Hamburg. Trotz guter Auftragslage kann die Traditionswerft die Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Senat wird für Pleite mitverantwortlich gemacht.
Freud und Leid wechseln im Leben einander ab. Wer lange lebt, kennt das zur Genüge. Die Pella Sietas Werft in Hamburg-Neuenfelde gibt es seit 385 Jahren und hat den Wandel von guten und schlechten Zeiten oft erfahren. Jetzt ist der Schiffbaubetrieb wieder in einer leidvollen Phase – es könnte seine letzte sein.
Am Mittwoch informierte die Direktorin der Werft, Natallia Dean, die Belegschaft darüber, dass sie am Donnerstag Insolvenz für Deutschlands ältesten noch existierenden Schiffbaubetrieb anmelden müsse. Dieser Schritt sei aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit notwendig, nachdem die russische Sberbank den Geldhahn zugedreht hat.
Pella Sietas Werft: Gehälter seit Mai ausgeblieben
Trotz Einschaltung des Bundeswirtschaftsministeriums und einer Bitte um Unterstützung durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sei es bisher nicht gelungen, die notwendige Liquidität herzustellen, sagte Dean den rund 290 Mitarbeitern des Schiffbaubetriebs. Diese erhielten seit Mai keinen Lohn mehr. Auch die Geschäftsführung bekommt kein Gehalt.
Die Mitarbeiter seien wöchentlich über den Fortgang der Verhandlungen informiert worden. „Sie waren also nicht überrascht, aber sehr betroffen, als wir sie heute Morgen informierten“, sagte die stellvertretende Geschäftsführerin Beate Debold nach dem Treffen. „Zugleich haben wir trotz der Lohnausfälle eine große Loyalität gespürt.“ Denn irgendwie besteht auf der Werft, die schon vieles erlebt hat, immer noch die Hoffnung, dass es weitergeht.
Russisches Versprechen hat keine Gültigkeit mehr
Schon einmal ist die 1635 erstmals urkundlich erwähnte Sietas Werft aus der Pleite zurückgekommen: Bereits im Jahr 2011 hatte der Betrieb infolge der Schifffahrtskrise und der starken Konkurrenz aus Asien wegen Überschuldung den Gang zum Insolvenzrichter antreten müssen. 2014 übernahm die russische Schiffbaugruppe Pella Shipyard aus St. Petersburg den Betrieb.
Pella Shipyard gehört der russischen Familie Tsaturow. Diese versprach, den Hamburger Betrieb mindestens acht Jahre fortzuführen. Doch dieses Versprechen hat in dieser Situation laut Dean keine Gültigkeit mehr: „Zwar steht die Muttergesellschaft in der Pflicht und ist auch willens, uns weiter zu stützen. Aber auch sie kann kein Geld geben, weil sie infolge der Corona-Pandemie Probleme hat.“
Corona-Krise und weggebrochener Hadag-Auftrag
Die Chefin der Hamburger Werft gibt in beträchtlichem Maße dem Virus eine Mitschuld an der finanziellen Schieflage des Hamburger Betriebs. Infolge der Pandemie seien die Baukosten für mehrere Projekte stark gestiegen und Zahlungen ausgeblieben. Ein wichtiger Auftrag zum Bau neuer Hafenfähren für die Hadag brach zudem weg und wurde anderweitig vergeben.
So gelang es nicht, frisches Geld zur Bezahlung der Mitarbeiter ins Haus zu holen. Zudem gibt es rechtliche Auseinandersetzungen um Außenstände bei mehreren Zulieferern. Nach Informationen des Abendblatts liegen titulierte Forderungen über knapp 1,5 Millionen Euro gegen Pella Sietas vor.
Insolvenz: Pella Sietas hofft auf Hilfe vom Bund
Unter diesen Bedingungen hatte der WSF keinen Rettungsschirm für die Hamburger Schiffbauer aufspannen wollen. Zumal die russische Hausbank keine Kredite mehr gewährte.
„Das heißt aber nicht, dass die Tür dauerhaft zugesperrt ist. Uns wurde vom Bundeswirtschaftsministerium signalisiert, dass wir auch in der Insolvenz durchaus Chancen hätten, vom Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu profitieren, wenn wir den Betrieb wieder zum Laufen bekommen“, sagte Debold.
Hamburger Behörde hilft beim Schlickproblem
Schon zum Jahreswechsel 2021 stand der Werftbetrieb auf der Kippe. Damals konnte Pella Sietas ein fertig gebautes Baggerschiff für den Bund nicht ausdocken, weil sich im Werfthafen massiv Schlick angesammelt hatte, der das Este-Sperrwerk bedrohte. Erst auf Initiative des Staatsrats der Wirtschaftsbehörde, Andreas Rieckhof, gelang es, eine Lösung zum Ausschwimmen des neuen Schiffs herbeizuführen.
Das war so ein Moment in der Geschichte der Werft, als große Sorge wieder in Zuversicht umschlug. Die Wirtschaftsbehörde habe auch zugesagt, eine dauerhafte Lösung für das Schlickproblem zu unterstützen, wenn der Werftbetrieb trotz Insolvenz weitergehen kann. „Wir fühlen uns durch die Wirtschaftsbehörde voll unterstützt“, sagen die Geschäftsführerinnen.
Die Werft hat eigentlich ein volles Auftragsbuch
Deshalb haben sie in Neuenfelde die Hoffnung nicht aufgegeben. Arbeit gibt es nämlich auf der Werft. So steht die Ausrüstung des Baggerschiffs für den Bund sowie einer Bodenseefähre an. Eine weitere Fähre für die Reederei Norden-Frisia befindet sich im Bau und ein russischer Eisbrecher. Alle Aufträge verzögerten sich aber massiv.
„Es wäre eine Schande, wenn eine Werft mit so vielen Aufträgen kaputtginge“, sagte Dean. Sie selber wird den Chefsessel an den Insolvenzverwalter abtreten müssen, denn eine Insolvenz in Eigenverwaltung wird es nicht geben.
Senat soll sich für Erhalt der Werft einsetzen
„Wir brauchen jetzt einen starken Insolvenzverwalter, der auf eine Fortführung des Unternehmens setzt und die bestehenden Aufträge sichert“, sagte Emanuel Glass, der zweite Bevollmächtigte der IG Metall in der Region Hamburg.
„Der Betriebsrat und die IG Metall erwarten eine gemeinsame Anstrengung der Gläubiger und Unterstützung durch die Politik, um den Standort und die Arbeitsplätze bei der Pella Sietas Werft an der Estemündung zu erhalten. Es braucht auch eine schnelle Klärung der Schlickproblematik im Hafenbecken, sonst hat die älteste deutsche Werft keine Zukunft.“
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Die Gründe für die Insolvenz seien vielfältig, sagte Glass: „Aufträge hat die Firma. Wegen der zunehmenden Verschlickung des Hafenbeckens, Planungsschwierigkeiten und auch Managementfehlern kam es allerdings immer wieder zu Störungen im Produktionsablauf, die letztlich den wirtschaftlichen Erfolg verhinderten.“
CDU macht Senat für Pleite mitverantwortlich
Nach der Übernahme der Sietas Werft durch die russische Pella Werft konnten die Pläne des neuen Eigners, an der Estemündung vor allem Schiffe für den russischen Markt zu fertigen, wegen der Sanktionen im Zuge der Krimkrise nicht umgesetzt werden. Die Werft hat sich dann mit einigen Fertigungsaufträgen für andere Werften über Wasser gehalten und sich neu im Spezialschiffbau ausgerichtet. In den vergangenen Jahren gelang es dem Betrieb, mehrere Großaufträge zu sichern.
Auch der hafenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Götz Wiese, fordert den Senat auf, die Werft zu stützen: „Die Insolvenz der Pella Sietas Werft ist auch eine Pleite des Senats. Schon seit Monaten hat die Geschäftsführung darauf hingewiesen, dass die Zukunft der Werft massiv bedroht ist. Der Senat ist gefragt, eine gute Auffanglösung zu unterstützen.“