Hamburg. Anbieter greift Carsharing-Dienste in Hamburg an. Der Mieter darf sich die Kosten mit anderen Fahrern teilen.

In der Autoindustrie ist Alain Visser das, was man einen alten Hasen nennen könnte. Der Belgier war Marketingmanager bei Ford und Chevrolet, jahrelang saß er im Vorstand von Opel und später von Volvo. Doch nun, mit Ende 50, will er die Autobranche revolutionieren – als Chef des schwedisch-chinesischen Autobauers Lynk & Co, der seine Fahrzeuge möglichst nicht verkaufen, sondern in erster Linie über eine Art Club-Mitgliedschaft für 500 Euro pro Monat vermieten will.

Abo-Modell für Autos: Keine Wahl bei Ausstattung

„Spotify hat die Musikindustrie verändert, Uber hat das Taxigeschäft auf den Kopf gestellt und seit Netflix ist die Filmbranche nicht mehr wiederzuerkennen“, sagt Visser. Er glaubt an den Wandel vom Besitz zur zeitweiligen Nutzung und setzt daher wie der Film-Streamingdienst Netflix auf ein Abo-Modell. Ansonsten erinnert das Lynk-Konzept ein wenig an das von Apple: In Europa wird bisher nur ein einziger Autotyp mit der simplen Bezeichnung „01“ mit Hybrid-Antrieb angeboten.

Der Kompakt-SUV, gebaut in China vom Lynk-Mutterkonzern Geely, ist ausschließlich in Blau oder Schwarz erhältlich, bei der Ausstattung gibt es praktisch keine Wahlmöglichkeiten. Dass man den „01“ auch für 35.000 Euro kaufen kann, wird auf der Internetseite der Firma nicht gerade herausgestellt.

Auto-Abos: Pop-up-Store in Hamburg geplant

Zwei in coolem Industriestil gehaltene Schauräume („Clubs“ genannt) in Amsterdam und Göteborg sind schon eingerichtet, ein weiterer in Berlin soll zur Jahresmitte folgen – und in Hamburg will sich Lynk & Co nach eigenen Angaben noch in diesem Jahr zumindest mit einem Pop-up-Store präsentieren.

Nach einer Erhebung des Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des privaten Duisburger Forschungsinstituts CAR–Center Automotive Research, sind in Deutschland mittlerweile knapp 330 Neuwagen-Auto-Abos auf dem Markt. Offeriert werden sie direkt von Herstellern – Volvo war 2017 einer der Pioniere, inzwischen sind unter anderem auch Mercedes, Hyundai, Volkswagen, Mini, PSA (Peugeot, Citroën, Opel) und Porsche auf diesem Feld aktiv – sowie von Autovermietern wie Sixt. Hinzu kommen eine Reihe spezialisierter herstellerunabhängiger Anbieter wie Cluno, Finn.Auto oder Like2Drive, wobei es sich hier nicht in allen Fällen um Neuwagen handelt.

Der Mieter zahlt nur den Sprit

Auto-Abonnements positionieren sich zwischen der klassischen Autovermietung, bei der man den Wagen in der Regel für Tage oder höchstens Wochen nutzt, und dem Leasing mit Laufzeiten von mindestens einem Jahr, meistens aber von mehreren Jahren. Auto-Abos sind in den meisten Fällen auf Zeiträume zwischen einem Monat und zwölf Monaten ausgelegt, wobei man häufig Klauseln findet, dass nach drei Monaten das Fahrzeug gewechselt werden kann.

In den Preisen, die je nach Typ üblicherweise zwischen 250 und 700 Euro pro Monat rangieren, sind die Überführung und Zulassung, die Kfz-Steuer, die Versicherung und die Wartung enthalten. Häufig muss eine bestimmte Kilometerzahl vereinbart werden; überschreitet man sie, fallen Extra-Gebühren an.

Nach Berechnungen von Dudenhöffers Institut sind die günstigsten Angebote dem Leasing preislich überlegen und sie sind sogar eine attraktive Alternative zum Kauf. Der Experte geht davon aus, dass Abo-Modelle bis 2030 einen Marktanteil von bis zu 40 Prozent erreichen können und dabei den Kauf per Kreditfinanzierung weitgehend verdrängen, während das Leasing seine Marktbedeutung behalte.

Auto im Abo? Beachtliches Wachstumspotenzial

Schon heute könnten sich einer CAR-Umfrage zufolge 53 Prozent der Autofahrer vorstellen, ihren nächsten Wagen zu abonnieren. Selbst manche Hersteller trauen den Abos, die heute erst eine kleine Marktnische besetzen, ein beachtliches Wachstumspotenzial zu. So erwartet Volvo – ebenso wie Lynk eine Tochter von Geely –, schon bis 2025 werde dieses Geschäft 50 Prozent des Umsatzes liefern. Nach einer Prognose von Jaguar Land Rover werden die Abo-Modelle im Jahr 2025 bereits zehn Prozent der Autoverkäufe aller Marken in Europa ausmachen.

Zwar sei der Bekanntheitsgrad dieser Art des Kfz-Angebots noch „im Aufbau“, sagt Peter Cieslak, der Kaufmännische Leiter der PSA-Niederlassung Hamburg, dem Abendblatt. Aber: „Die Nachfrage wächst stetig“, so Cieslak. Für ein Abo spricht aus seiner Sicht die kurzfristige Verfügbarkeit des Autos, die flexible Mietdauer beginnend mit einer Laufzeit von nur einem Monat sowie die „optimale Planbarkeit“ der Kosten.

Kleinwagen für 289 Euro

Bei PSA beginnt die Preisspanne bei 289 Euro für die Kleinwagen Citroën C1 und Peugeot 108. Meist würden 1000 Freikilometer pro Monat gewählt, beobachtet Cieslak. Aus seiner Sicht eignet sich das Abo auch gut für Geschäftskunden, die damit auf unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse reagieren könnten: „Ständig wechselnde Anforderungen zum Beispiel von Handelsvertretern die für ihre Akquisition einen Pkw und für Fahrten zu Messen einen Transporter benötigen, können wir leicht bedienen.“

Lynk-Chef Alain Visser führt außer der Flexibilität noch ein anderes Argument für das Abonnement ins Feld. „Autos werden tatsächlich 96 Prozent der Zeit nicht genutzt“, sagt er. „In einer Welt, in der Nachhaltigkeit endlich großgeschrieben wird, ist das wirklich erschreckend.“ Mit solchen Aussagen wird sich Visser zwar bei den etablierten Herstellerkonzernen unbeliebt machen. Doch mit der Lösung, die er zu bieten hat, fährt er gleichzeitig auch noch den Autovermietern an den Karren. Und greift die Carsharing-Dienste an. Zumindest für häufige Nutzer der geteilten Autos könnte ein Abo günstiger sein.

Fahrzeug ist voll über das Internet vernetzt

Denn um die Nutzung der Lynk-Fahrzeuge zu „optimieren“, können die Abo-Mitglieder sie mit „Freunden, Familie oder anderen Mitgliedern teilen“, um die monatlichen Kosten zu senken. Dafür hat Lynk eine Online-Buchungsplattform entwickelt, die gleich aus dem Auto heraus bedient werden kann. Ohnehin ist das Fahrzeug voll über das Internet vernetzt.

Potenzielle Kunden, denen dabei wegen der chinesischen Herkunft des Autos unwohl ist, versucht Visser mit dem Hinweis, die Daten würden auf Server-Computern in Deutschland gesammelt, zu beruhigen. Und schließlich gehöre die permanente Vernetzung ja gerade zum Konzept: „Unsere Autos sollen so etwas wie Smartphones auf Rädern sein.“