Hamburg. Stefan De Loecker geht, Vincent Warnery übernimmt. Im Konzern gibt es verschiedene Baustellen, die der neue Chef bearbeiten muss.
Wenn der Vorstandschef des Hautpflegekonzerns Beiersdorf einmal im Vierteljahr die Geschäftszahlen für das abgelaufene Quartal bekannt gibt, ist das normalerweise kein Ereignis mit großem Überraschungspotenzial. Der Termin steht lange vorher fest, die Abläufe bei der Telefonkonferenz mit Journalisten sind eingeübt. Doch am gestrigen Mittwoch stand nicht die Geschäftsentwicklung im Mittelpunkt des Interesses.
Denn nur wenige Stunden zuvor hatte Beiersdorf das Aus von Konzernchef Stefan De Loecker nach nur gut zwei Jahren auf dem Chefsessel bekannt gegeben. Ein Paukenschlag, Gründe für das vorzeitige Ende wurden nicht genannt. Als Nachfolger bestimmte der Aufsichtsrat Vincent Warnery, der bislang das Drogeriegeschäft und den US-Markt für Beiersdorf verantwortet.
Klebstoffsparte Tesa mit einem Umsatzplus von 23,6 Prozent
Dass Noch-Vorstandschef De Loecker es sich am Morgen danach trotzdem nicht nehmen ließ, den Routinetermin wie gewohnt wahrzunehmen, lässt ahnen, dass bei dem Nivea-Hersteller mit Sitz in Hamburg aktuell Ausnahmezustand herrscht. Zugleich wollte der 53-Jährige bei einem letzten Auftritt wohl auch die Chance nutzen, Erfolge bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zu unterstreichen.
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Der Kosmetikkonzern schnitt in den ersten Monaten 2021 besser ab als ursprünglich erwartet und meldete 1,9 Milliarden Euro Umsatz – ein Plus von 6,3 Prozent zum Vorjahr. „Wir sehen den Turnaround bei den Ergebnissen im ersten Quartal“, sagte der gebürtige Belgier. Dabei profitiert das Unternehmen von einem Aufschwung in der Klebstoffsparte Tesa mit einem Umsatzplus von 23,6 Prozent. Das Hautpflegegeschäft, das den Löwenanteil der Erlöse ausmacht, erzielte dagegen nur ein leichtes organisches Wachstum, vor allem mit teureren Marken wie Eucerin und der Luxuspflege La Prairie. Die Kernmarke Nivea stagniert derweil.
De Loecker antwortete zugeknöpft bei Fragen zu den Gründen für seinen abrupten Abgang
Deutlich zugeknöpfter als bei der Präsentation der Zahlen war De Loecker bei Fragen zu den Gründen für seinen abrupten Abgang. Er habe in den vergangenen Monaten für sich Bilanz gezogen, erklärte er. Die Unternehmensstrategie C.A.R.E.+, die er dem Konzern bei Amtsantritt verordnet hatte und die vor allem auf Digitalisierung und Internationalisierung setzt, greife und werde sich weiterentwickeln. Er sei zu dem Schluss gekommen, „dass es für mich der richtige Zeitpunkt ist für eine Veränderung“.
Dabei machte er deutlich, dass es seine Entscheidung gewesen sei, den Chefsessel zu verlassen. Schon bei seinem Amtsantritt Anfang 2019 habe er gesagt, dass die Zeit für Veränderungen kommen werde, wenn er erfolgreich sei. „Beiersdorf war nicht unerfolgreich“, sagte er nun vor den Journalisten. Eine Antwort auf die Frage des Abendblatts, wie sein Verhältnis zum Aufsichtsrat gewesen sei, blieb De Loecker allerdings schuldig. Stattdessen beließ er es bei Allgemeinplätzen.
Beschäftigte seien „geschockt“
In der Pressemitteilung vom Vortag war von einer „einvernehmlichen“ Trennung die Rede. Dass der Belgier zumindest schweren Herzens geht, lässt sich aus einer Mail an alle 20.000 Mitarbeiter des Konzerns ablesen. Dort schreibt er explizit, dass der Prozess der Trennung für ihn „nicht einfach“ sein werde.
Das überraschende Ende der Ära De Loecker, der seit 2012 bei Beiersdorf ist und schon vor dem Wechsel auf den Chefposten mit dem Ausbau des Asien-Geschäfts maßgeblich zum Erfolg seines Vorgängers Stefan Heidenreich beigetragen hatte, ließ auch die Beschäftigten nicht kalt. „Geschockt“ seien sie gewesen, heißt es von mehreren Mitarbeitern.
Trennung hat sich angekündigt
Allerdings hatte sich schon in den vergangenen Monaten angekündigt, dass es nicht rundläuft im Topmanagement des Konzerns. Mehrere Personalwechsel, unter anderem wurde Finanzvorständin Dessi Temperly durch Astrid Herrmann ersetzt, sorgten für Unruhe. Im Corona-Jahr war der Umsatz im Vergleich zu 2019 zudem um gut acht Prozent auf sieben Milliarden Euro geschrumpft.
Der Gewinn brach um knapp ein Fünftel auf 636 Millionen Euro ein. Dazu kommt, dass der Aktienkurs nach einem Anstieg wieder absackte und seitdem quasi auf dem Niveau von gut 90 Euro wie bei De Loeckers Amtsantritt verharrt. Des Weiteren ist das Unternehmen aus dem Leitindex DAX in den MDAX abgestiegen.
Vincent Warnery soll es richten
Offenbar reichten die wirtschaftlichen Ergebnisse der Großaktionärsfamilie Herz, die mit Wolfgang Herz im Aufsichtsrat vertreten ist, nun nicht mehr aus. In Unternehmenskreisen ist zu hören, dass es zwischen De Loecker und dem Kontrollgremium zu Unstimmigkeiten über den Wandel des Konzerns gekommen sein soll. Jetzt war offenbar keine gemeinsame Linie mehr möglich.
Nachfolger Vincent Warnery soll es nun richten. Schon am Sonnabend, den 1. Mai, tritt der 52-Jährige sein neues Amt an. Es ist kein Zufall, dass mit Warnery der Vorstand an die Spitze rückt, der mit der Verantwortung für den Bereich Pharmacy & Selective sowie das Nordamerikageschäft besonders gute Ergebnisse vorweisen kann.
Investitionspaket in Höhe von 300 Millionen Euro
Er selbst, aber auch Aufsichtsratschef Reinhard Pöllath haben angekündigt, dass der von seinem Vorgänger eingeschlagene Kurs fortgesetzt werden soll. De Loeckers Unternehmensstrategie habe alle überzeugt, so Pöllath. Zugleich bescheinigte er dem designierten Vorstandschef, er bringe „mit seinen umfassenden Hautpflege-Erfahrungen und -Erfolgen den richtigen Schwung in unsere Anstrengungen für Beiersdorfs Zukunft“.
Dafür hat der gebürtige Franzose ein Investitionspaket in Höhe von 300 Millionen Euro zur Verfügung. Bereits seit 2019 steckt der Konzern zudem jährlich 70 bis 90 Millionen Euro in seine Hautpflegesparte, um deren Wachstum zu beschleunigen. Warnery kennt das Unternehmen gut. Der studierte Betriebswirt ist 2017 zu Beiersdorf gekommen und hat den Bereich Global Consumer Health Care aufgebaut und geleitet. Zuvor war der Vater von drei erwachsenen Söhnen in unterschiedlichen Positionen für Procter & Gamble, L’Oreal und den Pharmakonzern Sanofi tätig.
Verschiedene Baustellen für den Franzosen
Beobachter sehen verschiedene Baustellen für den Franzosen, der Opern von Puccini liebt und in seiner Freizeit gerne wandert. Der Kosmetikmarkt hat sich in den vergangenen Jahren massiv gewandelt. Gerade in Europa schwindet die Allmacht von Traditionsmarken wie Nivea. Besonders kleine Unternehmen mit innovativen Konzepten setzen die etablierten Anbieter unter Druck.
Ein Beispiel ist der Bereich Naturkosmetik, einer der wichtigsten Wachstumsmärkte der Branche. Beiersdorf hat lange gezögert, anders als die Konkurrenz das Portfolio nicht maßgeblich mit Zukäufen erweitert. Stattdessen kommen erst jetzt mit der Gesichtspflegeserie Nivea Natural Balance schrittweise die ersten grünen Eigenentwicklungen in die Regale. Auch beim Thema nachhaltiger Verpackung ist man langsam unterwegs. Erst bis 2025 soll 50 Prozent weniger Neuplastik eingesetzt werden, lautet das Ziel.
Onlinegeschäft ist ein Schwachpunkt
Ein weiterer Schwachpunkt des Konzerns ist das Onlinegeschäft. Zwar hat Beiersdorf aufgeholt und im ersten Quartal Zuwachsraten von mehr als 70 Prozent erzielt. Zur Einordnung ist allerdings nicht unwichtig zu wissen, dass der Anteil am Gesamtumsatz gerade mal im „hohen, einstelligen Bereich“ liegt, wie De Loecker bei seiner letzten Quartalsvorlage als Beiersdorf-Chef sagte.