Hamburg. Vom Tischler-Lehrling zum Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff: Christian van Zwamen reist seit 2014 auf der „Europa 2“ um die Welt.

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Südgeorgien, am anderen Ende der Welt. Es ist die Zeit vor der Corona-Pandemie. Schwarze Zodiacs (hochseetaugliche Schlauchboote) mit unternehmungslustigen Gästen in Polarkleidung peitschen über die Wellen des Südatlantiks.

Wenig später landen die Passagiere des Expeditionskreuzfahrtschiffes „MS Bremen“ in der einst blutigsten Siedlung der Antarktis – in Grytviken. Wo See-Elefanten dösen, Pelzrobben-Männchen sich balgen und Eselspinguine um die Wette laufen, stehen auf dieser Insel die Relikte einer norwegischen Walfangstation. Das rostige Wrack eines Walfangschiffes mit Harpunen. Die gigantischen Trankessel, Lager- und Werkzeughallen. Eine schneeweiße Holzkirche.

Kapitän Christian van Zwamen über seinen Traumjob

Heraklion, Sommer 2021. Die „Europa 2“ liegt im Hafen der griechischen Insel. Passagierwechsel. Einige der abreisenden Gäste unternehmen einen Busausflug ins antike Knossos, in dessen Labyrinth der griechischen Sage nach einst der Minotaurus gelebt haben soll. Derweil rollen Mittelmeerwellen gegen die venezianische Burg – für Spaziergänger eine willkommene Erfrischung unter der heißen Julisonne.

Der Hamburger Kapitän Christian van Zwamen kennt beide Fahrtgebiete – die eiskalten Gewässer des Südatlantiks mit dem wohl schönsten Laufsteg für gigantische Eisberge, dem Weddellmeer, und die warmen Gefilde der griechischen Ägäis. Und er kennt beide Schiffe des Kreuzfahrtunternehmens Hapag-Lloyd Cruises, auch wenn die „Bremen“ inzwischen für eine andere Reederei unterwegs ist. Auf der „Europa 2“ arbeitet er seit dem Jahr 2014 als Kapitän. Ein Traumjob auf einem 5-Sterne-plus-Traumschiff.

Beide Fahrtgebiete und Schiffe markieren Stationen einer einzigartigen Seefahrerkarriere. Denn das Maritime war Christian van Zwamen keineswegs in die Wiege gelegt. „Ich bin zur Seefahrt gekommen wie die Jungfrau zum Kinde“, sagte er kurz vor seiner Abreise nach Heraklion im neuen Abendblatt-Podcast „Seetag“.

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Gäste sind dankbar, dass Reisen wieder möglich sind

Dort startet die „Europa 2“ mit 300 Gästen zu einer Kreuzfahrt durch die Ägäis. Die Erwartungen der Passagiere sind hoch, schließlich haben sie eine Reise auf dem nach dem Berlitz Cruise Guide weltweit bestem Kreuzfahrtschiff gebucht.

„Zugleich sind die Gäste aber auch dankbar und euphorisch, dass solche Reisen in Zeiten einer Pandemie unter strengen Hygieneregeln wieder möglich sind. Dazu gehört, dass die Gästezahl von rund 500 auf 300 reduziert ist.“

Christian van Zwamen wollte eigentlich Architekt werden

Eigentlich wollte der Junge aus dem Ruhrpott Innenarchitekt werden. Das war in den 1980/90er-Jahren tatsächlich ein Modeberuf – wie heute fast jeder Influencer werden will. „Wir haben früher oft Ferien am Meer gemacht, ich fand Schiffe toll. Während meiner Kindheit habe ich davon geschwärmt, Schiffskoch zu werden.“ Später absolvierte Christian van _Zwamen eine Tischlerlehre, wollte studieren, erhielt sogar die Zusage für einen Studienplatz als Innenarchitekt.

Doch dann kam die Bundeswehr. Christian van Zwamen wollte unbedingt zur Marine – und wurde genommen. „Es war eine gute Zeit auf See, und ich entschied, Schiffbau zu studieren. Ich dachte, ich würde Traumschiffe entwickeln, solche wie die „Europa 2“. Wenn er auf dieses Schiff zu sprechen kommt, dann leuchten seine Augen. Ein solches Schiff, das für Freiheit, Luxus und einen legeren Lebensstil steht, wollte er als Student entwerfen. Aber das Studium erweis sich als der falsche Weg. Es sei ein doch sehr theoretisches Maschinenbau-Studium gewesen, erinnert er sich. „Nach zwei Semestern habe ich auf Nautik gewechselt. Man kann also sagen: Ich habe mich in meinen Beruf hineingearbeitet.“

Seine Brüder beneideten ihn für die Reisen

An der Hochschule Emden Leer legte er das Fundament für seine maritime Karriere. Mit den Abschlüssen als Diplom-Ingenieur für Seeverkehr und schließlich mit dem Kapitäns-Patent konnte er schließlich auf Jobsuche gehen. Und die Familie, was hat sie damals gesagt? „Meine Eltern haben es bedauert. Ihnen missfiel, dass ich so lange von zu Hause weg sein würde.“ Sein Bruder habe ihn jedoch ein wenig beneidet für die Reisen.

Nach dem Studium arbeitete Christian van Zwamen als Kapitän von Containerschiffen. Er hätte es sich nicht vorstellen können, dass ihn dieser Job an einer empfindlichen Stelle treffen würde. Er suchte den sozialen Kontakt, aber auf einem Containerriesen mit gerade mal 18 bis 22 Seeleuten konnte auch der kontaktfreudigste Mensch nicht fündig werden. Zu kräftezehrend ist die Arbeit auf See für die wenigen Männer, und zu unterschiedlich die sozialen und kulturellen Welten, in denen sie leben. „Ich habe einfach niemanden gefunden, mit dem ich abends beim Rundgang über das Schiff zwanglos hätte sprechen können.“

Man braucht immer einen Plan B, C oder D

Ein früherer Kommilitone gab ihm den Tipp, sich bei Hapag-Lloyd Kreuzfahrten zu bewerben. Die beste Adresse der Branche. Und bei einer Reederei, deren Gründer Albert Ballin die Kreuzfahrt Ende des 19. Jahrhunderts erfunden hatte. Im Jahr 2004 unterschrieb dann Christian van Zwamen seinen ersten Arbeitsvertrag. Bis 2007 war er als Navigations- und Sicherheitsoffizier auf der „Bremen“ und der „Europa“ tätig, danach bis 2014 als Leitender Offizier auf weiteren Kreuzfahrtschiffen dieser Reederei, die nunmehr Hapag-Lloyd Cruises heißt.

In diese Zeit fallen auch die Expeditionsreisen ans andere Ende der Welt – in die Antarktis. Wer als Gast einen festen Tagesplan mit genauen Ankünften und Abreisen in den einzelnen Destinationen gewöhnt ist, wird hier eines besseren belehrt. Wind, Wellen und Eisgang geben den Takt vor. Plötzlich auftauchende, herabfallende Winde wirbeln die Planungen durcheinander. Anlandungen müssen gestoppt, Alternativen gesucht werden. Man braucht immer einen Plan B, C oder D. „Wir haben das Know-how, dann das beste daraus zu machen“, sagt van Zwamen.

Sir Ernest Shackleton ist dem Kapitän ein Vorbild

Wenn es das Wetter zuließ, stand er in Grytviken mit Passagieren und Crewmitgliedern am Grab eines seiner Vorbilder, einem Genie der Menschenführung: Sir Ernest Shackleton. Der Polarforscher rettete seine Männer unter Einsatz des eigenen Lebens von Elephant Island, einer unwirtlichen Insel, die fast immer im Griff der katabatischen Winde ist.

„Damals ist man ins Unbekannte gefahren“, sagt van Zwamen. „Und heute macht es für uns schon einen Unterschied, ob wir einen Hafen um 17 oder um 18 Uhr erreichen.“ Shackleton habe aber genau diese Herausforderung gesucht. Er wollte die Antarktis durchqueren – und ist daran gescheitert. „Dennoch ist er ein gutes Beispiel dafür, wie man Krisen meistern kann. Dafür bewundere ich ihn. Ich weiß aber nicht, ob ich selbst so ein Abenteurer bin.“

Kapitän: "Man wächst in diese Rolle hinein“

Seit 2014 ist Christian van Zwamen Kapitän der „Europa 2“. In diesen Tagen ist er, im Wechsel mit seinem Kollegen Jörn Gottschalk, nach der Ferienpause wieder an Bord zurück. 300 Gäste freuen sich Anfang Juli auf einen Törn im Mittelmeer. An Bord gelten strenge Hygienevorschriften, auch auf der Brücke tragen sie Masken.

Van Zwamen trägt die Verantwortung. Er hat das Kommando, 24 Stunden am Tag. Für ihn eine Herausforderung, erst recht in Pandemiezeiten. Aber keine Bürde, die ihn niederdrückt. „Man wird ja nicht über Nacht Kapitän. Ich bin als leitender Offizier auf diversen Schiffen gewesen, zuletzt auf dem Expeditionsschiff der Bremen. Dabei übernimmt man mehr und mehr Führungsaufgaben. Man wächst in diese Rolle hinein.“

„Europa 2“ war nur rund zwei Monate nicht im Einsatz

Während zahlreiche Seeleute monatelang wegen der Pandemie an Land bleiben mussten, hatte der Hamburger Glück: Die „Europa 2“ war lediglich rund zwei Monate nicht im Einsatz. In dieser Zeit wurden technischen Arbeiten durchgeführt. Während des Weihnachtszeit kreuzte das Luxusschiff etwa zwischen den kanarischen Inseln. Zum Beispiel zum Hafen von La Gomera, San Sebastian. Dort startete einst Christoph Kolumbus zu seiner Reise in die Neue Welt. Und dort wachsen die letzten Urwälder Europas, der geheimnisvolle und nebelkühle Lorbeerwald.

Gewiss, für einen wie Christian van Zwamen sind Kreta und die Kanarischen Inseln nicht die große, weite Welt. Aber er entdeckt, dass Reisende dort immer wieder glücklich werden. Er selbst kann es auch. Es muss nicht immer sein Lieblingsrevier, die norwegischen Fjorde, sein. Es kann im Übrigen auch die schöne Hamburger Umgebung sein, wo er in seiner Freizeit an Land gern Motorrad fährt und fotografiert. Ohnehin genießt er die Zeit mit seinem Partner, der glücklicherweise seine Hobbys teilt, wenn er auf „Heimaturlaub“ in Eimsbüttel ist.

„Ich bin an Orte gereist, die würde ich bei kaum einer anderen Reederei je zu sehen bekommen. Gerade in der Antarktis habe ich Momente erlebt, da fehlten mir manchmal einfach die Worte, die Wucht der Eindrücke zu beschreiben.“ Christian van Zwamen spricht diese Wort reflektiert, wie er ohnehin ein nachdenklicher Mensch ist. So nutzt er denn auch die Wanderungen in der Hamburger Umgebung zum Nachdenken über das Leben, ja auch über die Zukunft der Kreuzfahrt. Auf die Frage, wann es denn wieder endlich normale Zeiten gibt, sagt er schmunzelnd: „Prognosen sind immer schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“