftfahrt weiter wachsen wird. Ansonsten müssen sie sich nach einer Streichung der Aufträge wieder hinten anstellen.
Wenn es künftig wieder bergauf gehen soll, warum beharren Sie dann auf der Streichung von 5100 Stellen in Deutschland inklusive 2260 in Hamburg?
Michael Schöllhorn: Bei den 5100 Positionen handelt es sich um eine rechnerische Größe. Sie spiegelt die Unterauslastung als Folge der Ratenreduzierungen bei allen Flugzeugprogrammen wider. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate gibt uns die Flexibilität, dass wir diese Zahl nicht stumpf in Streichungen umsetzen müssen. Wenn wir Mitte nächsten Jahres die Rate für die A320-Familie wie erhofft anheben können, reduziert dies die Unterauslastung. Die Kurzarbeit kann zurückgefahren werden. Und als weitere Folge werden deutlich weniger als die 5100 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen. Durch Förderprogramme von Bund und Ländern für zum Beispiel Entwicklung von Wasserstofftechnologien können wir Ingenieure auf Forschungsthemen setzen, die wir uns sonst in der Krise nicht leisten könnten. Dadurch können wir mehrere Hundert Beschäftigte an Bord halten, die in den 5100 Stellen enthalten sind.
Airbus will ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen
Sie haben betriebsbedingte Kündigungen bis Ende März 2021 ausgeschlossen. Und dann?
Michael Schöllhorn: Wir werden uns im März mit den Arbeitnehmervertretern zusammensetzen und schauen, wie weit die Erholung fortgeschritten ist, wie hoch die Rate ist, wie hoch die Auslastung ist. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Es ist unser Wille, ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen. Versprechen können wir dies bei den immer noch vielen Unsicherheiten allerdings nicht.
Schon zum Jahresanfang droht ein harter Brexit. In Großbritannien werden die Flügel für die Passagierflugzeuge gebaut, die später auch in Hamburg endmontiert werden. Ist die Produktion gefährdet?
Michael Schöllhorn: Wir haben uns schon länger auf den Brexit vorbereitet. Wir haben die Zeit genutzt, unsere Prozesse abzusichern und zu verbessern. So haben wir unsere Bestände hochgefahren und Abläufe bei Verschiffungen, Transport und möglichen Verzollungen verbessert. Insofern fühlen wir uns hinreichend vorbereitet. Vielleicht ruckelt es am Anfang etwas, aber Produktion und Zertifizierung werden nicht gefährdet sein.
Hamburg ist und bleibt unser Kompetenzzentrum für die A320-Familie
Hamburg ist der größte deutsche Standort. Wie wird er sich entwickeln?
Michael Schöllhorn: Im Moment müssen wir unsere Kostenstrukturen an die deutlich niedrigere Auslastung anpassen. Wir sind aber überzeugt, dass wir nach einer Krise wieder durchstarten können. Dann werden wir auch wieder Beschäftigung aufbauen. Hamburg ist und bleibt unser Kompetenzzentrum für die A320-Familie. Die Hamburger machen einen guten Job, müssen sich ihren Status aber auch immer wieder verdienen. Wir starten jetzt mit den Vorbereitungen für die Langstreckenversion A321XLR – auch das sichert die Beschäftigung am Standort.
Airbus setzt in das Flugzeug große Hoffnungen – warum?
Michael Schöllhorn: Der A321XLR ist das perfekte Flugzeug, um aus der Covid-19-Krise herauszufliegen. Entwickelt in Europa und gebaut in Hamburg. Der Markteintritt ist für das Jahr 2023 geplant. Derzeit liegt der Langstreckenbereich vollkommen am Boden. Wir erwarten im Großraum-Segment frühestens 2024/25 Produktionsraten, die wir 2019 hatten. Auch früher gab es bei Langstrecken „dünne Routen“, auf denen sich der Einsatz eines Großraumjets nicht lohnte, weil die Airlines die Flieger nicht voll bekamen. Diese „dünnen Routen“ wird es nach der Krise zunächst fast ausschließlich geben – durch den Einsatz der A321XLR können sie für Airlines aber profitabel werden. Zudem gibt es auch Chancen für neue Direktverbindungen von Hamburg, Berlin oder Düsseldorf zum Beispiel nach Chicago oder Mumbai. Denn bis zu 8700 Kilometer nonstop sind mit der Maschine möglich. Für Passagiere sollte es dadurch neue, attraktive Angebote geben, durch die Umsteigen unnötig wird.
Es wird in Hamburg für den A321XLR eine eigene Pilotlinie geben
Was ist bei der XLR-Produktion schwierig?
Michael Schöllhorn: Es gibt drei besondere Herausforderungen. Die große Reichweite des Flugzeugs ergibt sich durch den Einbau eines Tanks mit rund 13.000 Liter Fassungsvermögen. Der Tank ist praktisch Bestandteil des Rumpfes, daher muss sehr präzise gearbeitet werden. Zweitens wird die Kabine viel komplexer. Die Airlines können wählen, ob sie Business-Class-Sitze sowie zusätzliche Küchen und Waschräume einbauen lassen wollen. Die Dämmung ist hochwertiger. Drittens wird das Flugzeug schwerer beim Startgewicht, weil es mehr Kerosin mitnehmen muss. Das führt zu Verstärkungen des Fahrwerkes und vieler weiterer Dinge, die die Produktion aufwendiger machen. Daher wird es in Hamburg für die XLR eine eigene Pilotlinie geben, um die Taktung der „normalen“ A320-Maschinen nicht zu stören.
An welchen Standorten soll die XLR-Version noch endmontiert werden?
Michael Schöllhorn: Das Zentrum wird in Hamburg bleiben. Danach könnte der Typ auch im US-Werk in Mobile gebaut werden. Alles andere werden wir in Zukunft sehen.
In 15 Jahren soll ein mit Wasserstoff angetriebenes Airbus-Flugzeug in die Luft gehen. Ist das realistisch?
Michael Schöllhorn: Das ist realistisch, aber anspruchsvoll. Wenn wir 2035 in Serie gehen wollen, müssen wir 2027/28 ein echtes Flugzeugprogramm starten. Das heißt: Wir müssen bis 2025 die entsprechenden Technologien entwickelt und eine Entscheidung für eines der drei derzeit vorangetriebenen Konzepte getroffen haben.
Beim Wasserstoff-Airbus gibt es drei Varianten
Was sind die größten Schwierigkeiten?
Michael Schöllhorn: Die große Herausforderung ist die Speicherung des flüssigen Wasserstoffs im Flugzeug. Es gibt derzeit zwei Optionen: entweder unter den Flügeln oder im Rumpf. Es ist ein doppelwandiger Tank notwendig. Der Wasserstoff muss anschließend dorthin verteilt werden, wo er verbraucht wird, also zur Turbine oder in die Brennstoffzelle. Und natürlich muss die Sicherheit gewährleistet sein.
Wie groß, schnell und für welche Strecken wird der „grüne“ Flieger geeignet sein?
Michael Schöllhorn: Das hängt vom Konzept ab, das sich durchsetzt. Derzeit untersuchen wir drei Varianten. Mit einem Turbopropantrieb dürften bis zu 2000 Kilometer Reichweite und 100 Passagiere realistisch sein. Beim Turbofan – der dem A320 am ähnlichsten ist – rechnen wir mit 200 Passagieren und bis zu 3700 Kilometern. Den Nurflügler sehen wir in ähnlichen Dimensionen wie den Turbofan. Die Turboprop-Maschine sollte schneller sein als eine heutige Propeller-Maschine, aber langsamer als ein A320. Der Turbofan sollte etwa genauso schnell sein wie der A320. Wir werden uns für das Konzept entscheiden, das am Markt die besten Chancen bietet.