Hamburg. Warum Käufer ein Hochrisiko-Investment eingehen und sich Hamburger den Erwerb jetzt gut überlegen sollten. Experten geben Antworten.
Ellen und Robert K. verdienen gut. Sie haben monatlich zusammen mehr als 4600 Euro netto. Wenn sie sich in Nienstedten eine 95 Quadratmeter große Eigentumswohnung für rund 885.500 Euro kaufen wollen, dann dauert es 40 Jahre, um die Immobilie abzubezahlen, ermittelte der Online-Makler Homeday.
Hausgeld und die Zinskosten wurden in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt, dennoch müssten sie 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Tilgung aufwenden. Schuldenfrei wären sie dann erst mit 75 Jahren. Sie haben Zweifel, ob der Traum von den eigenen vier Wänden das wirklich wert ist.
Wohneigentum: Hamburger gehen Risiken bei Finanzierung ein
Doch viele Hamburger gehen bei der Immobilienfinanzierung immer größere Risiken ein. Angesichts weiter steigender Kaufpreise müssen sie immer höhere Kredite aufnehmen. Im zweiten Quartal des Jahres waren es im Schnitt 446.360 Euro, errechnete der Baugeldvermittler Dr. Klein. Innerhalb von drei Jahren ist die Kreditsumme um 46 Prozent gestiegen.
Damit klettern die Kreditsummen schneller als die Preise. Nach den Daten des Verbandes der Pfandbriefbanken, die sich auf die tatsächlichen Immobilienpreise in den Kreditverträgen stützen, verteuerte sich Wohneigentum in Hamburg vom zweiten Quartal 2018 bis zum zweiten Quartal 2021 um 32 Prozent. Der Baugeldvermittler Interhyp beziffert den durchschnittlichen Immobilienpreis in Hamburg inzwischen auf 676.000 Euro, fünf Prozent mehr als vor einem Jahr (siehe Grafik).
Viele finanzieren Immobilie voll über die Bank
Doch Eigenkapital ist knapp. Im vielen Fällen reicht es gerade, um Makler- und Notarkosten sowie Grunderwerbsteuer zu begleichen. Im Bundesdurchschnitt finanziert schon mehr als jeder fünfte Immobilienkäufer (22,7 Prozent) seine eigenen vier Wände voll über die Bank, also auf Kredit. Manche Banken finanzieren sogar die Nebenkosten noch mit. In Hamburg liegt die Quote der Vollfinanzierer nur bei elf Prozent. Doch ohne die besonders günstigen Finanzierungsmöglichkeiten über die Investitions- und Förderbank (IFB) in der Hansestadt, würde auch Hamburg kaum besser als im Bundesschnitt abschneiden.
„In Hamburg und Schleswig-Holstein werden von den Förderbanken KfW-Darlehen nachrangig vergeben. Das ist eine Besonderheit, die es nur in diesen beiden Bundesländern gibt. Deshalb liegt die Zahl der Immobilienkäufer, die in Hamburg ihre Immobilie mit dem Hauptdarlehen zu 100 Prozent oder mehr finanzieren, unter dem Bundesdurchschnitt“, sagt Frank Lösche, Niederlassungsleiter des Baugeldvermittlers Dr. Klein in Hamburg.
Darlehen wird wie Eigenkapitel behandelt
Wie das funktioniert, macht der Baugeldexperte an einem Beispiel deutlich: „Angenommen, die Immobilie kostet 500.000 Euro. Dann finanziert eine Bank 400.000 Euro und die 100.000 Euro von der KfW werden im Grundbuch im zweiten Rang, also nachrangig abgesichert“, sagt Lösche: „Diese Konstruktion verwenden wir häufig, um Käufern noch den Kauf der eigenen vier Wände zu ermöglichen, denn das nachrangige Darlehen wirkt sich wie Eigenkapital aus.“
Diese Praxis bestätigen die Hamburger Volksbank und die Commerzbank. „Wir arbeiten eng mit den Förderbanken aus Hamburg und Schleswig-Holstein zusammen, die häufig die hohen Finanzierungsausläufe abbilden“, sagt Tim Rosenberg, Baufinanzierungsleiter der Hamburger Volksbank.
Banken bieten 100-Prozent-Finanzierungen an
Fast alle befragten Banken bieten auch 100-Prozent-Finanzierungen für ihre Kunden an, mitunter auch darüber hinaus. Kunden können diese 100-Prozent-Finanzierungen bei Hamburger Sparkasse (Haspa) Hamburger Volksbank, Deutscher Bank, Commerzbank und PSD Bank Nord nachfragen. Lediglich die Sparda Bank Hamburg verzichtet weitgehend darauf.
„Die eigene Immobilie ist für viele ein Lebenstraum und wichtiger Baustein der Alterssicherung“, sagt Jannis Engelhardt, Produktverantwortlicher private Baufinanzierung bei der Haspa. „Auf Gesamtjahressicht sehen wir einen starken Anstieg bei der Vergabe von privaten Baufinanzierungen“, sagt Engelhardt.
Hohe Nachfrage bei Baufinanzierungen
Auch bei den anderen Instituten wie Hamburger Volksbank, Deutsche Bank, Commerzbank, PSD Bank Nord und Sparda Bank Hamburg entwickelt sich das Geschäft mit der Baufinanzierung besser als im Vorjahr. „Seitdem wir wieder 100-Prozent-Finanzierungen anbieten, die wir coronabedingt zeitweise ausgesetzt hatten, verzeichnen wir deutlich mehr Anfragen und Abschlüsse“, sagt Rosenberg von der Hamburger Volksbank. Die Sparda Bank Hamburg rechnet mit einem Rekordjahr mit einem Finanzierungsvolumen von mehr als 510 Millionen Euro.
Wenn es für eine Finanzierung beim Immobilienkauf knapp wird, springen zunehmend die Eltern oder Schwiegereltern ein, wie die Umfrage des Abendblatts bei den Kreditinstituten zeigt. „Eine Unterstützung der Familie mit Eigenkapital oder dem Elternhaus als Zinssicherheit wird häufiger“, sagt Baufinanzierungsleiter Rosenberg von der Hamburger Volksbank.
Haspa: Kunden müssen Kreditraten selbst zahlen können
Bei der PSD Bank Nord dient bereits bei etwa 30 Prozent der Finanzierungen mehr als eine Immobilie als Absicherung. Auch stark überhöhte Kaufpreise führen zu besonderen Finanzierungskonstruktionen. „Bei großen Differenzen zwischen Kaufpreis und Wertermittlung kann durch eine weitere Immobiliensicherheit eine Lücke geschlossen werden, um eine Kreditvergabe zu ermöglichen“, sagt eine Sprecherin der Commerzbank. Nur die Haspa weicht von diesem Weg ab: „Unsere Entscheidungsgrundlage ist, dass sich die Kunden die Kreditrate aus eigener Kraft nachhaltig leisten können – und das auch noch bei steigenden Zinsen“, sagt Baufinanzierungsexperte Engelhardt.
Begünstigt wird die Entwicklung von den historisch niedrigen Zinsen. Während 2010 für zehnjährige Darlehen Zinsen von rund vier Prozent pro Jahr verlangt wurden, liegen die Konditionen heute selbst bei einer Zinsbindung von 15 Jahren unter einem Prozent. Spätestens nach Ablauf der Zinsbindung drohen bei steigenden Zinsen große Risiken, weil nur ein kleiner Teil der hohen Schulden getilgt sind.
Immobilien mittlerweile „Hochrisiko-Investments"
Nach Angaben der Banken liegt die durchschnittliche Zinsbindung bei 13 Jahren. Doch nur eine hohe Tilgung und eine lange Zinsbindung bieten weitgehende Sicherheit bei der Immobilienfinanzierung. Die meisten können sich das aber nicht leisten. „Wer eine anfängliche Tilgung von drei Prozent wählt, hat nach 20 Jahren rund 65 Prozent des Kredits getilgt“, sagt Lösche von Dr. Klein. „Und die steigende Inflation könnte auch wieder zu etwas steigenden Zinsen führen.“
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Viele setzen darauf, dass der seit zehn Jahren anhaltende Preisanstieg weitergeht. Doch das ist wenig wahrscheinlich, weil die Mieten jetzt schon nicht mehr mit dem Preisanstieg der Immobilien mithalten. „Wer jetzt noch eine Immobilie kauft, geht ein Hochrisiko-Investment ein“, sagt Andreas Beck, Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Index Capital. In Städten wie Hamburg oder München hält der Gründer des Instituts für Vermögensaufbau die Immobilienpreise für 30 Prozent überbewertet.
Ab 2025 dürften viele Häuser auf den Markt kommen
Seine Prognose vom Hochrisiko-Investment macht er an drei Faktoren fest: „Die Mietrenditen stehen in keinem Verhältnis mehr zu den Kaufpreisen, und Neubauwohnungen stehen schon leer.“ Ohne die niedrigen Zinsen wären die extrem hohen Preise in den Metropolen schon länger nicht mehr finanzierbar. Der dritte und wichtigste Grund ist für ihn die demografische Entwicklung.
„Ab dem Jahr 2025 wird der Markt kippen. Die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge sind dann mit Wohnraum versorgt. Aber es werden dann von den geburtenstarken Jahrgängen viele Einfamilienhäuser auf den Markt kommen, weil sie sie im Alter von 70 oder 80 Jahren wegen der Treppen vielfach nicht mehr bewohnen können. Schon jetzt werden viele diese Objekte nur von ein oder zwei Personen noch bewohnt. Ich sehe keine Gruppe, die dann noch dieses Angebot nachfragen könnte – schon gar nicht zu den aktuellen Preisen.“