Hamburg. Die Wirtschaft sucht Arbeitskräfte. Viele Geflüchtete wollen arbeiten, scheitern aber an bürokratischen Vorgaben. Das will man ändern.
Wenn Unternehmen, Kammern oder Arbeitgeberverbände in Hamburg und anderswo nach den drängendsten Problemen unserer Zeit gefragt werden, steht eines schon seit Jahren ganz weit oben: der Fachkräftemangel. Oder noch allgemeiner: der Mangel an Arbeitskräften. Auf der anderen Seite sind in den vergangenen Jahren Zehntausende Menschen in die Hansestadt geflüchtet, von denen viel mehr arbeiten können und wollen, als das bislang der Fall ist. Daher soll nun der „Job-Turbo“ gezündet werden.
Hinter dem sportlichen Marketingwort aus dem Bundesarbeitsministerium verbirgt sich zweierlei: einerseits das Eingeständnis, dass Deutschland bei der Integration geflüchteter Menschen in den Arbeitsmarkt noch Nachholbedarf hat. Sonst bräuchte es keinen „Job-Turbo“ mehr. Andererseits das Versprechen aller Beteiligten, das Problem künftig unbürokratischer und damit effektiver anzupacken. Im Blick hat man dabei vor allem Geflüchtete aus der Ukraine und aus den anderen „Top 8“-Asylherkunftsländern (Syrien, Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia).
Der „Job-Turbo“ soll Geflüchtete schneller in Arbeit bringen
„Wir wollen, dass zu uns geflüchtete Menschen schneller auf dem Arbeitsmarkt ankommen“, sagte Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) am Donnerstag und betonte: „Arbeit ist mehr als Broterwerb. Arbeit stärkt Menschen, schützt vor Armut und fördert die Integration.“ Hier setze der „Job-Turbo“ an: „Er sorgt dafür, dass erste Arbeitserfahrungen und Spracherwerb künftig stärker Hand in Hand gehen.“
Was das konkret bedeutet, erläuterten Sönke Fock und Dirk Heyden, die Geschäftsführer der Arbeitsagentur und des Jobcenters in Hamburg: Im Prinzip gehe es schlicht darum, die verschiedenen Schritte bei der Integration nicht mehr nacheinander zu gehen, sondern häufiger parallel. Also zum Beispiel einen Sprachkursus berufsbegleitend zu besuchen, statt erst nach dem Erlernen der Sprache auf Jobsuche zu gehen. Eine Gesetzesänderung sei dafür nicht notwendig, betonte Fock. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erlaube das bereits. Man müsse es es einfach machen.
Senat und Jobcenter appellieren an Firmen: „Geben Sie geflüchteten Menschen eine Chance“
„Es ist Zeit, die häufig sehr formalen und tradierten Anforderungen zu senken“, sagte Heyden. Der Jobcenter-Chef verwies darauf, dass allein im ersten Halbjahr 2024 jeden Monat etwa 700 Menschen in Hamburg die Integrationskurse des BAMF abschließen und damit über Grundkenntnisse der deutschen Sprache und des politischen Systems verfügten. Diese Menschen wolle man „möglichst schnell in Arbeit bringen.“ Auch das Jobcenter wolle in diesem Jahr mindestens zehn Geflüchtete einstellen.
Heyden, Fock und Sozialsenatorin Schlotzhauer betonten, dass es zum Gelingen dieses Ansatzes aber auch Firmen brauche, die Geflüchteten eine Chance geben, auch wenn sie noch nicht perfekt Deutsch sprechen. Gemeinsam appellierten sie an die Arbeitgeber in Hamburg: „Geben Sie geflüchteten Menschen eine Chance und unterstützen Sie sie bei ihrer Integration in Arbeit und auch in die Gesellschaft.“ Damit könnten Unternehmen auch Nachwuchskräfte sichern.
Chef der Albertinen Services Hamburg: „Meyer heißt bei uns niemand“
Als „Vorbild“ hatte das Jobcenter Ralf Zastrau eingeladen. Der Geschäftsführer des Albertinen-Krankenhauses und der Albertinen Services Hamburg (ASH) berichtete, dass von seinen 575 Angestellten in der ASH 46 Prozent keinen deutschen Pass und vermutlich an die 80 Prozent einen Migrationshintergrund hätten: „Meyer heißt bei uns niemand“, so Zastrau. Er sehe in der Integration von Geflüchteten „eine Riesenchance für soziale und Dienstleistungsberufe. Wir brauchen dringend motivierte Kräfte, damit wir die uns anvertrauten Menschen gut versorgen können.“
In Zusammenarbeit mit dem „Hamburg Welcome Center“ habe er zum Beispiel Sara Khatib eingestellt. Die 38-jährige Iranerin war 2018 nach Deutschland gekommen, hatte einen Deutschkursus absolviert und wollte eigentlich in ihrem erlernten Beruf als Agraringenieurin arbeiten. Doch obwohl alle ihre Abschlüsse anerkannt wurden, habe sie nichts Passendes gefunden, auch weil die sprachlichen Anforderungen zu hoch gewesen seinen. „Wenn man als Ingenieurin arbeiten will, sollte man fließend Deutsch sprechen“, sagte sie – und zeigte sich dabei schon ziemlich sattelfest in der einst fremden Sprache.
Nachdem sie vor vier Jahren Mutter geworden sei, habe sie sich auch nach anderen, wohnortnahen Jobs umgeschaut und sei sehr froh gewesen, als sich die Chance bei der Albertinen-Services Hamburg (ASH) ergab. Seit einem Jahr ist sie in der Aufbereitung von Medizinprodukten tätig. „ASH finde ich cool“, sagte Sara Khatib. „Die haben mich nicht nur bei der Arbeitssuche unterstützt, sondern auch bei der Unterkunft.“ Gemeinsam mit Mann und Kind wohnt sie unweit der Klinik in Schnelsen.
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Nach Ansicht von Sönke Fock braucht es mehr solcher Beispiele: „In fast allen Branchen der Hamburger Wirtschaft ist der Ruf nach Arbeits- und Fachkräften seit langer Zeit unüberhörbar“, so der Arbeitsagentur-Chef. Das Problem werde sich noch verschärfen, denn in den kommenden zwölf Jahren würden in Hamburg 225.000 Arbeitnehmer aus dem Erwerbsleben ausscheiden – jeder fünfte.
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Trotzdem klopfte sich die Beteiligten auch auf die Schulter. Unter den erwerbsfähigen Geflüchteten aus den Top-8-Nationen seien in Hamburg schon 47,6 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt – das sei im Vergleich der Bundesländer der Bestwert, so Heyden. Und von den erwerbsfähigen Ukrainerinnen und Ukrainern hätten zwar nur 7100 oder 23 Prozent einen Job, das sei aber bundesweit immer noch der sechstbeste Wert. „Reicht das?“, fragte Heyden und antwortete selbstkritisch: „Nein!“ Aber es sei ermutigend. Darauf wolle man nun aufbauen.
Potenzial für die Jobvermittlung gibt es noch genug: Beim Jobcenter in Hamburg beziehen aktuell 196.000 Menschen Bürgergeld. Von ihnen gelten 135.000 als erwerbsfähig, darunter sind knapp 15.000 Ukrainerinnen und Ukrainer und 24.000 Geflüchtete aus anderen Ländern. Die allermeisten von ihnen wollten arbeiten, „Verweigerer“ gebe es unter den Bürgergeldbeziehern nur rund drei Prozent, sagte Heyden. Für diese kleine Gruppe schlage er vor, die Zahlung des Bürgergelds (ausgenommen Unterkunft und Heizung) vorübergehend auszusetzen, wenn jemand dreimal nicht zum vereinbarten Gespräch komme – und erst wieder aufzunehmen, wenn die Person wieder erscheint.