Hamburg. Kunden müssen ab 50.000 Euro Negativzinsen zahlen. Begründung: EZB bittet Geldinstitute selbst zur Kasse. Das stimmt so aber nicht.

Die Zahl der Banken und Sparkassen, die von ihren Kunden Negativzinsen nehmen, wenn diese zu viel Geld auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto haben, nimmt stark zu. Nach Berechnungen des Verbraucherportals Biallo greifen bereits bundesweit 236 Geldhäuser zu diesem Instrument und verlangen im Schnitt knapp 0,5 Prozent – nicht selten bereits ab Sichteinlagen in Höhe von 50.000 oder 100.000 Euro.

Und der Druck auf die Kunden wird kräftig erhöht. So haben sich beim Abendblatt mehrere Leser aus Hamburg darüber beklagt, dass sie von Bankberatern telefonisch zu alternativen Geldanlagen (wie Fonds oder Aktien) gedrängt worden seien, in Einzelfällen ist es sogar schon zu Kündigungen langjähriger Kundenverbindungen durch die Bank gekommen. „Die Banken versuchen mit brachialer Art, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen, damit die ihr Geld auf Girokonten und Tagesgeldkonten reduzieren und auf andere Anlagen umschwenken“, sagt Banken-Experte Martin Faust.

Als Begründung für die Negativzinsen im Privatkundengeschäft verweisen die Banken gerne darauf, dass sie selbst bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Verwahrentgelte für geparktes Geld zahlen müssen. „Wir geben nur weiter, was die EZB von uns verlangt“, sagt zum Beispiel Oliver Pöpplau, Vorstandsvorsitzender der Sparda Bank Hamburg. Allerdings haben die Geldinstitute nicht nur sehr großzügige Freibeträge bei der EZB, für die sie selbst keine Zinsen bezahlen müssen.

Abendblatt-Recherche: Mehrere Banken verdienen Geld mit Negativzinsen

Recherchen des Abendblatts ergaben zudem, dass mehrere Banken mit ihren Negativzinsen unterm Strich Geld verdienen, auch wenn man die Kosten für die Verwahrentgelte bei der EZB gegenrechnet. „Die von der EZB berechneten Zinsen sind nur einer von vielen Kostenblöcken der Banken und berechtigen nicht zu einer direkten Weitergabe an die Kunden“, sagt Verbraucherschützer Niels Nauhauser.

Bei der Hamburger Sparkasse, die erst ab 500.000 Euro Strafzinsen nimmt, parken nun immer mehr Kunden anderer Banken ihr Geld. „Wir sind gezwungen, uns zu überlegen, wie wir hierauf reagieren, um die Haspa vor einem unkontrollierbaren Zulauf von Einlagen zu schützen“, so eine Sprecherin. Ob der Freibetrag bald auch bei der Haspa sinkt? Die Sparkasse ließ das offen.

Betroffen: Kunde und Mitglied der Sparda Bank Hamburg

Auf seine ehemalige Bank ist Peter Bredau* nicht gut zu sprechen. Mehrere Jahrzehnte lang war er Kunde und Mitglied der Sparda Bank Hamburg. „Dann wurde ich zu Gesprächen aufgefordert, ohne dass ich vorher in Erfahrung bringen konnte, worum es geht“, sagt er. Bredau hatte mehr Geld auf seinen Konten als der Genossenschaftsbank lieb war. Er sollte sein Geld abziehen oder anders anlegen. Weil er das nicht tat, folgte schließlich die Kündigung durch die Bank.

„Die Banken versuchen mit brachialer Art, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen, damit die ihr Geld auf Girokonten und Tagesgeldkonten reduzieren und auf andere Anlagen umschwenken“, sagt Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of
Finance and Management in Frankfurt. Wer sich darauf nicht einlässt, dem drohen Negativzinsen auf sein Geld bei der Bank oder gar die Kündigung der Geschäftsbeziehung.

„Die Banken wollen ihre Erträge erhöhen, das können höhere Kontogebühren sein oder eben Strafzinsen“, sagt Faust. Das Verbraucherportal Biallo listet rund 236 Banken auf, die bereits von Privatkunden sogenannte Verwahrentgelte verlangen, im Schnitt knapp 0,5 Prozent. Das geht für viele Sparer richtig ins Geld Bei 300.000 Euro und einem Freibetrag von 100.000 Euro, muss der Sparer zum Beispiel pro Jahr 1000 Euro an die Bank zahlen.

Seit Ende 2019 hat sich die Zahl der Institute mit Negativzinsen mehr als verdreifacht. In Hamburg nehmen die Hamburger Volksbank und die Sparda Bank bereits unter verschiedenen Bedingungen Strafzinsen von Privatkunden. Geschäftskunden und institutionelle Anleger werden schon länger zur Kasse gebeten. Bei der Hamburger Sparkasse (Haspa) werden bei Privatkunden Strafzinsen ab einem Betrag von 500.000 Euro auf Festgeld- und Girokonten fällig. Der Zinssatz liegt bei minus 0,5 Prozent.

Bereits im Juni 2014 hat die EZB Strafzinsen eingeführt

Bereits im Juni 2014 hat die Europäische Zentralbank (EZB) Strafzinsen für Geldhäuser eingeführt, damals in Höhe von minus 0,1 Prozent. Inzwischen liegt der Zinssatz bei minus 0,5 Prozent für Einlagen der Banken, die bei der Zentralbank geparkt werden. Statt Geld zu horten sollen die Geschäftsbanken das viele billige Geld an Unternehmen und Verbraucher in Form von Krediten weiterreichen. So sollen Investitionen und Konsum angekurbelt, die Konjunktur angeschoben und der Preisauftrieb verstärkt werden. Nur die Sparer profitieren von dieser Geldpolitik nicht.

Sie sollen für ihre Einlagen ein Verwahrentgelt bezahlen. So nimmt die Sparda Bank Hamburg bereits Strafzinsen von Neukunden – und auch Bestandskunden erhalten in diesen Tagen Briefe, in denen die Verwahrentgelte angekündigt werden. „Wir geben nur weiter, was die Europäische Zentralbank (EZB) von uns verlangt“, sagt Oliver Pöpplau, Vorstandsvorsitzender der Sparda Bank Hamburg. „In keinem Szenario rechnen wir mit Einnahmen, die unsere Zinsbelastung durch die EZB decken werden.“

Haspa spürt die Folgen zunehmender Strafzinsen bei der Konkurrenz

Die Haspa spürt die Folgen zunehmender Strafzinsen bei der Konkurrenz. „Immer mehr unserer Wettbewerber haben die Grenzen für das Verwahrentgelt auf 100.000 oder 50.000 Euro abgesenkt und nehmen zum Teil sogar höhere Verwahrentgelte als 0,5 Prozent. Das führt dazu, dass sehr viele Kunden anderer Banken ihr Geld zu uns bringen“, sagt Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg. „Allein in den letzten Monaten sind uns zusätzlich rund zwei Milliarden Euro zugeflossen. Wir sind deshalb gezwungen, uns zu überlegen, wie wir hierauf reagieren, um die Haspa vor einem unkontrollierbaren Zulauf von Einlagen zu schützen.“ Damit kommt auch Deutschlands größte Sparkasse zu einer neuen Einschätzung der Negativzinsen. Denn Anfang November 2020 hieß es noch: „Wir stemmen uns weiterhin gegen die Weitergabe der Negativzinsen der EZB im breiten Privatkundengeschäft.“ Diesen Satz möchte die Haspa jetzt nicht mehr wiederholen.

Die Begründung der Banken erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend. Doch ist die Rechnung wirklich so einfach: mehr Einlagen von den Kunden gleich höhere Belastung für die Banken durch die Negativzinsen, die an die EZB entrichtet werden müssen? „Nein“, sagen Verbraucherschützer und Bankexperten. „Die von der EZB berechneten Zinsen sind nur einer von vielen Kostenblöcken der Banken und berechtigen nicht zu einer direkten Weitergabe an die Kunden“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Wenn die Bank zwei Prozent ihrer Personalkosten spart, hat sie die Belastungen wieder ausge­glichen.“

Auch Bankenexperte Faust schont die Geldinstitute nicht: „Das Argument mit den Negativzinsen zieht nur noch sehr bedingt, denn die EZB hat den Geschäftsbanken umfangreiche Freibeträge eingeräumt, die nicht mit Negativzinsen belastet werden.“ Unter dem Strich seien die Belastungen der Banken deutlich geringer als sie der Öffentlichkeit suggerierten. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Rechtsanwalt Claus Steiner, der selbst einmal Bankvorstand war. „Wenn selbst nur den wohlhabenden Kunden ein Negativzins auferlegt wird, so kann das in der Summe mehr Negativzinsertrag ergeben, als die Bank selbst gegenüber der EZB entrichten muss“, sagt Steiner.

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Um den Geldkreislauf zu sichern, müssen die Banken eine sogenannte Mindestreserve bei der Zentralbank unterhalten. Das sind ein Prozent der täglich verfügbaren Einlagen und der Festzinseinlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. Das Sechsfache dieser Mindestreserve unterliegt nicht dem Negativzins der EZB. Mit diesem Freibetrag werden die Geschäftsbanken also bei der EZB entlastet. Dennoch kann es sein, dass bei der Zentralbank mehr Geld geparkt wird, als der Freibetrag hergibt. Doch erst dann wirken sich die Negativzinsen der EZB auf das Geschäftsergebnis der Bank aus.

„Viele Banken klagen seit Langem, wie dramatisch sie von den Negativzinsen der Europäischen Zen­tralbank betroffen sind. Doch die Erzählung zahlreicher Banken ist wegen der hohen Freibeträge unvollständig“, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende. „Angesichts des lautstarken Wehleidens über das historisch niedrige Zinsniveau stellt sich zudem die Frage, warum viele Banken selbst in der Corona-Krise noch zweistellige Dispozinsen verlangen.“

Die Europäische Zentralbank in Frankfurt
Die Europäische Zentralbank in Frankfurt © picture alliance / Daniel Kalker

Wie das mit den Freibeträgen funktioniert, verdeutlicht Experte Steiner am Beispiel einer fiktiven Bank, das aber durchaus einen realen Bezug hat. Das Kreditinstitut verwahrt Kundeneinlagen von zehn Milliarden Euro. Zehn Prozent davon, also eine Milliarde Euro, lagern bei der Zentralbank. Denn Ziel einer Bank sollte es sein, mit den Einlagen der Kunden zum großen Teil Kredite an Privatpersonen und Unternehmen zu vergeben. Zehn statt ein Prozent Geld bei der Zentralbank sind also schon reichlich bemessen.

Der Negativzins von 0,5 Prozent wird aber nur auf 400 Millionen Euro fällig, denn 600 Millionen Euro sind durch den Freibetrag abgedeckt. „Die Bank muss also nur zwei Millionen Euro Negativzinsen an die EZB zahlen“, sagt Steiner. „Rechnet man nun das auf die gesamten Kundeneinlagen von zehn Milliarden Euro um, ergibt sich für die Bank ein Aufwand von lediglich 0,02 Prozent, also von 20 Euro pro 100.000 Euro Kundeneinlage. Das ist nach Steiners Einschätzung eine vernachlässigbare Größenordnung, denn neun Milliarden Euro, die an Krediten vergeben wurden, bringen immerhin noch einen dreistelligen Millionenbetrag an Zinsen.

„Viele Kreditinstitute erzielen nach wie vor angemessene Zinserträge, an denen sie aber die Sparer nicht mehr wie früher mit positiven Zinsen angemessen beteiligen“, sagt Steiner. „Die Belastungen der Banken sind deutlich geringer als der Negativzins von 0,5 Prozent suggeriert“, bestätigt auch Bankexperte Faust. Doch wenn die Bank auch nur auf höhere Einlagen Verwahrentgelte von minus 0,5 Prozent erhebt, würde das geschätzt 50 Prozent der Einlagen betreffen. „Das bringt ihr einen Ertrag von 25 Millionen Euro, also das 12,5-Fache ihres Eigenaufwandes“, rechnet Steiner vor.

Sparda Bank verdient mit Negativzinsen rund 411.000 Euro in 2019

Bisher jedenfalls haben sich die Hamburger Volksbank und die Sparda Bank mit den Negativzinsen gut arrangiert. So hat die Sparda Bank nach dem Geschäftsbericht für 2019 rund 411.000 Euro mit Negativzinsen verdient, rund zehn Prozent ihres Bilanzgewinns. Die Bank hatte von anderen Geldinstituten und Versicherungen Geld zur Verwahrung angenommen und dafür Negativzinsen berechnet, nach dem Geschäftsbericht 676.000 Euro, während sie selbst nur 265.000 Euro an Negativzinsen bezahlt hatte. Mit Blick auf das veränderte Kapitalmarktumfeld seien solchen Geschäfte in Jahr 2020 nicht mehr möglich, sagt ein Sprecher der Bank.

Die Hamburger Volksbank hat in den Jahren 2018 und 2019 rund 300.000 Euro an Negativzinsen bezahlt. Stellt man ihre Zinserträge aus den beiden Jahren gegenüber, sind das gerade mal rund 0,3 Prozent ihrer Zinserträge. Zudem hat die Genossenschaftsbank 2019 ihre Guthaben bei der Zentralbank im Vergleich zu 2018 fast verdreifacht.

Zu höheren Belastungen für die Bank hat das offenbar nicht geführt, denn zur Begründung sagt Banksprecherin Heidi Melis: „Wir haben die von der EZB erhöhten Freibeträge genutzt.“ Bei der Haspa heißt es, die Niedrigzinspolitik koste die Sparkasse jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag. Während Haspa und die Sparda Bank noch damit argumentieren können, dass ihre Zinsüberschüsse im Vergleich zu 2016 um rund zehn Prozent gesunken sind, greift dieses Argument der Volksbank nicht. Der Zinsüberschuss stieg im Vergleich zu 2016 um 13,5 Prozent auf 54,4 Millionen Euro.

Auch wenn das Geschäft der Banken schwieriger geworden ist, können sie durch die lockere Geldpolitik der EZB neue Ertragsquellen erschließen. Denn wenn sie sich von der Zentralbank Geld leihen, müssen sie keine Zinsen zahlen, sondern bekommen dafür sogar welche. Diese Möglichkeit hat die Volksbank in den vergangenen Jahren genutzt. Im Jahr 2018 verbesserte sich dadurch der Zinsüberschuss um 2,1 Millionen Euro und im Jahr 2019 um knapp eine Million Euro. „Auch jetzt beteiligen wir uns an einem weiteren Refinanzierungsgeschäft der EZB zur Ankurbelung der Kreditvergabe und haben dafür 450 Millionen Euro bei der EZB aufgenommen“, sagt Melis. „Dadurch profitieren wir über die nächsten drei Jahre von außerordentlichen Zinserträgen. Für das Geschäftsjahr 2020 gehen wir von einem außerordentlichen Zinsertrag in Höhe von voraussichtlich 1,2 Millionen Euro aus.“

Nun gibt es Baudarlehenfür null Prozent Zinsen

Das viele Geld der Sparer ist vor allem ein Problem der Genossenschaftsbanken und Sparkassen. „Sie sind stark einlagenlastig“, sagt Experte Faust. Die Summe der Spareinlagen ist also deutlich höher als die der ausgereichten Kredite. In der Vergangenheit war das kein Problem. Die Banken kauften dafür sichere Bundesanleihen oder andere festverzinsliche Schuldverschreibungen und machten immer noch einen guten Schnitt. Die Zinsen, die sie dafür bekamen, waren höher als die, den sie den Sparern zahlten. Doch inzwischen bringt eine zehnjährige Bundesanleihe auch einen Negativzins von 0,57 Prozent. Anleger bezahlen also Geld, um dem Staat Kapital leihen zu dürfen. Folglich bleibt bei den Banken Geld übrig, das bei der Zentralbank geparkt werden muss.

Oder Geldinstitute werden kreativ bei der Kreditvergabe, wie die Sparkasse Förde, die in einer begrenzten Aktion Kunden eine Baufinanzierung mit null Prozent Zinsen für zehn Jahre anbot. Die Kreditsumme war auf 50.000 Euro begrenzt. „Der Einlagenzins, den Banken für Liquiditätsüberschüsse bei der Zen­tralbank zu bezahlen haben, hat diese Überlegungen befördert“, sagt André Santen, Sprecher der Förde-Sparkasse in Kiel. Nach Einschätzung von Max Herbst von der FMH-Finanzberatung profitieren hier beide Seiten: „Die Bank spart Strafzinsen, und der Kunde bekommt eine Null-Prozent-Finanzierung.“

Im vergangenen Jahr haben die deutschen Geldinstitute laut eines Bericht des Magazins „Wirtschaftswoche“ 2,4 Milliarden Euro Negativzins gezahlt. Ende 2019 hatten allein die Privathaushalte laut Bundesbank 2,6 Billionen Euro bei den Banken deponiert. Die Negativzinsen würden also gerade mal knapp 0,1 Prozent der Einlagen entsprechen, und dabei sind die Einlagen der Firmen, von denen deutlich häufiger als von Privatkunden Strafzinsen verlangt werden, noch gar nicht mitgerechnet. Da die Freibeträge für die Banken erst Ende Oktober 2019 eingeführt wurden, werden sie erst in diesem Jahr ihre volle Wirkung entfalten. Die Experten des Newsletters „Finanz-Szene“ rechnen daher im laufenden Jahr nur noch mit einer Belastung der deutschen Banken bei Strafzinsen von insgesamt rund 1,6 Milliarden Euro – und das bei deutlich gestiegenen Einlagen der Kunden.