Hamburg. Der Premium-Instrumentenbauer hat 2021 Rekordumsätze erwirtschaftet. Die Auftragsbücher sind voll, neue Mitarbeiter werden gesucht.

Eine rot-weiße Schranke versperrt die Einfahrt. Stopp! Erst mal nach rechts ins Pförtnerhäuschen abbiegen zur Kontrolle des Impfstatus. Das gilt für alle, egal ob Beschäftigte, Lieferanten oder prominente Künstler. Offenbar wirken die Zutrittsbeschränkungen. „Wir haben zum Glück kaum Corona-Fälle und auch nur wenige Mitarbeiter in Quarantäne“, sagt Guido Zimmermann, Geschäftsführer von Steinway & Sons in Hamburg. Und das trotz der grassierenden Omikron-Variante.

Maske tragen, Abstand halten, impfen, testen und noch mal testen in Dauerschleife. Jeder Mitarbeiter ist wichtig, schließlich lassen sich Klaviere und Flügel nicht im Homeoffice fertigen. Seit Beginn der Pandemie hat der Flügelbauer mehr als eine halbe Million Euro investiert, um das Virus aus dem Werk in Bahrenfeld zu halten. „Auch wenn jemand nur Corona-Kontakt hatte, stellen wir bei laufenden Bezügen frei und bezahlen sämtliche PCR-Tests“, sagt Zimmermann. Der Europa-Chef des weltweit bekannten Instrumentenherstellers ist inzwischen zum Covid-19-Experten geworden. Gerade gab es von den Inspektoren des Gesundheitsamts dickes Lob für das Präventionskonzept.

"Neuer Umsatzrekord für Steinway Hamburg"

Die Vorsichtsmaßnahmen kommen nicht von ungefähr. Das Geschäft mit den edeln Flügeln läuft besser denn je. Die Produktion kommt kaum hinterher. „Zu Beginn der Pandemie haben wir uns schon Sorgen gemacht“, sagt Zimmermann. Als Teil der Musik- und Veranstaltungsbranche habe es sich so angefühlt, als ob jemand „eine gigantische Pause-Taste gedrückt hat“. Die Fabrik in Hamburg machte über Ostern 2020 für zwei Wochen dicht. Das gab es noch nie. „Nach der ersten Schockstarre sind als Erstes die privaten Kunden zurückgekommen. Das Musizieren zu Hause hat durch die Pandemie wieder neue Bedeutung gewonnen“, sagt der 49-Jährige.

Das hat sich im zweiten Corona-Jahr fortgesetzt. Inzwischen bestellen auch Konzerthäuser, Musikschulen und Musiker wieder neue Instrumente. Nach einem Umsatzrückgang von zehn Prozent 2020 stiegen die Erlöse 2021 im Vergleich zum Vorjahr wieder um 15 Prozent und lagen damit über Vor-Corona-Niveau. Konkrete Zahlen gibt das Unternehmen nicht heraus. Nur so viel: „Das war ein neuer Umsatzrekord für Steinway Hamburg, auch weltweit das insgesamt bisher erfolgreichste Jahr seit der Gründung 1853.“

Steinway-Flügel gewinnen an Wert

Besonders stolz ist Zimmermann darauf, dass er an Eigentümer John Paulsons – einem erfolgreichen Hedgefonds-Manager und leidenschaftlichen Musikfreund, der Steinway 2013 übernommen hatte – ein überproportionales Wachstum in Europa vermelden kann. „Wir haben in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, aber auch in Österreich gut verkauft.“ Auch China, lange wichtigster Wachstumsmarkt für den Premium-Instrumentenbauer, habe sich wieder gut entwickelt.

Dass nicht nur die neue Lust an der Hausmusik hinter dem Trend steckt, weiß der Hamburger Steinway-Chef natürlich auch. „In Krisenzeiten wird in Marken mit einem positiven Image investiert, die für Handwerkskunst und Wertbeständigkeit stehen.“ Steinway-Flügel, die nahezu in jedem wichtigen Konzertsaal der Welt stehen, werden über die Jahre nicht günstiger, sondern teurer. Dazu kommt, dass viel Geld bei den Verbrauchern liegt.

„Wir haben Auswahltermine über Video gemacht"

Keine teuren Reisen, keine rauschenden Feste und kaum Zinsen auf Sparguthaben, da entscheidet sich mancher für ein Instrument mit klingendem Namen. Besonders begehrt: Modelle mit dem Selbstspielsystem Spirio. Steinway hat bislang 4000 Flügel mit der eingebauten Technik verkauft, die Star-Pianisten wie Lang Lang oder Igor Levit per App ins eigene Wohnzimmer holt – zu Preisen ab 135.000 Euro. Die Hälfte davon aus Hamburg. In der zweiten Jahreshälfte soll eine sehr umfangreiche Weiterentwicklung vorgestellt werden. Genaues wird noch nicht verraten. Aber, sagt Zimmermann: „Es ist wieder eine Weltneuheit.“

Dabei ist es nicht gerade einfach, in Zeiten von Lockdown und Reisebeschränkung Musikinstrumente zu verkaufen. „Wir haben Auswahltermine über Video gemacht. Das ging erstaunlich gut“, sagt der Steinway-Chef. Trotzdem wollen gerade Musiker ihr neues Instrument natürlich in echt sehen – und spielen. Auch dank der strikten Regeln gibt es inzwischen wieder persönliche Termine im berühmten Auswahlsaal des Werks. Auch mit Prominenten.

Helge Schneider kaufte einen Konzertflügel

Mit Namen hält sich das Unternehmen zurück, aber unter anderem war Kabarettist Helge Schneider da und kaufte einen Konzertflügel und einen B-Flügel. 2021 zog Steinway & Sons zudem den größten Einzelauftrag für die Hamburger Produktion seit dem Start im Jahr 1880 an Land. Die Musikschule „The Juilliard Tianjin School“ im chinesischen Tianjin bestellte 103 Flügel unterschiedlicher Modelle und elf Klaviere.

Für 2022 sind die Auftragsbücher wieder voll. „Wir sind praktisch bis Jahresende ausverkauft“, sagt Guido Zimmermann. Bis heute werden die Flügel bei Steinway aus 12.000 Einzelteilen fast ausschließlich in Handarbeit hergestellt. Schnell mal die Produktion hochfahren, das funktioniert nicht. Wer sich für ein Instrument der Marke entscheidet, muss Monate warten. Manchmal auch länger. Zimmermann hat seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren die Zahlen beim Instrumentenbauer gesteigert, der vor 169 Jahren von dem deutschen Klavierbauer Heinrich Engelhard Steinweg in den USA gegründet wurde.

Steinway sucht 35 neue Mitarbeiter

2022 sollen in Bahrenfeld 1550 Instrumente hergestellt werden – 150 mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. Aktuell arbeiten gut 500 Frauen und Männer an dem Standort, 35 neue Stellen sind frei. Vor allem in der Produktion, aber auch in anderen Bereichen. Und noch ein weiterer wichtiger Schritt zum Ausbau der Kapazitäten steht kurz vor der Fertigstellung. Zimmermann steht am Fenster seines Büro in der obersten Etage.

Von hier hat er einen guten Blick auf die Produktionsstätten und auf die neue Lackierhalle, die im Mai eröffnet werden soll. „Das ist am Standort das größte Bauprojekt der letzten 50 Jahre“, sagt er. 20 Millionen Euro investiert das Unternehmen in die Anlage, in der die Klaviere und Flügel den letzten Schliff bekommen. „Wir bauen eine von Europas modernsten Lackieranlagen, in der wir die Schadstoffemissionen um 90 Prozent senken können.“

„Insgesamt plant Steinway zehn eigene neue Geschäfte“

Und es sind noch weitere Investitionen geplant. Zimmermann will das Einzelhandelskonzept des Premium-Instrumenten-Herstellers ausbauen. Schon in den vergangenen Jahren waren in Paris, London und München sogenannte Flagship-Stores umgebaut und neu eröffnet worden. Aktuell laufen die Vorbereitungen für die Neueröffnung des Wiener Standorts am Opernring. „Insgesamt plant Steinway zehn eigene neue Geschäfte“, sagt Zimmermann. Das Investitionsvolumen liegt bei rund fünf Millionen Euro.

 In Hamburg betreibt Steinway ein Geschäft gegenüber dem Werk am Rondenbarg und einen kleinen Spirio-Showroom am Kaiserkai. Zu weiteren Plänen schweigt der Geschäftsführer, aber man merkt, dass es ihn reizen könnte, in der Hansestadt präsenter zu werden. Schon im vergangenen Jahr hatte Steinway eine Kampagne gestartet, um die Verortung des Flügelbauers in Hamburg deutlich zu machen.

Steinway & Sons: Pandemie zeigte neue Möglichkeiten auf

Nach fünf Jahren an der Spitze von Steinway Europa ist Zimmermann angekommen – und er hat eine Menge Ideen. „Die Pandemie ist eine anstrengende Zeit“, sagt er. Aber sie habe ihm nicht nur zusätzliche Kraft gegeben und deutlich gemacht, wie ein Unternehmen auch durch schwierige Phasen kommt. Corona hat die Möglichkeiten aufgezeigt, die eine Traditionsmarke ,made in Hamburg‘ hat.

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Er selbst war wie die meisten Beschäftigen jeden Tag in der Manufaktur. „Das finde ich selbstverständlich“, sagt der Manager. Nur dass er in zwei Jahren Pandemie selbst keine Fortschritte beim Klavierspielen gemacht hat, ärgert den Vater von zwei Söhnen. „Ich habe schon mit unserer Klavierlehrerin besprochen, dass wir das 2022 weiter voranbringen wollen.“