Hamburg. Jeder 10. hat Probleme beim Anbieterwechsel, sagt das Hamburger Unternehmen Wechselpilot. Was Betroffene tun können.

Jahrelang wurden die Verbraucher gedrängt, den Stromanbieter zu wechseln, um Kosten zu sparen. Jetzt bekommen einige Kunden die Schattenseiten des häufigen Wechsels zu spüren. „Rund jeder zehnte Vertrag, den wir wechseln wollten, wurde direkt abgelehnt“, sagt Maximilian Both, Geschäftsführer des Hamburger Unternehmens Wechselpilot, das für Kunden gegen eine Provision den jährlichen Anbieterwechsel übernimmt. Dazu wurden rund 20.000 Kundenverträge des Vergleichsportals ausgewertet.

Gründe für die Ablehnung erfährt das Unternehmen nicht, denn außerhalb der teuren Grundversorgung kann Kunden ohne Angabe von Gründen die Strombelieferung verwehrt werden. „Es herrscht Vertragsfreiheit, Kunden müssen nicht angenommen werden“, bestätigt Michael Reifenberg von der Bundesnetzagentur. Doch der Verdacht liegt nahe, dass wechselwillige Kunden, sogenannte Tarifhopper, abgelehnt werden.

Dauerwechsler bringen den Unternehmen tiefrote Zahlen

„Das Problem ist in den letzten zwei Jahren größer geworden“, sagt Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Denn Dauerwechsler bringen den Unternehmen tiefrote Zahlen, an solchen Kunden haben sie kein Interesse.“ Auch das Vergleichsportal Verivox kennt Probleme mit dem Lieferantenwechsel, „die Quote liegt bei uns aber nur im mittleren einstelligen Bereich“, sagt ein Verivox-Sprecher.

Unter den großen Stromanbietern lehnt Vattenfall Kunden überdurchschnittlich häufig ab, geht aus einer Erhebung von Wechselpilot hervor. Rund jeder fünfte Kunde, den das Unternehmen bei Vattenfall unterbringen wollte, wurde abgelehnt. Eine Vattenfall-Sprecherin räumt Vertragsablehnungen in Einzelfällen ein, verweist aber als Grund vor allem auf das Zahlungsverhalten der Kunden. Ein Abendblatt-Leser, der sich jährlich einen günstigeren Anbieter sucht, wollte von Shell zu Vattenfall wechseln und wurde dort abgelehnt. Er war schon zweimal Kunde bei dem Hamburger Versorger. Verbraucherschützer raten, nach der Kündigung auch die Kundendaten sperren zu lassen. Die Hamburger sind besonders wechselwillig, ermittelte das Vergleichsportals Check24. Danach war der Anteil der Stromwechsler in der Hansestadt um 52 Prozent größer als im bundesweiten Durchschnitt.

Schmerzgrenze für viele Hamburger erreicht

 Joachim Lang* rechnet schon seit Jahren beim Strompreis mit spitzem Bleistift. Der Durchschnittspreis für die Kilowattstunde hat inzwischen den Rekordwert von 29,49 Cent je Kilowattstunde erreicht. Mehr als jeder zweite Hamburger sieht die Schmerzgrenze beim Strompreis als erreicht an. Für Lang gilt das schon länger. „Ich wechsle seit Jahren konsequent den Anbieter, und das zahlt sich aus“, sagt der Hamburger. So profitiert er von Boni für Neukunden, die es nur im ersten Jahr gibt, und kommt im Schnitt auf einen günstigeren Strompreis als der Durchschnitt.

Lang achtet darauf, keine Kündigungsfristen zu versäumen und sich rechtzeitig einen neuen Anbieter zu suchen. Der Vertrag mit Shell Energie läuft erst im Februar kommenden Jahres aus, doch Lang suchte sich jetzt schon über das Vergleichsportal Verivox einen neuen Anbieter. Seine Wahl fiel auf Vattenfall und den Tarif Easy24 Strom mit knapp 120 Euro Bonus im ersten Jahr. Doch es dauerte nicht lange, da erreichte ihn eine kurze Nachricht von Vattenfall, die dem Abendblatt vorliegt. „Die Voraussetzungen für eine Auftragsannahme sind aktuell leider nicht erfüllt. Ihren Auftrag müssen wir daher zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen“, heißt es in der sechszeiligen Mail an Lang.

Vattenfall kommt auf eine Ablehnungsquote von 22 Prozent

Immer häufiger werden Kunden bei der Wahl eines neuen Stromanbieters abgelehnt. „Das Problem ist in den letzten zwei Jahren größer geworden“, sagt Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Denn Dauerwechsler bringen den Unternehmen tiefrote Zahlen, an solchen Kunden haben sie kein Interesse.“ Das Hamburger Internetportal Wechselpilot organisiert für Verbraucher gegen eine Provision den jährlichen Wechsel des Anbieters.

Vielleicht liegt es an diesem Geschäftsmodell, dass das Unternehmen mit aktuell 20.000 Kunden besonders krasse Erfahrungen mit Ablehnungen von wechselwilligen Kunden macht. „Rund jeder zehnte Vertrag, den wir wechseln wollten, wurde direkt abgelehnt“, sagt Maximilian Both, Geschäftsführer von Wechselpilot. Spitzenreiter bei den großen Energieunternehmen sei Vattenfall mit einer Ablehnungsquote von 22 Prozent. E.on komme auf elf Prozent. Doch auch Stadtwerke wie die in Lübeck und Schwerin würden hohe Ablehnungsquoten von mehr als 20 Prozent erreichen. Über die Ablehnungsgründe erfährt Wechselpilot in der Regel nichts.

Nachfrage blieb unbeantwortet

Auch Lang kann über den Grund nur spekulieren, denn eine Nachfrage zur Ablehnungsmail von Vattenfall blieb nach seinen Angaben unbeantwortet. „An meiner Bonität liegt es jedenfalls nicht“, sagt er. Darauf verweisen die Versorger gerne, wenn es um Ablehnungsgründe geht. „In Einzelfällen kann es zu Vertragsablehnungen kommen“, sagt eine Sprecherin von Vattenfall. „Gründe hierfür können unter anderem die Vertragsführung oder das Zahlungsverhalten des Kunden sein.“

E.on verweist auf eine mangelhafte Datenlage mit falschen oder unvollständigen Angaben zum Zählerstand oder fehlenden persönlichen Daten der wechselwilligen Kunden. „Ich wechsle schon seit zehn Jahren jährlich den Stromanbieter, aber das ist mir noch nicht passiert“, sagt Lang. Die Stadtwerke Schwerin und Lübeck können die hohen Ablehnungsquoten bei Wechselpilot nicht nachvollziehen.

Versorger wehren sich und verweisen auf Bonitätsprobleme

„Alle Anmeldungen laufen nach demselben Schema ab. Wie häufig jemand zuvor den Lieferanten gewechselt hat, spielt bei uns im Hause keine Rolle“, sagt Aurel Witt von den Stadtwerken Schwerin. „Ablehnungen kommen üblicherweise durch Störungen im Lieferantenwechselprozess zustande.“ Dass Kunden wegen häufiger Wechsel abgelehnt werden, schließt Lars Hertrampf von den Stadtwerken Lübeck aus. „Mit unserem Tochterunternehmen Passat Energie sind wir erst seit Sommer 2018 überregional am Markt aktiv“, sagt Hertrampf. „Wir können noch gar keine Kunden haben, die nach einem Jahr zu einem anderen Anbieter wechseln und dann irgendwann wieder zu uns zurückwollen.“ Häufigste Ablehnungsgründe seien fehlerhafte Kundendaten und eine negative Bonität, so Hertrampf.

Auf Nachfrage bleibt Wechselpilot dabei. „Wir wollten insgesamt rund 200 Kunden an Passat Energie vermitteln, von denen 28 Prozent abgelehnt wurden“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Das Vergleichsportal Verivox kennt ebenfalls Probleme mit dem Lieferantenwechsel, „aber die Quote liegt nur im mittleren einstelligen Bereich“, sagt Veri­vox-Sprecher Lundquist Neubauer. Auch bei der Bundesnetzagentur kennt man das Problem. „Wir können Kunden in diesem Punkt aber nur zu ihren Rechten beraten“, sagt Michael Reifenberg von der Bundesnetzagentur. „Außerhalb der Grundversorgung besteht Vertragsfreiheit, und die Versorger können Kunden auch ohne Angabe von Gründen ablehnen“, sagt Reifenberg.

Eine Vertragsablehnung bedeutet doppelte Arbeit

Bei den jährlich rund 16.000 Beschwerden der Kunden machen Reklamationen zur Vertragsführung, worunter auch Ablehnungen fallen, zwar nur einen Bruchteil aus. Aber die Zahl der Fälle hat sich von 2017 auf 2018 fast verdoppelt. Auch Verbraucherschützer Sieverding sieht das Problem. „Aber niemand sollte deshalb Angst haben, den Stromanbieter zu wechseln. Wenn es bei einem nicht klappt, wählt man einen anderen“, sagt Sieverding. Außerdem hält er die Zahlen von Wechselpilot für etwas zu hoch. „Solche hohen Werte zu einzelnen Unternehmen decken sich nicht mit unseren Erfahrungen.“

Eine Vertragsablehnung bedeutet für die Kunden aber dennoch doppelte Arbeit. „Es kann passieren, dass sie in die teure Grundversorgung rutschen oder noch ein Jahr bei einem teuren Versorger bleiben müssen“, sagt Both, der eine zunehmend verbraucherunfreundliche Entwicklung am Energiemarkt sieht.

Zwei Verbrauchertypen werden laut Wechselpilot überdurchschnittlich oft abgelehnt. Auf der einen Seite stehen Stromkunden mit niedrigem Verbrauch (1000–2000 Kilowattstunden pro Jahr). Andererseits handelt es sich um Kunden mit einem deutlich höheren Stromkonsum (6000–15.000 Kilowattstunden pro Jahr). Auch wer sich mehr als sechs Monate vor Ablauf des Altvertrages nach einem neuen Anbieter umsieht oder mit der Anmeldung gleich die Kündigung mitschickt, hat meist schlechte Karten beim Wechsel, heißt es aus der Branche.

Kunden sollen ihren Daten sperren lassen

„Wenn Kunden gekündigt haben, raten wir ihnen, außerdem vom Versorger eine Löschung oder Sperrung ihrer Daten zu verlangen“, rät Sieverding. Kunden haben laut Datenschutz-Grundverordnung ein Recht auf ein „Vergessenwerden“. Dann wird es schwieriger, den Kunden als „Tarifhopper“ zu identifizieren, wenn er zum Versorger zurückkehrt. Auch sollte sich niemand in Internetforen als Stromanbieterwechsler brüsten. Daten zu Verträgen, die wegen der Abgabenordnung länger aufbewahrt werden müssen, dürfen nicht zur Kundenauswahl genutzt werden.

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Lang war schon zweimal Kunde bei Vattenfall. Die Ablehnung hat ihn nicht aus dem Konzept gebracht. „Ich habe mir einen anderen Versorger gesucht. Auch bei Eprimo war ich schon mal, sie haben mich dennoch genommen“, sagt Lang. Dort zahlt er zwar im Jahr rund 25 Euro mehr als bei Vattenfall, aber das kann er verschmerzen. Selbst Vattenfall hat das Tischtuch nicht endgültig zerschnitten. Trotz Ablehnung ließ der Versorger den Kunden noch wissen, dass man „das Interesse an unserem Unternehmen zu schätzen wisse“.

* Name geändert