Hamburg. Freenet-Chef Christoph Vilanek ist überzeugt, dass Homeoffice einem Unternehmen schadet. Trotzdem lässt er mehr mobiles Arbeiten zu.

Christoph Vilanek schaltet sich ein kleines bisschen verspätet ins Videogespräch. „Entschuldigung, ein wichtiges Telefonat“, sagt er. Der Vorstandschef des Telekommunikationskonzerns Freenet trägt das Hemd mit geöffnetem Kragen und rote Hose. Farbenfrohes Beinkleid ist eine Art Markenzeichen von ihm.

Im Hintergrund ist zu sehen, welchen Ausblick der 53-Jährige aus dem Fenster seines Büros am Deelbögenkamp in Alsterdorf hat. Dort sitzen und arbeiten der Vorstand und gut 400 der insgesamt gut 4000 Beschäftigten des Unternehmens. Auf dem Fensterbrett steht ein Kaktus.

Hamburger Abendblatt: Herr Vilanek, wie viele der Beschäftigten in der Freenet-Zen­trale sind heute im Büro?

Christoph Vilanek: Ich schätze ein Drittel. Wir haben die Mitarbeitenden jetzt wissen lassen, dass wir unter Berücksichtigung der weiter bestehenden Auflagen zu der vorherigen Regelung zurückkehren. Wir arbeiten zunächst wieder mit A- und B-Schichten, sodass höchstens 50 Prozent der Beschäftigten im Büro sind. Wegen der Sommerferien sind es weniger, unter normalen Umständen wäre etwa die Hälfte hier. Grundsätzlich steht bei uns in den Arbeitsverträgen, dass Büroarbeit am Standort stattfindet.

Wie haben Sie persönlich das in der Krise gemacht, waren sie täglich im Büro?

Vilanek: Ja. Ich bin lieber hier im Büro, ich mag den Austausch. Mein Vorstandskollege für Finanzen und mein Sekretariat waren regelmäßig hier.

Hat es Ihrer Kreativität geschadet, dass Sie weitgehend allein waren?

Vilanek: Es funktioniert ja, dass wir beide uns gerade per Video unterhalten. Man kann das so machen. Aber wenn Sie hierhergekommen wären, hätten wir uns an einen Tisch gesetzt und Kaffee getrunken. Dann würde das Gespräch möglicherweise ganz anders verlaufen, es hätte eine andere Intensität. Das ist für mich ein Riesenunterschied.

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Was genau vermissen Sie da, wenn es kaum persönlichen Kontakt gibt?

Vilanek: Ich glaube, ein Unternehmen lebt auch von Widerspruch. Sie diskutieren anders, wenn Sie sich direkt gegenübersitzen. Vielleicht sagt der andere gar nichts, aber wenn ich sehe, dass er anfängt, die Nüstern aufzublähen, dann registriere ich: Aha, der Konsens ist nicht da. Und dann kann ich sagen: Ich habe den Eindruck, dass wir nicht einer Meinung sind. Wir hatten heute eine Vorstandssitzung mit sechs Leuten. In einer Videokonferenz mit so vielen Teilnehmern kann man viel weniger intensiv diskutieren, weil jede nonverbale Kommunikation nicht wahrgenommen wird.

Sie bleiben also auch nach vielen Monaten Homeoffice dabei, dass das einem Unternehmen und den Beschäftigten schadet? So haben Sie das vor einem Jahr gesagt.

Vilanek: Ich bleibe dabei: Vom Grundsatz her möchte ich eine Präsenzkultur im Büro. Das hilft. In der öffentlichen Diskussion kommt viel zu kurz, dass es in Deutschland einen Facharbeitermangel gibt. Wer aber kümmert sich jetzt um den Berufsnachwuchs, um die Praktikanten und um die Auszubildenden, die am 1. Juli bei uns angefangen haben? Die sitzen im mobilen Arbeiten und bekommen keine Stimmung mit, keine Unternehmenskultur. Die wissen nicht, dass beim Vorstandsvorsitzenden die Tür offensteht und dass er morgens mit dem Fahrrad ins Büro kommt. Das sagt doch was über ihn aus. Ich bin überzeugt, dass ein Unternehmensspirit nur entstehen kann, wenn man gemeinsam arbeitet, gemeinsam Zeit verbringt, sich in der Kantine begegnet.

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Dann heißt die Devise: Alle zurück ins Büro, sobald es möglich ist, oder kann auch bei Freenet künftig flexibler gearbeitet werden?

Vilanek: Flexible Arbeitsplatzwahl gab es bei uns in gewissem Umfang immer schon. Das hat auch etwas mit der Geschichte des Unternehmens zu tun. Seitdem der Vorstand vor Jahren vom Firmensitz in Büdelsdorf nach Hamburg umgezogen ist, gibt es Mitarbeitende, die einige Tage pro Woche dort, einige Tage hier arbeiten. Ich selbst war früher zwei Tage in Stuttgart, dann zwei Tage in Hamburg und freitags immer in München, weil wir dort drei Standorte haben und ich damals in München gewohnt habe. Mitarbeitende, deren Funktion das zulässt, konnten immer schon einen Tag von zu Hause arbeiten, wenn das Kind krank ist, oder Handwerker kommen. Das wurde aber durchaus unterschiedlich gehandhabt und vielleicht waren nicht alle Führungskräfte immer ganz sicher, wie die Regelung ist. Deshalb werden wir aus den Erfahrungen in der Krise heraus einige Grundangebote deutlicher festschreiben.

Wie sehen die ungefähr aus?

Vilanek: Ein Element wird sein, dass jeder die Möglichkeit hat, ein oder zwei Tage pro Woche flexibel zu arbeiten. Das wird aber immer das Einräumen eines Angebots sein, kein Rechtsanspruch. Vielleicht machen wir ein Stufenmodell: Einen Tag würden die Beschäftigten dann einfach anmelden, über zwei Tage würde vielleicht der Abteilungsleiter entscheiden müssen. Wenn es darüber hinausgehen soll, würden das höherrangige Vorgesetzte tun. Das ist noch in der Diskussion. Was nicht sein kann, ist, dass eine ganze Abteilung entscheidet, dass sie donnerstags und freitags nicht da ist, obwohl es eine Schnittstelle zu einer anderen Abteilung gibt. Die andere Abteilung hat aber entschieden, dass sie montags und dienstags nicht da ist. Dann könnte man Arbeitsabläufe kaum noch organisieren. Und das kann ja nicht sein.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Das ist eine Lösung, die viele andere Unternehmen anstreben. Begeistert klingen Sie aber nicht …

Vilanek: Wir haben in den vergangenen Monaten ja keine schlechten Erfahrungen gemacht mit dem mobilen Arbeiten. Das hat immer funktioniert. Aber wenn ich bemerke, da sind Leute, die nur einen Tag in der Woche im Büro sind, würde ich einschreiten. Das ist nicht meine Vorstellung. Wie soll man die Leistung von jemandem beurteilen, den man praktisch nie sieht? Ein Unternehmen muss doch mehr sein als eine Ansammlung von freien Mitarbeitern, die arbeiten, wo sie wollen. Ich glaube nicht, dass das funktionieren kann. Andererseits ist in eingespielten Teams natürlich vieles möglich. Ich bin auch Aufsichtsratsvorsitzender von Ströer, die Mitglieder kennen sich seit Jahren. Ich werde natürlich nie wieder für einen einstündigen Aufsichtsratstermin nach Köln fliegen.

Ist bei Freenet geplant, Büroflächen zu verkleinern?

Vilanek: Unser Standort in Büdelsdorf mit etwa 700 Beschäftigten wird gerade generalsaniert. Die Gebäudehülle ist komplett ausgeräumt, das Innenleben wird neu zugeschnitten. Dort wird es in der Tat so sein, dass nicht alle, die dort heute arbeiten, einen eigenen Schreibtisch haben werden, wenn denn alle da sind. Wir kalkulieren mit etwa 20 bis 25 Prozent weniger Schreibtischen. Ein Teil der Beschäftigten ist ja ohnehin immer in Urlaub oder krank. In einigen Abteilungen, die stark auf Präsenz setzen, könnte jeder weiter den eigenen Schreibtisch haben. Andere Teams bekommen einen bestimmten Bereich im Gebäude und regeln alles andere selbst. Aber eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass unsere Leute große Lust haben, jeden Morgen ihren fahrbaren Schreibtischschrank im Erdgeschoss abzuholen und damit durchs Gebäude zu ziehen, um sich einen Arbeitsplatz zu suchen.

Es gibt Manager, die sagen: Wenn ein Unternehmen eine sehr flexible Arbeitsplatzwahl nicht zulässt, dann kann es heute keine Top-Mitarbeiter rekrutieren …

Vilanek: Wenn mir ein Bewerber gegenübersitzt und sagt, dass er vielleicht alle 14 Tage mal einen Tag reinschauen möchte, werde ich ihm sagen: Dann kannst Du vielleicht als freier Mitarbeiter für uns tätig sein. Noch einmal: Freenet ist ein Präsenzunternehmen, ist aber bereit, abhängig von Aufgabe, Art und Umfang und den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten eines Beschäftigten Entgegenkommen zu zeigen und Wünsche zu erfüllen. Wer aber vier Tage pro Woche außerhalb des Büros arbeiten will, wird von mir ein hartes Nein hören. Wenn jemand es super findet, wie viel Freiheit amerikanische Internetunternehmen jetzt geben, kann er da ja gern hingehen. Nur wird er eben niemals merken und fühlen, wo er jetzt ist. Weil: Da ist ja gar keiner!

Letzte Frage: Dieser Kaktus auf ihrem Fensterbrett, soll der eine nonverbale Botschaft senden?

Vilanek: Nein, soll er nicht (lacht). Den habe ich geschenkt bekommen, seitdem lebt er hier.