Hamburg. Sabine Zierl ist Opfer der Corona-Krise geworden – immer häufiger trifft es neben Newcomern auch Hamburger Traditionsunternehmen.

Das Plakat über dem Eingang zu dem kleinen Schmuckladen am Hofweg ist nicht zu übersehen. „Räumungsverkauf“ hat Sabine Zierl in großen Buchstaben auf das neongrüne Schild drucken lassen, mit insgesamt sechs Ausrufezeichen. „Es ist mir sehr nah gegangen, als ich das vor einigen Tagen aufgehängt habe“, sagt die Inhaberin von ¡Te Quiero!. Vor drei Jahren hatte sich die 54-Jährige ihren Traum vom eigenen Geschäft in Hamburg erfüllt.

Im Angebot massive Silberringe nach eigenen Entwürfen, filigrane Halsketten, Armbändchen in verschiedenen Varianten und vieles mehr. Damit ist bald Schluss. Sabine Zierl macht ihren Laden dicht. „Dass ich mein Geschäft aufgeben muss, liegt vor allem an den Auswirkungen von Corona“, sagt die Einzelhändlerin, die jahrelang gut von ihrem Schmuckhandel leben konnte.

Corona beschleunigt Ladensterben in Hamburg

Dass Läden auf dem Stadtbild verschwinden, lässt sich in den vergangenen Monaten immer wieder beobachten. Zweimal schon mussten viele Einzelhändler seit Beginn der Pandemie im März 2020 ihre Ladenlokale schließen. Der letzte Lockdown dauerte mehr als fünf Monate und war erst Ende Mai vorbei. Danach kamen die Kunden nur langsam zurück in die Geschäfte. Deutliche Umsatzverluste machen vor allen den kleinen, inhabergeführten Betrieben zu schaffen.

Die 2G-Regel mit Zugangskon­trollen mitten im Weihnachtsgeschäft hat die Lage zusätzlich verschärft. Fast jeder vierte Einzelhändler in der Metropolregion Hamburg war oder ist trotz staatlicher Hilfsmittel in seiner Existenz bedroht, hat eine Umfrage der Commerzbank ergeben. 70 Prozent befürchten in den nächsten fünf Jahren eine Verödung der Innenstadt. Auch der Handelsverband, Deutschlands mächtiger Interessenvertreter des Einzelhandels, warnt vor einer Pleitewelle.

So weit wollte Sabine Zierl es nicht kommen lassen. 2003 hatte die Wahlhamburgerin ihr Schmucklabel gegründet und ihm den Namen ¡Te Quiero! (spanisch: Ich liebe dich) gegeben. Das Geschäft mit den Ketten, Ringen, Armbändern und Ohrsteckern nach ihren Designs auf der indonesischen Urlaubsinsel Bali gefertigt, lief gut. Verkauft wurden die Schmuckstücke vor allem in kleinen Boutiquen und auf Märkten.

Schmuck wird in der Pandemie selten gekauft

16 Jahre lang hatte die Grafikdesignerin, die vorher in der Werbung gearbeitet hat, einen festen Stand auf dem Isemarkt. 2018 eröffnete sie ihren Laden auf der Uhlenhorst. „Es war eine glückliche Fügung, dass ich die Räume mit bezahlbarer Miete gefunden habe“, sagt sie. Nachdem die Anfangszeit nicht so einfach war, hatte sich Zierl Anfang 2020 eta­bliert. Dann kam Corona.

Den ersten Lockdown überstand die Geschäftsinhaberin auch dank der Corona-Soforthilfe. Außerdem versuchte sie, ihren Schmuck weiter über die sozialen Medien wie Facebook und Instagram zu verkaufen. Aber als sie ihren kleinen Laden wieder öffnen durfte, blieben die Umsätze deutlich unter denen von vor der Pandemie. Nach der zweiten Geschäftsschließung wurde die Lage noch schlimmer.

„Die Pandemie-Situation gibt nicht mehr genug Anlässe her, für sich neuen Schmuck oder Geschenke für andere zu kaufen und drückt immens auf die Kauflaune. Da gab es schon mal Tage, an denen nur ein Kunde etwas gekauft hat“, sagt Sabine Zierl. Nur mit Mühe konnte sie die Miete aufbringen. Um ihre Steuern zu bezahlen, verkaufte sie den Schmuck ihrer gerade verstorbenen Mutter. Nachts lag sie stundenlang wach – gequält von Selbstzweifeln und Existenzängsten.

Hamburg: Sabine Zierl gibt wegen Corona auf

Dann kam Ende Oktober die Nachricht, die ihr den Boden unter den Füßen wegzog. Zierl muss voraussichtlich mindestens die Hälfte der Corona-Soforthilfe in einer Höhe von mehreren Tausend Euro zurückzahlen. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Die Corona-Hilfen des Bundes wurden als ,nicht zurückzuzahlende und als Einkommen zu versteuernde Zuschüsse‘ deklariert“, sagt die Einzelhändlerin im Rückblick.

Dass sie während der Schließungszeit mit ihren Verkäufen über Instagram & Co. zumindest ein bisschen Geld verdient habe, falle ihr jetzt bei der Überprüfung auf die Füße. Irgendwie werde sie die Rückzahlung schon stemmen, aber inzwischen sei sie psychisch und körperlich am Ende. Zermürbt nach fast zwei Jahren Kampf gegen Corona. „Ich musste die Reißleine ziehen und habe mich zur Geschäftsaufgabe entschlossen“, sagt Sabine Zierl.

Seit Jahresbeginn sind diverse Händler verschwunden. In der Hamburger City traf es auch bekannte Traditionsunternehmen.

Abercrombie & Fitch in Hamburg schließt

Ende März machte das Wäschehaus Möhring am Großen Burstah zu – und jüngst gab auch der Beleuchtungsspezialist Ewige Lampe am Neuen Wall auf. Mit Hanse CD im Hanseviertel hat zudem das letzte Musikfachgeschäft der Innenstadt geschlossen. Nicht immer ist Corona der Grund für das Aus, aber die Pandemie beschleunigt den Umbruch im Handel. Auch in den Stadtteilen machen inhabergeführte Läden zu. Das Fachgeschäft Koch+Designhaus auf der Uhlenhorst gibt es nicht mehr, genauso wie den Spezialladen Messer Jürges im Schanzenviertel oder den Kostümverleih Habenicht in Tonndorf.

Betroffen sind auch große Unternehmen. So hat das Einrichtungshaus Kabs in diesem Jahr Filialen geschlossen, genau wie der Süßwaren-Hersteller Arko, der Schuhhändler Schuh Kay, die Parfümeriekette Douglas. Zuletzt kündigte die US-Kultmarke Abercrombie & Fitch an, den Hamburger Flagship-Store in der Poststraße dicht zu machen. Stattdessen zieht der Textilhändler an einen kleineren Standort im Levantehaus.

Handelsexperte befürchtet 2022 weitere Insolvenzen

Die Liste könnte im nächsten Jahr noch deutlich länger werden. „Wir haben einerseits die kurzfristigen Auswirkungen der Corona-Krise durch die Umsatzausfälle gerade jetzt wieder im Weihnachtsgeschäft“, sagt Marco Atzberger vom EHI Retail Institute. Das treffe vor allem die Händler hart, die keine Rücklagen hätten. Auch bei staatlichen Hilfen fallen die Einzelhändler häufig durchs Raster. „Je länger die Phase dauert, desto mehr Insolvenzen werden folgen“, so der Handelsexperte.

Noch drastischer sieht er die mittel- und langfristigen Konsequenzen. „Die Kunden gewöhnen sich ans Onlineshoppen.“ Vor allem die Ungeimpften machten darin gerade einen Crashkurs. Ob die Menschen zurück in die Läden kämen, sei fraglich. Vor allem Fachgeschäfte ohne großen Beratungsbedarf seien gefährdet, sagt Atzberger. Nach einer Studie des Instituts für Handelsforschung könnten bis zu 80.000 Läden bundesweit bis 2023 schließen.

Für Sabine Zierl sind es die letzten Tage in ihrem Schmuckladen ¡Te Quiero!. „Seitdem ich Räumungsverkauf mache, laufen mir die Kundinnen die Türen ein“, sagt die Einzelhändlerin, die Rabatte von 30 bis 50 Prozent bietet. Schon vor Geschäftsöffnung am Morgen stehen immer wieder Menschen vor der Tür. Inzwischen sind viele Regale und Schubladen in dem hellen Ladenlokal ausgeräumt. Sogar einige Möbel haben Abnehmer gefunden. Dieser letzte Monat sei auch der mit dem höchsten Umsatz seit der Gründung, sagt Sabine Zierl. Das ist gut, aber auch bitter. „Ich frage mich schon manchmal, wo viele der Käufer vorher waren.“

„Ich fürchte, es wird noch einige geben, die nicht überleben“

Eigentlich hat die Schmuckhändlerin noch bis Februar Zeit, ihr Geschäft zu räumen. Aber so wie es aussieht, wird es nicht mehr so lange dauern. Danach hat sie sich erst mal eine Pause verordnet. Parallel sucht Sabine Zierl, die mit ihrem Lebensgefährten in Bramfeld lebt, einen Teilzeitjob – eher nicht im Einzelhandel.

Ihren selbst entworfenen Schmuck will sie in Zukunft nur noch im kleinen Stil verkaufen, unter anderem auf dem Internetportal Etsy. Es ist auch ein Neuanfang. Sie wird damit nicht die Einzige sein. „Ich höre in meinem Umfeld, dass durch Corona gerade kleinere Läden im mittleren Preissegment Schwierigkeiten haben“, sagt sie. „Ich fürchte, es wird noch einige geben, die nicht überleben.“