Hamburg. Firmen verzichten bereits auf Lieferungen aus Russland, andere Länder springen ein. Preise werden aber steigen – vor allem für Fernwärme.
Zahlreiche Hamburger Fernwärmekunden müssen in der kommenden Heizperiode mit deutlich steigenden Kosten rechnen. Die Hamburger Energiewerke, die die beiden Kraftwerke Tiefstack und Wedel zur Wärmeversorgung betreiben, gehen von einem Preisanstieg von rund 30 Prozent aus.
Gründe sind die hohen Kohlepreise am Markt, die hohen Gaspreise sowie der von der EU verhängte Boykott gegen Kohlelieferungen aus Russland. Dieser führt dazu, dass Kohlenimporteure ihre Mengen nun aus anderen Ländern am teureren Markt einkaufen müssen. Das Embargo, das Anfang August in Kraft treten soll, betrifft Hamburg besonders. Die Hansestadt bezieht 3,2 Millionen Tonnen ihrer Kohle aus Russland. Das sind 58 Prozent der Gesamtmenge.
Kohleembargo: Auch Autobauer müssen umschwenken
Auch Stahlhersteller und Autobauer müssen jetzt umschwenken und Verträge mit anderen Lieferländern abschließen. Der Verein der Kohlenimporteure rechnet mit kurzfristig steigenden Preisen. Zu Versorgungsengpässen werde es aber nicht kommen.
„In den vergangenen Wochen und schon vor dem ausgesprochenen Kohleembargo haben wir uns erfolgreich alternative Lieferungen zur russischen Steinkohle und damit die erforderlichen Mengen für die Heizperiode 2022/23 vertraglich gesichert“, sagte eine Sprecherin der Hamburger Energiewerke. „Die Brennstoffpreise, vor allem für nicht russische Kohle, sind in den vergangenen Wochen aufgrund der verstärkten Nachfrage auf dem Weltmarkt gestiegen.“
Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) zeigte sich erleichtert, dass es nicht zu Versorgungsengpässen kommt: „Dass es gelungen ist, Alternativen für russische Kohle zu finden, hilft insbesondere der Stahlindustrie, die noch darauf angewiesen ist, bis ausreichend Wasserstoff zur Verfügung steht“, sagte er dem Abendblatt. Die Wettbewerbsfähigkeit der Hamburger Industrie liege ihm besonders am Herzen.
Embargo als Reaktion auf russische Gräueltaten
Noch gibt es eine Übergangsfrist. Erst Anfang August tritt ein Importverbot für Steinkohle aus Russland in Kraft. Das Embargo ist Teil weiterer Sanktionen, die die EU als Reaktion auf russische Gräueltaten in der Ukraine verhängt hat. Zugleich ist es für Hamburg von großer Bedeutung, denn die Hansestadt bezieht einen Großteil ihrer Kohle aus Russland. Insgesamt 5,5 Millionen Tonnen wurden nach Angaben des Statistikamtes Nord im vergangenen Jahr im Hamburger Hafen angelandet, fast ausschließlich am Kohleterminal Hansaport. 3,2 Millionen Tonnen, also mehr als die Hälfte davon kamen aus Russland (siehe Grafik).
Für die Abnehmer der Kohle bedeutet das Embargo: Sie müssen sich umstellen. Neben den USA sind auch Kanada und Australien große Lieferanten. Allein die beiden Hamburger Kohlekraftwerke Tiefstack und Wedel haben im vergangenen Jahr 837.588 Tonnen Kohle verbrannt. Das ergab jüngst eine schriftliche Kleine Anfrage der Linksfraktion in der Bürgerschaft. 50 Prozent davon stammten aus Russland.
Werden Heizungen in Hamburger Haushalten bald kühler?
Werden die Heizungen vieler Hamburger Haushalte nach Inkrafttreten des Boykotts kühler? „Nein“, sagen zumindest die Hamburger Energiewerke, die als Betreiber der beiden Kraftwerke 500.000 Wohneinheiten (Wohnungen und Gewerbe) in Hamburg mit Wärme versorgen. Die HEnW, wie sie kurz heißen, hätten nämlich kurzfristig ihre Lieferanten ausgetauscht. „In den vergangenen Wochen – und damit schon vor dem ausgesprochenen Kohleembargo – haben wir uns erfolgreich alternative Lieferungen zur russischen Steinkohle und damit die erforderliche Kohlemengen für die Heizperiode 2022/23 vertraglich gesichert“, sagte eine Sprecherin.
Klar ist aber auch, dass es zu Preissteigerungen kommen wird. „Wie bereits bekannt, sind die Brennstoffpreise, vor allem für nicht russische Kohle, in den vergangenen Wochen aufgrund der verstärkten Nachfrage auf dem Weltmarkt gestiegen. Diese Preisentwicklung an den Großhandelsmärkten wird über den entsprechenden Kohlepreisindex auch anteilig in der Preisformel der Hamburger Fernwärme berücksichtigt“, so die Sprecherin.
Hamburger Energiewerke: Fernwärme wird teurer
Sie prognostiziert einen Preisanstieg in der Fernwärmeversorgung für dieses Jahr um rund 30 Prozent. Nicht nur wegen des Embargos, sondern vor allem bedingt durch den Kohle- und Gaspreisanstieg allgemein. „Unabhängig davon gilt jedoch weiterhin das Versprechen anlässlich des Rückkaufs der Fernwärme, dass die Fernwärmepreise in Hamburg nicht stärker steigen als die vergleichbare Wärmeversorgung auf Basis anderer Energieträger“, betonte die Sprecherin. Ein Blick auf den Weltkohlemarkt bestätigt, was sie meint: Aktuell liegt der Kohlepreis bei umgerechnet 275 Euro pro Tonne. Vor einem Jahr wurde dieselbe Menge an der Börse noch für knapp 58 Euro gehandelt.
So rechnet auch der Verein der Kohleimporteure (VdKI) mit Auswirkungen durch das Embargo. „Wegen der Umstellung von Warenströmen und Knappheiten bestimmter Kohlequalitäten wird es nach unserer Ansicht kurzfristig zu Preissteigerungen kommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende des VdKI, Alexander Bethe. Allein der Transport der Kohle auf dem Seeweg wäre aus Russland nach Deutschland viel schneller und günstiger als aus Übersee. Bethe beruft sich dabei auf eine aktuelle Umfrage unter seinen Vereinsmitgliedern. Insgesamt 60 Prozent von ihnen rechnen mittel- und langfristig aber mit einer Stagnation der Preise.
Ersetzen lässt sich die russische Kohle. Aber zu welchem Preis?
Ein Lieferstopp kommt für den Verband der Kohlenimporteure wenig überraschend. „Bereits seit September des vergangenen Jahres häufen sich logistische Probleme beim Import von russischer Kohle. Seitdem suchen Handel und Verbraucher nach Alternativen und importieren bereits aus anderen Ländern als Russland“, so Bethe. Allerdings habe die russische Steinkohle besondere qualitative Eigenschaften. „Die Umstellung auf alternative Kohlequalitäten wird die Kraftwerksingenieure in der Übergangszeit fordern, die Umstellung wird nicht einfach. Aber letztendlich werden wir diese Herausforderung meistern.“
Auch die Salzgitter AG in Niedersachsen hat ihre Stahlerzeugung umgestellt. „Die sogenannte metallurgische Kohle zum Betrieb unserer Öfen beziehen wir schon länger aus Australien. Russische Kohle haben wir nur zu Einblasen in den Öfen verwendet. Das waren aber so geringe Mengen, dass wir das problemlos auf andere Lieferanten umstellen konnten“, sagte ein Sprecher.
Auch Hamburger Stahlwerk Arcelor Mittal muss sich umorientieren
Wie die Salzgitter AG wurde das Hamburger Stahlwerk Arcelor Mittal bisher mit russischer Kohle vom Hansaport beliefert und muss sich umorientieren. Gleiches gilt für zwei Kraftwerke in Hannover, eines von Vattenfall in Berlin sowie den Automobilhersteller VW, der seine Energieversorgung aber nach Angaben der Wirtschaftsbehörde noch in diesem Jahr auf Gas umstellen will.
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Wirtschaftssenator Michael Westhagemann: „Die Wettbewerbsfähigkeit der Hamburger Industrie liegt mir besonders am Herzen, da nur gemeinsam mit ihr die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise gelingen wird. Dass es gelungen ist, Alternativen für russische Kohle zu finden, hilft insbesondere der Stahlindustrie, die noch darauf angewiesen ist, bis ausreichend Wasserstoff zur Verfügung steht.“ Am Ende ist damit klar: Ersetzen lässt sich die russische Kohle in Hamburg. Die Frage ist nur, zu welchem Preis.