Hamburg. Exakt 0,5 Prozent werden ab 100.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto fällig. Nun stehen die Kunden vor der Wahl.

Wer Thorsten Rathje aus ein paar Metern Entfernung sieht, wird kaum glauben können, dass er bereits seit 32 Jahren bei Banken arbeitet, davon nicht weniger als 29 Jahre bei der Hamburger Volksbank beziehungsweise ihrem Vorgängerinstitut. Mit seiner schlanken Statur, den dichten dunklen Haaren und dem leicht verlegenen Lächeln wirkt Rathje jungenhafter, als die Position, die er seit Oktober innehat, vermuten lässt: Er ist der Vorstandssprecher einer der größten Genossenschaftsbanken Norddeutschlands.

Sein Amtsantritt als Nachfolger des langjährigen Volksbank-Chefs Reiner Brüggestrat fiel in eine Zeit großer Veränderungen bei den Geldhäusern – noch beschleunigt durch die Corona-Pandemie. Denn nun lässt sich das teure Filialgeschäft noch schwerer rechtfertigen als zuvor. Vor diesem Hintergrund hat die Hamburger Volksbank im vergangenen Jahr so gehandelt, wie man das eher von einer Großbank erwartet hätte: Der Vorstand beschloss kurzfristig, die zehn coronabedingt geschlossenen der insgesamt 25 Standorte nicht wieder zu öffnen – auch nicht nach der Pandemie.

Volksbank: Verkleinerung des Filialnetzes weitgehend akzeptiert

„Wir hatten dort ohnehin teilweise nur sieben oder acht Kunden pro Tag“, sagt Rathje. „Dafür kann man diesen ganzen Apparat nicht vorhalten.“ Zudem handelte es sich nach seinen Angaben um kleine Zweigstellen mit überwiegend nur je zwei Beschäftigten. Das bedeutet: „Wenn jemand krank wurde oder aus einem anderen Grund nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen konnte, durften wir die Filiale aus Sicherheitsgründen nicht öffnen.“ Man habe dann immer mit hohem Aufwand jemanden suchen müssen, der kurzfristig einspringen kann. Die nun noch verbleibenden Zweigstellen seien mit mindestens vier bis sieben Personen besetzt. „Für einige Kunden ist der Weg nun etwas weiter, aber das Angebot ist besser“, so Rathje.

Einen „Aufschrei“ im Kundenkreis habe es nicht gegeben, es seien „nur 40 Beschwerden“ eingegangen, hatte Brüggestrat im vergangenen Jahr nach der Ankündigung der Schließungspläne gesagt. Rathje wies dazu jetzt auf den engen Kontakt zu den Kunden hin: „Wir sind eine Genossenschaftsbank, die ihren Mitgliedern gehört. Ich kann sicher sein, dass ich jeden Abend auf dem Heimweg einige unserer Mitglieder treffe.“ Weit überwiegend werde die Verkleinerung des Filialnetzes akzeptiert.

Andere Arbeitsplätze für alle betroffenen Beschäftigten

Allerdings hätten die Kunden schon seit längerer Zeit von sich aus gefordert, dass die Bank auf unterschiedliche Weise für sie erreichbar ist, so Rathje. Belegt werde das geänderte Nutzungsverhalten durch eine aktuelle Analyse, wonach 78 Prozent der Kunden das Onlinebanking nutzen – damit rangiere man „bundesweit unter den Top Ten vergleichbarer Volksbanken“.

Allen von den Filialschließungen betroffenen Beschäftigten konnte nach Angaben von Rathje ein anderer Arbeitsplatz in der Hamburger Volksbank angeboten werden, wobei die meisten zu dem am Jahresende 2018 gegründeten Team für die elektronische Kundenbetreuung gestoßen seien.

Die inzwischen mehr als 30 Mitglieder des Teams „Dialog“ – mit einem @-Zeichen anstelle des „a“ geschrieben – sind per Telefon, E-Mail, Online-Chat sowie Videokanal erreichbar. Zu 90 Prozent werde telefoniert, sagt Rathje. „Jüngere Kunden nutzen gerne die Video-Verbindung, aber vielen Menschen ist es nicht angenehm, dass man ihr privates Umfeld sehen könnte, außerdem fehlt es manchmal an den technischen Voraussetzungen.“

Strafzinsen für Privatkunden zum 1. Februar

Auch wenn es keinen Arbeitsplatzabbau unmittelbar aufgrund der Filialschließungen gab, hat die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2020 dennoch um etwa 20 auf rund 430 Personen abgenommen – und das trotz deutlichen Wachstums im Kundengeschäft: Die Mitgliederzahl kletterte um 3,2 Prozent auf 63.215 Anteilseigner, der Einlagenbestand erhöhte sich um 8,1 Prozent auf 3,178 Milliarden Euro. Letzteres ist einer Bank in Zeiten der Negativzinsen nur bedingt willkommen, denn sie muss 0,5 Prozent Zinsen auf Beträge zahlen, die sie nicht für die Kreditvergabe benötigt, sondern bei der Europäischen Zentralbank unterbringt.

Vor diesem Hintergrund verlangt die Hamburger Volksbank zum 1. Februar Strafzinsen nun ihrerseits auch von Privatkunden. Es sind 0,5 Prozent auf Einlagen von mehr als 100.000 Euro auf Tagesgeldkonten, hinzu kommt ein Freibetrag von 10.000 Euro auf dem Girokonto. Auch die Hamburger Sparkasse erhebt Negativzinsen von Privatkunden, dort sind es bisher allerdings nur 0,4 Prozent ab einem sehr hohen Betrag von 500.000 Euro.

Kräftiges Wachstum im Kreditgeschäft

Mit ihrer Entscheidung für Strafzinsen ist die Volksbank in zahlreicher Gesellschaft: Nach Angaben des Finanzportals biallo.de haben allein im vorigen Jahr rund 200 Banken und Sparkassen Negativzinsen für Privatkunden eingeführt, seit Jahresanfang 2021 seien mehr als 30 Institute dazugekommen. Wie es von der Verbraucherzentrale Hamburg heißt, führen die veränderten Konditionen der Banken gerade bei Bestandskunden zu „großer Verunsicherung“. Man stelle sie vor die Alternative, entweder das Geld in eine andere Anlageform – vorzugsweise in Wertpapiere – umzuschichten oder ihr Konto gekündigt zu bekommen.

Auch bei der Hamburger Volksbank berichten Kunden von Beratern, die sie telefonisch quasi in andere Geldanlagen als Tagesgeld drängen würden. Von der Volksbank heißt es dazu nur: Man suche bei diesem Thema auch das Gespräch mit Kunden. „Viele wissen gar nicht, welche relativ sicheren, aber ertragreicheren Anlagemöglichkeiten es für sie gibt“, sagt Rathje. Dazu zählt er unter anderem auch Genossenschaftsanteile an der Hamburger Volksbank, in die man bis zu 15.000 Euro investieren könne.

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Ein kräftiges Wachstum erzielte die Bank im vorigen Jahr im Kreditgeschäft, das um 7,4 Prozent auf 2,297 Milliarden Euro zulegte. Dazu trugen vor allem gewerbliche Immobilienfinanzierungen bei. Das auf 14,4 (Vorjahr: 17,8) Millionen Euro gesunkene Teilbetriebsergebnis (vor Abzug der Risikovorsorge) ist nach Einschätzung von Rathje angesichts des Corona-Umfelds „akzeptabel“. Für 2021 kann er sich eine leichte Verbesserung gut vorstellen – schon weil die Kostensenkung durch die Filialschließungen in diesem Jahr erst voll wirksam wird.