Hamburg. Der Deutschen liebstes Sparmodell ist seit Jahren in der Krise. Experten sagen, was Verbraucher jetzt tun können.

Seit Jahren müssen sich die Kunden von Lebens- und Rentenversicherungen mit einer sinkenden Verzinsung abfinden. Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank deutet darauf hin, dass sich daran in den nächsten Jahren nichts ändern wird. Die Versicherer aber auch Sparer und Anleger finden kaum noch ertragreiche Zinsanlagen. „Unter den Verbrauchern gibt es eine große Verunsicherung“, sagt Kerstin Becker-Eiselen, Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg.

„Viele wollen wissen, wie sie mit ihrer Lebens- oder Rentenversicherung weiter umgehen sollen.“ Behalten oder kündigen? Wie sicher ist das Geld bei der Versicherung, der beliebtesten Form der Geldanlage in Deutschland? Welche Alternativen gibt es zur Kündigung? Welche Policen lohnen sich noch?

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wer ist betroffen?

Fast alle. Rein rechnerisch hat jeder hierzulande lebende Mensch mindestens eine Lebens- oder Rentenversicherung. Das kann eine privat abgeschlossene Police sein, eine Direktversicherung über den Arbeitgeber oder ein Riester-Vertrag. Insgesamt zählt der Branchenverband GDV 84,5 Millionen Policen in diesem Segment. Die Deutschen haben Ansprüche von über zwei Billionen Euro gegenüber Versicherungen.

Wie ist die Lage der Versicherer?

Seit Jahren sinkt die Überschussbeteiligung, also die jährliche Verzinsung, die die Versicherten auf ihren Sparanteil erhalten. Lag der Durchschnittswert 2011 noch bei mehr als vier Prozent, sind es in diesem Jahr 2,06 Prozent, ergab die jährliche Umfrage des Abendblatts bei den 40 größten Lebensversicherern. Sie sind stark von Anleihen abhängig, in denen im Schnitt fast 83 Prozent ihrer Kapitalanlagen stecken, doch das Zinsniveau hat durch die Pandemie neue Tiefststände erreicht.

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„Um die Garantien der Kunden langfristig zu sichern, wurde bereits 2011 die Zinszusatzreserve eingeführt“, sagt Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata. Das ist für die Versicherungen eine Art Kapitalpuffer, den sie mit eigenen Mitteln auffüllen müssen. Das Geld, um Altverträge mit hohem Garantiezins abzusichern, fehlt dann aber für die Überschussbeteiligung der Kunden. Sie müssen sich darauf einstellen, dass die Ablaufleistung oder die Rente weiter sinkt.

Wie sicher ist mein Geld bei der Versicherung?

Der Bund der Versicherten (BdV) analysiert jährlich die Solvenzberichte der deutschen Lebensversicherer. Die Solvenz zeigt, wie wirtschaftlich gesund ein Unternehmen für die ̈nächsten Jahre aufgestellt ist. „23 der 80 untersuchten Unternehmen sind in ernsten Schwierigkeiten“, sagt BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein. Allerdings berücksichtigt die Verbraucherorganisation nicht die Übergangsmaßnahmen, die den Unternehmen vom Gesetzgeber ermöglicht wurden.

 In einer ähnlichen Untersuchung kommt auch das Unternehmen Policen direkt zu dem Ergebnis, dass 22 Unternehmen ohne diese Bilanzierungshilfen eine Solvenzquote von unter 150 Prozent haben. Im Branchendurchschnitt liegt sie bei 234 Prozent.̈“Das erste Corona-Krisenjahr hat die Risikopuffer der Gesellschaften deutlich belastet“, sagt Henning Kühl, Versicherungsmathematiker von Policen Direkt.

Aber der Gesamtmarkt sei weitgehend stabil. Verbraucherschützerin Becker-Eiselen warnt vor Panik: „Wir vermuten nicht, dass die Kundengelder in der Branche aktuell in Gefahr sind. Dazu sind die Mechanismen der Finanzaufsicht BaFin zu eng.“ Allerdings binden sich Versicherte mit einer Police jahrzehntelang an ein Unternehmen.

Wie kann ich beurteilen, wie gut mein Vertrag ist?

Dafür gibt es einige Indizien. Eine Grundlage ist die jährliche Standmitteilung, die der Versicherer schickt. Darin findet sich auch der aktuelle Rückkaufswert des Vertrages. „Liegen die gesamten Einzahlungen bis zum Laufzeitende deutlich unter der garantierten Leistung, so spricht das in der Regel für eine Fortführung des Vertrages, denn die Zinsen für andere sichere Anlagen liegen praktisch bei null Prozent“, sagt Becker-Eiselen.

„Eine fondsgebundene Rentenversicherung, die nach vielen Jahren noch klar unter den Einzahlungen liegt, kann eher ein Anhaltspunkt dafür sein, nicht weiter einzuzahlen.“ Am Ende komme es auf den Einzelfall an. Die Verbraucherzentrale bietet eine Vertragsprüfung von Versicherungsverträgen an. Das kostet 85 Euro und dauert sechs Monate.

Ist die Kündigung eines Vertrags sinnvoll?

Eine Kündigung ist in der Regel immer die schlechteste Alternative. Der Rückkaufswert kann geringer sein als die bisherigen Einzahlungen. Nicht kündigen sollte man, wenn der Vertrag noch mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung gekoppelt ist, denn dann verliert man auch diesen Schutz.

Welche Alternativen gibt es?

Man kann den Vertrag beitragsfrei stellen, leistet also keine weiteren Einzahlungen. Dann sinkt zwar die Versicherungssumme und die spätere Auszahlung oder Rente, aber die bisher regelmäßig geleiteten Einzahlungen in die Versicherung können fortan für eine andere Anlage genutzt werden. Das bietet sich an, wenn man mit der bisherigen Entwicklung des Vertrages nicht zufrieden ist, eine Kündigung aber zu Verlusten führen würde.

Kann ein Vertrag rückabgewickelt werden?

Schludrigkeiten des Versicherers können noch viele Jahre später vom Versicherten ausgenutzt werden. „Verträgen, die zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen wurden, kann man widersprechen, wenn eine falsche Widerspruchsbelehrung vorliegt oder diese ganz fehlt“, sagt Becker-Eiselen. „Der Vertrag kann dann rückabgewickelt werden, so dass der Verbraucher seine Beiträge abzüglich der Risikokosten zurückbekommt. Die Verzinsung richtet sich danach, was der Versicherer mit den Kapitalanlagen erwirtschaftet hat.

Das ist in der Regel mehr als die im Vertrag versprochene Leistung.“ Allerdings ist das kein Selbstläufer, denn die Versicherer lehnen eine Rückabwicklung häufig ab. Dann bleibt nur eine Klage und die Gerichte entscheiden nicht immer zu Gunsten der Verbraucher. Entscheidend sind unklare oder fehlerhafte Informationen zum Widerrufsrecht. Dann beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen. Der Widerruf kann auch Jahre nach Abschluss noch erfolgen und führt zur Rückabwicklung der Police.

Kann ich meine Lebens- oder Rentenversicherung auch verkaufen?

Das ist möglich. Einen Überblick über seriöse Aufkäufer liefert der Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen. Allerdings suchen sich die Unternehmen aus, welche Policen sie ankaufen. Für den Verkäufer gibt es in der Regel einen höheren Betrag als bei einer Kündigung. Die Aufkäufer führen die Verträge fort und kassieren dann die Ablaufleistung.