Hamburg. Bürgermeister und Umweltsenator wollen die schnelle Umsetzung. Dabei geht es nicht nur um die Sicherstellung der Gasversorgung.
Auf einmal muss alles ganz schnell gehen. Jahrelang hat der Hamburger Senat die technologische Entwicklung zur Energieversorgung durch Flüssigerdgas LNG (Liquefied Natural Gas) ignoriert. Wenn es darum ging, Standorte für die LNG-Versorgung beispielsweise in der Schifffahrt aufzubauen, ließ die Hansestadt anderen Städten den Vortritt. Jetzt will die Politik so schnell wie möglich ein schwimmendes LNG-Terminal im Hamburger Hafen stationieren. Manche reden von einer Realisierung noch bis Jahresende. Was hat den Strategiewandel ausgelöst und welche Probleme stehen dem Vorhaben entgegen? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu LNG-Terminals – und warum es in Hamburg auch Bedenken gegen das Projekt gibt
Wieso soll LNG importiert werden?
Ausgelöst wurde die Absicht, möglichst schnell LNG-Terminals für den Import des Flüssiggases zu realisieren durch den Überfall Russlands auf die Ukraine und die internationale Wirtschaftssanktionen gegen den Aggressor. Deutschland will sich so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas machen und sucht nach anderen Versorgungswegen. Dazu sollen die Kapazitäten für den Import und die Verarbeitung von Flüssiggas ausgebaut werden. Schwimmende LNG-Terminals spielen dabei momentan eine zentrale Rolle, weil sie als schnell realisierbar gelten
Wie funktionieren schwimmende LNG-Terminals?
Für den kurzzeitigen mobilen Import von Gas gibt es spezielle Schiffe, so genannte FSRU (Floating Storage and Regasification Unit), an die andere Tankschiffe andocken können. Die Terminals nehmen das Flüssiggas auf, speichern es und wandeln es auch wieder in seinen Gaszustand um, bevor sie es ins Gasnetz einspeisen. FSRUs sind ras, es gibt weltweit gerade einmal 48 dieser Spezialschiffe. Das Bundeswirtschaftsministerium will vier davon anmieten, die zusammen 20 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr zur Verfügung stellen sollen. Damit könnte man etwa die Hälfte dessen, was Deutschland derzeit aus Russland bezieht, ersetzen (46 Milliarden Kubikmeter).
Welche Rolle spielt Hamburg?
Bundestag und Bundesrat haben vor wenigen Tagen ein sogenanntes LNG-Beschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Es soll zeitlich und örtlich befristet gelten, um die normalerweise sehr langwierigen Verfahren zur Genehmigung von LNG-Terminals zu verkürzen. Das Gesetz nennt sechs mögliche Standorte, für die es gelten soll: Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade, Rostock , Lubmin und Hamburg-Moorburg.
Was wäre der Vorteil eines LNG-Terminals in Hamburg?
Alle genannten möglichen Standorte haben Vor- und Nachteile. In Wilhelmshaven, wo etwa schon mit dem Bau eines Anlegers für ein schwimmendes LNG-Terminal begonnen wurde, muss eine weitere Leitung gelegt werden, weil der Anschluss ans Gasnetz mehr als 30 Kilometer entfernt ist, in Brunsbüttel sind es sogar mehr als 50 Kilometer. Andererseits sind diese Standorte und auch Stade bei den Genehmigungsanträgen vorn. Hamburg hat den großen Vorteil, dass hier keine Gasleitung verlegt werden muss. Der Anschluss ans Gasnetz existiert bereits in Moorburg. Gibt es ein schwimmendes LNG-Terminal, könnte die Einspeisung sofort beginnen.
Wie steht die Politik dazu?
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) wollen eine schnelle Realisierung. Sie sehen in einem schwimmenden LNG-Terminal einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Gasversorgung im Norden. Zudem ist es auch eine Frage des Prestiges, als erste deutsche Stadt LNG ins öffentliche Gasnetz einzuspeisen. Umweltsenator Kerstan, der den Einsatz von LNG in der Vergangenheit immer ablehnte und der Technologie sehr skeptisch gegenüberstand, hat ein zusätzliches Problem: Er muss die Fernwärmeversorgung Tausender Hamburger Haushalte für den kommenden Winter sicherstellen. Das mit Steinkohle befeuerte Heizkraftwerk in Wedel ist völlig veraltet und sollte eigentlich schon vor Jahren abgeschaltet werden. Das moderne Kohlekraftwerk in Moorburg ist auf Druck der Grünen bereits abgeschaltet und wird schon zurückgebaut. Das weniger klimaschädliche Gas- und-Dampf-Kraftwerk (GUD) auf der Dradenau soll die Fernwärmeversorgung sicherstellen, benötigt dazu aber dringend Gas. Es gibt aber auch Stimmen in Hamburgs Behörden, die dem Einsatz eines schwimmenden LNG-Terminals skeptisch gegenüber stehen. Dazu gehört die Wirtschaftsbehörde, die hohe Hürden dafür sieht.
Welche Probleme gibt es noch?
Der Einsatz von LNG ist nicht ungefährlich. Es besteht die Gefahr einer Entzündung des Gases bei der Verflüssigung oder der Vergasung im LNG-Terminal sowie bei Austritt der tiefkalten Flüssigkeit (minus 161 bis minus 164 Grad) aus ihrem Transportbehälter. Deshalb gelten beim Einsatz dieser Anlagen besondere Sicherheitsregeln. Kommt einmal die Woche ein Gastanker die Elbe herauf, muss die Fahrrinne jeweils abschnittsweise für andere Schiffe gesperrt werden. Der Mindestabstand zu einer schwimmenden LNG-Anlage muss mindestens 200 Meter betragen, was die Nutzung umliegender Flächen einschränkt. Noch größer muss der Sicherheitsradius gezogen werden, wenn ein Tanker, kommt, um das LNG-Terminal zu versorgen. Unter Umständen müsste während der Entladungszeit, die 24 bis 48 Stunden dauert, die Kattwykbrücke gesperrt werden. Auch umliegende Industrieunternehmen wären in ihrer Produktion eingeschränkt. Für den Einsatz solcher Spezialschiffe müsste auch die Liegewanne um etwa drei bis fünf Meter vertieft werden, was neue Fragen zu einer Lagerstätte des Baggerguts aufwirft. Zudem befürchtet die Wirtschaftsbehörde, dass durch die Einschränkungen der Aufbau eines großen Elektrolyseurs zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Moorburg um Jahre verzögert wird. Schließlich ist da noch die Kostenfrage: Weil FSRUs rar sind, ist die Miete hoch: Bis zu 200.000 Euro am Tag werden genannt.
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Was sagt der Senat offiziell?
Eine Sprecherin der Wirtschaftsbehörde sagt: „Die Möglichkeit eines schwimmenden Importterminals für Flüssiggas (LNG-Terminals) in Hamburg wird aktuell geprüft. Es wird mit Hochdruck an einer Machbarkeit des Konzepts gearbeitet, die Genehmigungen sind sehr anspruchsvoll.“
Wie reagieren Umweltschützer auf die Pläne?
Die Verbände BUND, Nabu und WWF lehnen die Pläne rundweg ab. Gegen das Genehmigungsverfahren in Wilhelmshaven haben sie bereits Klagen angekündigt. „Obwohl sehenden Auges langfristige Überkapazitäten mit erheblichen negativen Klimawirkungen und überflüssigen ökologischen Schäden geschaffen werden, sollen aufgrund föderaler Begehrlichkeiten ohne Sinn und Verstand in allen Nord-Bundesländern diverse LNG-Terminals entstehen. Das ist keine notwendige Vorsorge, sondern ein politisches Versagen“, sagt der Vorsitzende des Nabu-Hamburg, Malte Siegert. Der beste Weg, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sei zu sparen. Stattdessen werde gefracktes – also unter Einsatz von Chemikalien gefördertes – Flüssiggas aus den USA oder aus Katar importiert. „Es ist wundersam, wie das mit den Interessen vor allem der Grünen zusammenläuft“, sagt Siegert.
Was sagen die Elblotsen?
„Bisher schaut jedes Bundesland und der Bund auf sein Zuständigkeitsbereich an der Elbe. Für so ein großes Projekt benötigen wir aber ein länderübergreifendes Konzept“, sagt der Ältermann der Elblotsen Ben Lodemann. „Was passiert beispielsweise mit dem Schiffsverkehr, wenn ein LNG-Tanker vor Brunsbüttel gedreht werden muss? Das sind doch keine Spielzeugautos, mit denen wir da hantieren, sondern 300 bis 340 Meter lange Kolosse.“
Wie steht die Hafenwirtschaft zu den Plänen?
„Wir haben vor mehr als acht Jahren die Schaffung einer LNG-Infrastruktur im Hamburger Hafen für Lagerung und Umschlag gefordert. Während in den Niederlanden und Belgien rechtzeitig Terminals und Infrastrukturen aufgebaut worden sind, ist in Deutschland und Hamburg nichts passiert“, kritisiert der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH), Gunther Bonz. „Diese Energieform passte offenbar nicht in die vor allem ideologisch geprägten technischen Elemente der sogenannten Energiewende.“ Hamburg habe noch immer keinen Rechtsrahmen für Lagerung und Umschlag von LNG im Hafen. „Spätestens jetzt zeigt sich, dass die politisch gewollte Abschaltung des modernsten Kohlekraftwerks Europas in Moorburg unnötig früh erfolgt ist und Hamburg Gefahr läuft, keinen günstigen Strom im Grundlastbereich bis zur Realisierung der Energiewende zur Verfügung zu haben – mit der Gefahr des Verlustes der Grundstoffindustrie“, so Bonz.
Wie geht es weiter?
Die Untersuchungen zur Realisierung eines schwimmenden LNG-Terminals in Hamburg sind noch nicht abgeschlossen. Möglicherweise müssen zusätzliche Gutachten eingeholt werden. An einer Realisierung bis Jahresende glaubt die Hafenwirtschaft nicht mehr. Aus Senatskreisen heißt, dass das Thema bei der Senatsvorbesprechung am kommenden Dienstag auf den Tisch kommen soll.