Hamburg. Handelskammer stellt Maßnahmen auf dem Klima-Forum vor. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobt Stadt und Kammer.
Es ist kurz vor 10 Uhr an diesem Freitagmorgen. Seit einer halben Stunde fahren Limousinen vor der Handelskammer vor, Hamburger Unternehmer steigen aus. Der große Saal ist gut gefüllt, der Andrang groß. Das Programm ist auf einer großen Leinwand zu lesen. „Internationales Klima-Forum“ steht da – und auch der wichtigste Gast ist bereits eingetroffen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sitzt in hellblauem Kostüm in der ersten Reihe und schaut erwartungsvoll.
Handelskammer-Präses Norbert Aust erzählt in seiner Eröffnungsrede, worum es eigentlich geht. Mehr als ein Jahr lang haben Experten der Kammer zusammen mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie erarbeitet, die es in sich hat. Ihr Ergebnis: Hamburgs Wirtschaft kann schneller klimaneutral werden, als es der Senat bisher vorsieht. Bereits 2040 könnte die klimaneutrale Transformation abgeschlossen sein und damit fünf Jahre vor dem Senatsplan, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit darunter leiden müsste. Im Gegenteil: „Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit bedingen sich“, sagt Aust.
OECD-Studie: Hamburgs Wirtschaft kann 2040 klimaneutral sein
Um das Ziel zu erreichen, müsse aber schnell und entschlossen gehandelt werden, geht aus der Studie hervor. Als wolle er den ganzen Saal mit sich ziehen, beschwört Aust: „Unternehmen, die sich heute auf den Weg machen, Klimaziele zu erreichen, werden in einigen Jahren vorne stehen. Unternehmen, die auf gesetzliche Anforderungen und eine Anpassung der Rahmenbedingungen warten, vergeben dagegen eine große Chance.“
Laut Studie müssen alle Unternehmen für ihre direkten und indirekten Emissionen aus der Nutzung von Strom und Wärme Klimaneutralitätsziele entwickeln. Dabei müssen sie auch die Emissionen berücksichtigen, die in ihrer Wertschöpfungskette entstehen. Dazu ist es wichtig, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sich vernetzen und zusammenarbeiten. Sie müssen Infrastruktur und Wissen gemeinsam nutzen, um beispielsweise kostengünstigen Strom aus erneuerbaren Energien optimal zu verwenden und die Dekarbonisierung der Warentransporte voranzutreiben.
Hafen als Drehscheibe klimaneutraler Transportdienstleistungen
Auch die Einführung einer Kreislaufwirtschaft sei eine sinnvolle Maßnahme, heißt es. Um ihre Gebäude auf Klimaneutralität umzustellen, sollten Unternehmen sich zum Ziel setzen, bis 2030 eine jährliche Renovierungsrate von 2,5 Prozent ihrer Gebäude zu erreichen. Eine führende Rolle bei der Transformation soll der Hafen spielen, um als Drehscheibe für klimaneutrale Transportdienstleistungen zu fungieren.
Dann spricht Aust von Kooperationsbereitschaft und Mut zum Risiko. Dazu schlägt er einen breiten Bogen zurück ins 17. Jahrhundert. Schon damals hätten sich Hamburger Kaufleute selbst aus einer existenzbedrohenden Lage befreit. Piratenüberfälle machten ihnen schwer zu schaffen. Auf eigene Faust gründeten sie die sogenannte Commerz-Deputation und bauten eine eigene Flotte von Konvoi-Schiffen zum Schutz, finanziert über eine Umlage. Jetzt befinde sich die ganze Welt in einer existenzbedrohenden Lage. Und wieder könnte Hamburgs Wirtschaft vorangehen.
Hamburg soll Vorreiter bei der Klimaneutralität sein
„Hamburg kann den Klimawandel nicht allein verhindern. Wenn wir hier klimaneutral sind, ist dies nur ein kleiner Beitrag, der die Erderwärmung allein nicht aufhalten kann. Wir können aber aufzeigen, wie es wirtschaftlich erfolgreich geht“, sagt Aust.
Kaum ist er fertig, tritt Bürgermeister Peter Tschentscher ans Rednerpult und schlägt in die gleiche Kerbe: „Wenn eine moderne Großstadt mit dem größten zusammenhängenden Industriegebiet Deutschlands es schafft, klimaneutral zu werden, dann geht es überall.“ Applaus bekommen beide – nicht nur von den älteren Unternehmern, sondern vor allem auch von den jüngeren, die zu der Veranstaltung gekommen sind.
EU-Kommissionspräsidentin lädt Handelskammer nach Brüssel ein
Sie erleben dann den Auftritt von der Leyens, die zu einer Lobrede auf Hamburg und die Handelskammer anhebt. Sie erläutert noch einmal ihre Strategie des Green Deal, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral werden soll. „Gut voran kommen wir aber nur, wenn wir auf allen Ebenen die Ärmel hochkrempeln und mitziehen. Und genau das tut die Handelskammer Hamburg. Das erfordert Teamgeist, Mut und Durchhaltevermögen. Mit Ihrer sprichwörtlichen hanseatischen Weitsicht haben Sie die Gelegenheit beim Schopf gepackt.“
Hamburg habe immer großen Pioniergeist bewiesen. Andere europäische Metropolen könnten von der Stadt und ihrer Handelskammer lernen. „Aber auch wir, die Europäische Kommission, können nicht nur Ihnen etwas liefern, sondern auch von Ihren Erfahrungen lernen. Dafür wollen wir auf EU-Ebene Handelskammern zum regelmäßigen Erfahrungsaustausch zusammenbringen. Eine Einladung an Sie wird bald herausgehen.“
Hamburgs Wirtschaft soll 2040 klimaneutral sein
Bei so viel Lob verneigt sich Aust vor von der Leyen, bevor er ihr für die Rede dankt. Schließlich kommt auch noch der stellvertretende Vorsitzende der OECD, Yoshiki Takeuchi, zu Wort, aber da hören viele schon nicht mehr zu, weil sie die Neuigkeiten auf ihrem Handy twittern. Takeuchi, ein japanischer Finanzexperte, gibt den Hamburgern auch gleich noch eine Aufgabe mit auf den Weg. Dabei zielt er auf die Bedeutung des Hafens ab: „Auch hier sind Investitionen erforderlich, etwa um Engpässe in der Schieneninfrastruktur in Hamburg und den angrenzenden Regionen zu beseitigen. Zum Beispiel kann die Digitalisierung der Gleise die Kapazität um 20 Prozent erhöhen.“
Der Geschäftsführer der Hamburg Port Authority, Friedrich Stuhrmann, dürfte es gehört haben. Er ist an diesem Tag unter den Gästen der Kammer. Um 11.15 Uhr ist von der Leyens kurzes Gastspiel in der Handelskammer wieder vorbei. Kaum hat Takeuchi seine Rede beendet, verlässt sie mit dem Bürgermeister und ihrem Mitarbeitertross das Gebäude.
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Den Verantwortlichen der Handelskammer dürfte es egal sein. Sie haben ihr Ziel erreicht: einen großen Aufschlag und maximale mediale Präsenz. Vor allem aber haben sie deutlich gemacht, dass das Thema Klimaneutralität nicht länger allein von der Politik besetzt wird, sondern auch von den Strategen am Adolphsplatz.