Hamburg. Eigentlich steht die Pandemie für Kurzarbeit und Stellenabbau. Doch eine Abendblatt-Umfrage brachte erstaunliche Ergebnisse.
Seit dem März 2020 hat die Corona-Krise das Leben fest im Griff. Stark betroffen davon ist auch die Wirtschaft. Bei vielen Unternehmen ist die ökonomische Ertragskraft geschwächt. Es gab oder gibt Kurzarbeit, teilweise wurde Stellen gestrichen und sogar Mitarbeiter entlassen. Doch es gibt auch eine Reihe Hamburger Firmen, die trotz der Pandemie neue Jobs schaffen und Wachstum melden, wie eine Abendblatt-Umfrage unter wichtigen Betrieben aus der Hansestadt ergibt.
Neue Jobs trotz Corona: Die Finanzbranche in Hamburg
Barclaycard: Beim Kreditkartenanbieter arbeiten gut 700 Beschäftigte in Hamburg. Seit April 2020 seien 38,5 Vollzeitstellen aufgebaut worden, sagte ein Sprecher. Kurzarbeit gab es nicht. Die Geschäftsentwicklung sei seit Beginn der Corona-Krise „überwiegend positiv“ gewesen. Geholfen habe, dass man sich durch neue Angebote breiter aufgestellt habe. Zwar seien Kreditkarten zum Beispiel bei Reisen und Restaurantbesuchen weniger eingesetzt worden, aber die Akzeptanz bei Händlern und Kunden sei gestiegen und Kreditkarten hätten einen „deutlichen Schub“ bekommen.
Haspa: Stellenstreichungen durch Corona gab es nicht, die Zeiten der Kurzarbeit sind passé. Ende April 2020 habe es diese für wenige Wochen für einen sehr kleinen Teil der Belegschaft gegeben, sagte ein Sprecherin der Hamburger Sparkasse. Insgesamt seien – teils zusammen mit Förderbanken – 700 Millionen Euro als Corona-Hilfen bereitgestellt worden.
Die staatlichen Hilfsprogramme hätten bei Kunden viele wirtschaftliche Probleme gelindert und Insolvenzen verhindert. Dennoch gehe man in diesem Jahr von vermehrten Kreditausfällen aus und einem deutlich höheren Vorsorgebedarf aus. Darauf sei man aber vorbereitet, hieß es vom Unternehmen.
HanseMerkur: Der Kundenbestand stieg im Vorjahr im Vergleich zu 2019 um 500.000 auf 11,3 Millionen Versicherte. Die Bruttobeitragseinnahmen kletterten um 13,2 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro – im Geschäftsfeld Reise und Freizeit gab es allerdings verständlicherweise erhebliche Einbußen. Statt Jobabbau und Kurzarbeit wurden Neueinstellungen vorgenommen. Im vergangenen Jahr seien 60 neue Stellen geschaffen wurden, sagte eine Sprecherin. Aktuell gebe es rund 2240 Angestellte im Innen- und Außendienst sowie hauptberufliche Vermittler. Im ersten Quartal sei man wieder gewachsen. Fürs Gesamtjahr gebe es wegen der Pandemie und der politischen Unsicherheiten im Bundestagswahlkampf keine valide Prognose. Mittelfristig soll bis 2025 das Beitragsaufkommen bei drei Milliarden Euro liegen.
Signal Iduna: In allen Geschäftsbereichen – also Kranken-, Lebens-, Sachversicherungen sowie Finanzbereich – gab es Zuwächse im Neugeschäft. „Unsere Beitragseinnahmen sind um rund drei Prozent gewachsen“, sagt Vorstandschef Ulrich Leitermann – auch wenn es Beitragsfreistellungen und -stundungen für hart von der Corona-Krise Betroffene gab.
„Erhebliche Belastungen“ gab es durch die Betriebsschließungsversicherung: bei Einnahmen von 500.000 Euro seien gut 30 Millionen Euro an Leistungen erbracht worden. Rund 30 Mitarbeiter wurden während der Pandemie neu eingestellt. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung für dieses Jahr schätzt Leitermann als „zufriedenstellend“ ein.
Gesundheitsbranche in Hamburg
Eppendorf AG: Das Unternehmen produziert in Hamburg und Oldenburg/Holstein Geräte und Verbrauchsmaterialien für Diagnostiklabore und Impfstoffentwickler sowie -hersteller. Die Ultratiefkühlschränke waren zur Lagerung von Impfstoffen wie von Biontech weltweit gefragt. Entsprechend blickt das Unternehmen auf das „mit Abstand erfolgreichste Geschäftsjahr“ in der 76-jährigen Geschichte zurück.
Der Gewinn stieg 2020 um 57 Prozent auf 151,7 Millionen Euro. Um der erhöhten Nachfrage nachzukommen, wurden Mitarbeiter eingestellt. Die Zahl der Beschäftigten sei weltweit um mehr als vier Prozent auf heute rund 4500 in über 30 Ländern gestiegen, sagte ein Sprecher. Eine Prognose für 2021 gibt es wegen der unsicheren Corona-Lage nicht. Aber es werde mit einer weiterhin unverändert hohen Nachfrage nach Laborartikeln und einem „nachhaltigen, moderaten Umsatzwachstum“ gerechnet – im Vorjahr sprang dieser um 20 Prozent auf 967 Millionen Euro.
Asklepios: Es gab weder Kurzarbeit noch Stellenabbau. „Wir haben insbesondere in der Pflege weitere Stellen aufgebaut“, sagte ein Sprecher des Krankenhausbetreibers ohne diese zu beziffern. Man habe die bisherige Ausnahmesituation sehr gut bewältigt, aber wirtschaftlich erhebliche Einbußen erlitten, weil man wegen Covid weniger Patienten behandeln konnte. Auch im laufenden Geschäftsjahr gebe es weiterhin Einflüsse auf Umsatz- und Ergebnisentwicklung.
Hamburger Handel/Konsumgüter
Beiersdorf: Nach Rückgängen bei Umsatz und Gewinn im Jahr 2020 liegt der Nivea-Hersteller im ersten Quartal nach eigenen Angaben wieder auf Vorkrisenniveau. Vor allem bei Derma (Eucerin, Aquafour), der Luxusmarke La Prairie und der Klebstofftochter Tesa laufe es gut. Corona-bedingt habe es weder Kurzarbeit noch Entlassungen gegeben, sagte eine Sprecherin.
Budnikowsky: Die Drogeriekette durfte als Grundversorger die Läden offen halten. Es gab weder Kurzarbeit noch Stellenabbau, so eine Sprecherin: „Aktuell stellen wir ein.“ Gesucht werden Filialleiter und deren Stellvertreter.
Fielmann: Grundsätzlich habe man „die Coronavirus-Pandemie bislang gut durchgestanden“, so ein Sprecher. Weil Optiker als systemrelevant eingestuft werden, durften sie öffnen, während viele andere Händler geschlossen blieben und wohl eher Jobs abgebaut haben.
Entlassungen gab es nicht. Derzeit seien „nur noch sehr wenige“ Mitarbeiter in Kurzarbeit. Nach Rückgängen 2020 bei Absatz, Umsatz und Gewinn, geht es nun wieder aufwärts. „Wir haben wieder das Vorkrisenniveau erreicht“, sagte Vorstandschef Marc Fielmann Ende April.
Otto: Wegen der geschlossenen Geschäfte bestellten viele Kunden online – und davon profitierte der Versandhändler. Beispielsweise Möbel, Bürotechnik, Spielzeug und Heimwerkerartikel waren stark gefragt. Dank der konsequenten Digitalisierung habe man den Rückenwind des veränderten Einkaufsverhaltens nutzen können, so ein Sprecher.
Der Umsatz der Gruppe stieg um 17 Prozent, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern um 59 Prozent auf 688 Millionen Euro. Die Zahl der Mitarbeiter legte um 2,3 Prozent auf 49.895 zu, in Hamburg um 103 auf 9263 Vollzeitstellen. Im laufenden Geschäftsjahr soll der Umsatz steigen und der operative Gewinn stabil bleiben.
Die Schifffahrt in Hamburg
Hapag-Lloyd: Eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Konsumgütern in den USA und Europa kurbelt die Zahl der Containertransporte seit Sommer 2020 an – das spiegelt sich in der Bilanz wider. Die Traditionsreederei steigerte im Vorjahr dank höherer Frachtraten, niedriger Ölpreise und Kostensenkungen das operative Ergebnis um 62 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro.
In diesem Jahr soll es trotz einer graduellen Normalisierung wegen angespannter Lieferketten „deutlich über dem Vorjahresniveau“ liegen, so ein Sprecher. Kurzarbeit gab es nie, das Personal wurde bis Ende März global um 234 auf 13.340 Beschäftigte erhöht.
HHLA: Im vergangenen Jahr drückte der Lockdown in China und Europa den Containerumschlag. Kurzarbeit gab es zu keiner Phase. „In diesem Jahr laufen die Geschäfte gut“, so ein Sprecher des Hafenbetreibers. Der Umsatz soll moderat, der operative Betriebsgewinn kräftig steigen. Hauptsächlich als Folge der Integration neuer Gesellschaften stieg der Personalbestand um 1,5 Prozent.
Die Hamburger Industrie
Aurubis: Kurzarbeit und Stellenabbau sind für die Kupferhütte ein Fremdwort. Im Gegenteil: Durch die Übernahme des belgisch-spanischen Recyclingunternehmens Metallo gehören zwei neue Standorte zum Konzern. Die Folge: Die Zahl der Mitarbeiter stieg um sechs Prozent.
Im ersten Halbjahr des Geschäftsjahres 2020/21 wurde das operative Ergebnis vor Steuern auf 185 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Es gebe „eine hohe Nachfrage nach unseren Produkten aus allen Bereichen der Wirtschaft“, sagte eine Sprecherin. Die Auswirkungen der Pandemie aufs Ergebnis im Restjahr werden als „sehr gering“ eingeschätzt.
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Jungheinrich: Zwischen Mai und Juni 2020 wurde in der Zentrale in Wandsbek „kurz“ gearbeitet. Diese Zeiten sind vorbei. Mittlerweile kann der Gabelstaplerhersteller die Krise abhaken. Der Start ins Jahr 2021 war stark. Es habe viele Neuaufträge für Fahrzeuge und Automatiksysteme gegeben, hieß es. Ende April wurde die Prognose für 2021 erhöht. Zwar wurden im Vorjahr 900 neue Mitarbeiter eingestellt, durch Fluktuation blieb die Gesamtzahl aber etwa gleich.
Die Luftfahrt in Hamburg
Airbus: Im Juni waren bis zu 13.000 der 15.000 Hamburger Beschäftigten in Kurzarbeit. Dies habe sich kontinuierlich reduziert. Nun sei der „Großteil der Bereiche am Standort“ nicht mehr in Kurzarbeit, sagte ein Sprecher. Auf Finkenwerder machte der Konzern durch einen Einbruch beim Absatz von Flugzeugen einen Personalüberhang von 2300 Stellen aus. Nach langwierigen Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern wurde auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet.
Viele Beschäftigte gingen freiwillig und nahmen eine Abfindung. Allerdings soll es nun eine Umstrukturierung geben, wodurch 4000 Beschäftigte auf Finkenwerder in eine neue, noch zu gründende Tochter wechseln sollen. Betriebsräte warnen vor einer künftigen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Eine Erholung der Branche wird zwischen 2023 und 2025 erwartet.
Diehl Aviation: Der Luftfahrtzulieferer nutzt das Instrument Kurzarbeit seit 2020 – wie viele der am Jahresende auf Finkenwerder 860 Beschäftigten betroffen sind, wurde nicht mitgeteilt. Die Branchenkrise trifft den Hersteller von Bordküchen und Waschräumen stark. Im November wurde ein Restrukturierungsprogramm beschlossen. Mehr als 400 Stellen an der Elbe sollen wegfallen. Die Gespräche darüber laufen. Im März 2021 wurde ein Freiwilligenprogramm aufgesetzt, das die Belegschaft reduzieren soll. Betriebsbedingte Kündigungen sollen minimiert werden, könnten aber nicht ausgeschlossen werden, heißt es.
Flughafen: Mit der Corona-Krise und den damit verbundenen Reiseeinschränkungen brachen die Passagierzahlen am Hamburger Flughafen ein – entsprechend weniger Arbeit war zu erledigen. Für 1632 Mitarbeiter sei Kurzarbeit möglich, bei 83 Prozent werde sie genutzt, sagte eine Sprecherin. Die Kurzarbeit blieb „beständig auf hohem Niveau“. Frühestens ab 2024 wird nun bei den Passagierzahlen ein Niveau wie 2019 erwartet. Entsprechend soll der Personalbestand reduziert werden. Bis 2023 sollen 200 Stellen wegfallen, 140 Stellen seien durch Altersteilzeitregelungen und natürliche Fluktuation bereits sozialverträglich abgebaut worden.
Lufthansa Technik: Weniger Flüge bedeuten weniger Aufträge für Wartung, Reparatur und Überholung von Triebwerken und Flugzeugen – darunter leidet der Weltmarktführer. Der Umsatz brach 2020 um 40 Prozent ein. Normaler Geschäftsbetrieb herrscht nur in wenigen Segmenten wie dem VIP-Bereich.
Von 12.000 Beschäftigten in Deutschland seien derzeit 9000 in Kurzarbeit, sagte ein Sprecher. Durch Fluktuation und Abbau von Leiharbeit mussten hierzulande 1300 Mitarbeiter gehen, weltweit waren es rund 3000. Im vergangenen Sommer wurden 300 Beschäftigte in der Probezeit sogar entlassen. Das Vor-Corona-Niveau wird frühestens 2024 erwartet.