Hamburg. Die Flaute am Bau wird erst in zwei Jahren für viele spürbar, warnt der Unternehmer Sönke Struck. Die Politik müsse jetzt handeln.

Bis vor Kurzem waren die Wohnungsbauzahlen für die Politik ein Quell der Freude – und ein Ausweis eigener Leistung. Binnen eines Jahrzehntes gelang es dem Hamburger Senat, die Fertigstellungszahlen von 3729 im Jahr 2011 auf regelmäßig jährlich 10.000 Wohnungen zu verdreifachen. Das politische Versprechen des früheren Bürgermeisters Olaf Scholz, es galt – auch weil das Bündnis für das Wohnen aus Senat, Wohnungswirtschaft und Bezirken funktionierte.

Doch seit einigen Monaten ist vieles anders – gerade im frei finanzierten Wohnungsbau. „Wir erleben derzeit einen dramatischen Absturz“, sagt Sönke Struck im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. Er ist seit mehr als drei Jahrzehnten Geschäftsführer der Struck Wohnungsunternehmen GmbH und Vorsitzender des Landesverbands Nord des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW).

Wohnungsbau Hamburg: 60 Prozent der Firmen verzichten auf Projekte

Der Verband hat im Frühling die traurigen Zahlen veröffentlicht: Weil immer mehr Unternehmen Projekte verschieben oder aufgeben, sank die Zahl der geplanten Baubeginne der Mitglieder in Hamburg um mehr als die Hälfte auf 2555 Wohnungen. 60 Prozent der Firmen hätten genehmigte Bauvorhaben im vergangenen Jahr nicht mehr begonnen.

Und Besserung ist nicht in Sicht. „Mein Eindruck ist, dass es 2023 eher noch schlimmer wird, weil die Stimmung und die Rahmenbedingungen so schlecht sind.“ Die Flaute von heute werde aber erst in den Jahren 2024 und 2025 voll durchschlagen. „Der Wohnungsbau ist ein Tanker“, sagt Struck. „Er braucht sehr lange, um Fahrt aufzunehmen. Und es dauert etwas, bis sich die Bremswirkung zeigt.“

Der Kellinghusener weiß, wovon er spricht. Sein Unternehmen, das er in dritter Generation mit seinem Bruder Torsten führt, hat inzwischen fast 6000 Wohnungen gebaut. In der aktuellen Krise komme nun alles zusammen. Struck stellt klar, dass verschiedene Faktoren den Wohnungsbau lähmen. „Die Unternehmen können unter den aktuellen Rahmenbedingungen nur schwer oder gar nicht bauen“, konstatiert er.

Immobilien: Zinsen und Inflation erschweren Investitionen

Nach einer langen Phase der billigen Kreditzinsen von gut einem Prozent verlangen Banken inzwischen wieder vier Prozent und mehr. „Das allein ist nicht das Problem“, sagt Struck. „Im langfristigen Vergleich sind vier Prozent noch günstig.“ Er erinnere sich an seine Hausfinanzierung 1992 – damals lag der Zins bei 9,25 Prozent. „Aber es rechnete sich, weil die Kosten ganz andere waren.“

Früher fielen zudem stets die Preise, wenn die Zinsen stiegen. Nun klettern sie im Gleichtakt. So legten die Baukosten in den vergangenen Monaten – nicht zuletzt wegen der hohen Energiepreise – um weitere 8,8 Prozent zu und damit stärker als die Lebenshaltungskosten.

Der langjährige Index offenbart, dass sich die Preise für Wohngebäude im Zeitraum 2010 bis 2021 um 41 Prozent erhöht haben. Die Inflationsrate stieg zugleich nur um 17 Prozent. Auf dem Immobilienmarkt braut sich der perfekte Sturm zusammen.

Manche Politiker verschlimmern die Lage

Und manche Politiker, so kritisiert, Struck, verschlimmern die Situation noch. „Man muss es so klar sagen: Es sind auch politische Entscheidungen, die den Wohnungsbau lahmlegen“, sagt der Vater zweier Kinder. Ohne Namen zu nennen, zielt der 56-Jährige vor allem auf zwei grüne Politiker ab – auf Robert Habeck und Jens Kerstan.

„Wichtige Förderungen wie bei KfW-55-Bauten wurden kurzerhand gestrichen. Gleichzeitig steigen die Anforderungen zum Beispiel an den Klimaschutz“, kritisiert er. „Dabei müssten Auflagen und Bürokratie eher abgebaut werden.“

Auch den Senat nimmt er in die Pflicht. „Die Klimaschutzgesetzgebung in der Stadt ist kontraproduktiv: Wir brauchen mehr Entlastungen und Vereinfachungen statt immer neuer Vorschriften. Im Neubau sind wir bei der Energieeffizienz längst weltweit führend, da ist nicht mehr viel zu holen.“

Immobilien Hamburg: Immer neue Auflagen treiben die Preise

Inzwischen sind technische Anforderungen der größte Kostentreiber – denn die Klimaschutzvorschriften verteuern nicht nur den Neubau, sondern auch den Betrieb: Als Verwalter hat Struck die Betriebskosten im Blick. Am attraktivsten seien Gebäude, die zwischen 1998 und 2005 erstellt wurden – hier liegen die Betriebskosten eher bei 3 Euro pro Qua­dratmeter.

Über Jahre florierte der Bau –  nun ist er in die Krise gerutscht.
Über Jahre florierte der Bau – nun ist er in die Krise gerutscht. © dpa | Karl-Josef Hildenbrand

„Jetzt ist so viel Technik im Haus, dass die Wartungskosten alleine schon immens sind“, beklagt Struck. Moderne Neubauten mit Tiefgarage, Lüftung, aufwendiger Dämmung und Wärmerückgewinnung verschlingen schnell mehr als 4,50 Euro Betriebskosten den Quadratmeter. „Die CO2-Minderung hält sich hingegen sehr in Grenzen. Wir geben immer mehr Geld aus, um kleinste Verbesserungen zu erreichen. Das Geld könnte man anderswo klimafreundlicher investieren.“ Am Ende bezahlen oft die Mieter die ehrgeizigen Standards.

Noch ein Problem sieht Struck auf die Städte zukommen – es ist ästhetischer Natur. „Die Vorgaben schränken die Möglichkeiten der Architekten immer mehr ein, die Häuser werden eintöniger.“

Inzwischen gehen die ersten Betriebe in Kurzarbeit

Doch der Druck nimmt weiter zu – von der Hamburger Umweltbehörde, vom Wirtschafts- und Klimaministerium in Berlin und von der EU. Schwierig sei die Zusammenarbeit in der Hansestadt vor allem mit der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrar­wirtschaft, sagt Struck. „Da prallen Welten aufeinander, und die Sachlichkeit und das Verständnis sind nicht besonders groß.“

Längst schlagen die Probleme auf die gesamte Baubrache durch. „Inzwischen melden immer mehr Unternehmen Kurzarbeit an, kleinere beginnen mit Entlassungen“, sagt der Geschäftsführer des Familienunternehmens. Darin könne die Krise von morgen liegen. „Viel Wissen und Know-how liegt bei älteren Fachkräften. Wenn die mit 58 Jahren nun ausscheiden, kommen sie sicher nicht in zwei Jahren wieder, wenn die Nachfrage anzieht.“

Damit spitze sich das demografische Problem noch zu. Im Klartext: Bei einer Erholung des Immobilienmarktes könnten schlichtweg die Kapazitäten fehlen.

Immobilien Hamburg: Bündnis für das Wohnen schwächelt

Das wären für die Hansestadt schlechte Nachrichten. Dabei gilt Hamburgs „Bündnis für das Wohnen“ vielerorts als Modell; als Kanzler startete Olaf Scholz 2022 eine Neuauflage für Deutschland. „Der Drittelmix in Hamburg hat in den letzten rund zwölf Jahren gut funktioniert und für die attraktive, lebendige Mischung in den Quartieren gesorgt“, sagt Struck.

Demnach soll bei größeren Projekten je ein Drittel als Eigentumswohnungen, Miet- und Sozialwohnungen entstehen. Ausdrücklich lobt Struck die drei SPD-Wohnungsbausenatorinnen, die das Bündnis seit Anbeginn begleiten: Die Zusammenarbeit mit Jutta Blankau (2011–2015), Dorothee Stapelfeldt (2015–2022) und nun Karen Pein, die seit Dezember der Behörde in Wilhelmsburg vorsteht, sei „außerordentlich gut und vertrauensvoll. Wir gehen sehr offen miteinander um. Das ist wichtig, um überhaupt zu Ergebnissen zu kommen.“

Doch das hiesige Modell büßt an Glanz ein, die Differenzen wachsen. Scharf kritisiert der Verbandsvertreter die Vergabe von städtischen Grundstücken nur noch im Erbbaurecht. „Damit erweist die Politik der Stadtentwicklung einen Bärendienst.“ Diese Bodenpolitik schade nicht nur den freien Anbietern, sondern auch den Wohnungsbaugenossenschaften.

Struck: Hamburg droht alte Fehler der 1960er- und 70er-Jahre zu wiederholen

Nach dem Kompromiss des rot-grünen Senats mit der Volksinitiative „Keine Rendite mit Boden und Miete“ verschieben sich zudem die Verhältnisse im Drittelmix, kritisiert Struck. „Bei größeren Erschließungsflächen werden fortan 40 Prozent der Fläche für geförderten Wohnungsbau vergeben, der Rest im Drittelmix. Damit bleiben von 300 Wohnungen knapp 120 als Eigentums- oder Mietwohnungen. So funktioniert die soziale Durchmischung nicht mehr.“

Hamburg drohe die alten Fehler der 1960er- und 1970er-Jahre zu wiederholen, als große Siedlungen mit kritischer Struktur entstanden, die bald zu sozialen Brennpunkten wurden. „In solchen Projekten wird sich kaum noch ein privater Investor engagieren, weil die Wohnungen viel schwerer zu verkaufen oder zu vermieten sind“, prophezeit Sönke Struck.

Scharf geht er mit der 100-jährigen Mietpreisbindung ins Gericht. „Das ist weltfremd: Ein Gebäude erfordert mit der Zeit immer höhere Investments zur Instandhaltung. Diese lassen sich dann aus den Mieten nicht erwirtschaften.“ Nach 30 bis 35 Jahren laufe die Förderung aus. Struck fürchtet, dass mit steigendem Alter der Gebäude sich bei gedeckelten Mieteinnahmen der Zustand der Häuser kontinuierlich verschlechtert.

Wohnungsbau Hamburg: Immer mehr Unternehmen weichen ins Umland aus

Eine Konsequenz auf die städtische Politik hat Struck schon ausgemacht – immer mehr Bauträger weichen ins Umland aus. Auch Strucks Wohnungsunternehmen, lange nur im Stadtgebiet aktiv, hat zuletzt in Norderstedt, Schenefeld oder Halstenbek investiert. In Hamburg scheiterten manche Projekte: „Da sind wir mit den Planungen nicht durchgekommen und haben verzichtet und die Grundstücke zurückgegeben.“ Ohnehin sei das Bauen in der Hansestadt schwieriger geworden. Er spürt „eine gewisse Bremswirkung in einigen Bereichen“, in den Bezirken, aber auch von Anwohnerinitiativen.

Struck fürchtet, dass die Ideologisierung der Wohnungspolitik die Bautätigkeit weiter verringern könnte. Angesichts steigender Mieten und wachsenden Wohnungsmangels obsiegen oft die einfachen Lösungen, die sich dann in Volksinitiativen oder Referenden Bahn brechen, wie etwa der Mehrheit für „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin.

„Hamburg muss das praxisbezogene Handeln aus den letzten Bündnisjahren fortsetzen“, appelliert Struck. „Die Stadt darf nicht unterschiedlich ideologisch geprägten Initiativen hinterherlaufen und nicht auf jeden mietrechtlichen Zug aus Berlin aufspringen.“

Immobilien Hamburg: Jährlich könnten bis zu 3900 Wohnungen fehlen

Eines sei auf jeden Fall klar: „Das Ziel des Hamburger Bündnisses von 10.000 Wohneinheiten ist richtig – wir brauchen die Wohnungen. Aber dieses Ziel ist derzeit aufgrund der verschlechterten Rahmenbedingungen nicht realistisch.“ Die Rechnung ist einfach: 60 bis 65 Prozent der in Hamburg erstellten Einheiten bauen die BFW-Mitgliedsunternehmen. Der aktuelle Einbruch von 60 Prozent lässt sich da in einen einfachen Dreisatz einsetzen. Zukünftig fehlen in Hamburg jährlich zwischen 3600 und 3900 Wohnungen allein von privater Bauherrenseite.

Darin sieht Struck auch sozialen Sprengstoff: „Wir müssen den Normalverdienern, der Mittelschicht, wieder ermöglichen, sich eine Wohnung oder ein Haus zu leisten, wie es in den ­60er-, 70er-, 80er-Jahren möglich war. Das funktioniert in der derzeitigen Situation nicht mehr.“ Damit wächst ein Problem, das weit über die Hamburger Baustellen hinausreicht.