Hamburg. Beschäftigte sollen Arbeit bis Mittwoch niederlegen. Auch im Großhandel wird gestreikt. Montag große Demonstration geplant.

Wer in den kommenden Tagen beim Einkaufen nicht sofort einen Verkäufer findet oder an den Kassen auf lange Warteschlangen stößt, darf sich nicht wundern. Im Hamburger Einzelhandel sowie im Großhandel wird erneut gestreikt. Dabei schreiben die Arbeitnehmervertreter in den schleppend verlaufenden Tarifgesprächen ein neues Kapitel: Nachdem es bereits ein- und zweitägige Arbeitskämpfe im Handel in der Stadt gegeben hat, ruft die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di nun einen einwöchigen Ausstand aus. „Seit Donnerstag, 0 Uhr, streiken die Beschäftigten des Einzelhandels und des Groß- und Außenhandels. Der Streik dauert bis Mittwoch, den 4. Oktober, 24 Uhr“ teilte Ver.di am Donnerstag mit.

Ein so langer Streik ist höchst ungewöhnlich, wie auch die Verhandlungsführerin der Arbeitnehmer, Gewerkschaftssekretärin Heike Lattekamp, einräumt. „Aber wenn der Tarifkonflikt lange dauert, wird auch lange gestreikt“, sagte sie. Lattekamp rechnet damit, dass sich rund 600 Beschäftigte daran beteiligen.

Streik Hamburg: Tarifkonflikt im Einzelhandel eskaliert

Tatsächlich kommen die Verhandlungen seit sechs Monaten kaum voran. In den 16 Tarifgebieten des deutschen Einzelhandels hat es insgesamt 50 Verhandlungsrunden gegeben. In keinem Fall hat dies bisher zu einem Abschluss geführt.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) hatte den Unternehmen wegen des Stillstands im Tarifkonflikt empfohlen, die Löhne freiwillig anzuheben und ab Oktober 5,3 Prozent mehr zu zahlen. Zahlreiche Unternehmen wie Rewe waren der Empfehlung gefolgt. Auch der Hamburger Otto-Konzern beteiligt sich. Er erhöht das Entgelt für seine Beschäftigten ab Oktober freiwillig um 5,3 Prozent. „Das ist ein Versuch der Arbeitgeber, die Streikbereitschaft zu brechen. Aber sie haben damit keinen Erfolg“, so Lattekamp. So habe auch der Handelskonzern Metro angekündigt, seine Entgelte freiwillig aufzustocken. „Hier sind aber mehr Beschäftigte dem Streikaufruf gefolgt, als wir gedacht haben. Die Mitarbeiter lassen sich eben nicht kaufen.“

Zum Streik aufgerufen sind im Hamburger Einzelhandel die Mitarbeiter von H&M, Zara, Primark, TK Maxx, Rewe/Penny, Kaufland, Alsterhaus und Ikea sowie die Filialen der Buchhandlung Thalia und der Parfümeriekette Douglas, wo die Beschäftigten um einen Tarifvertrag kämpfen. Im Großhandel sind die Betriebe Carl Spaeter, Heinrich Schütt, Sanacorp, Gehe, Phoenix, Autoteile Matthies, die Metro und der Handelshof betroffen.

Unternehmen bieten freiwillig mehr Lohn an

Ver.di fordert für die rund 90.000 Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 2,50 Euro pro Stunde. Ein Mindestentgelt von 13,50 Euro pro Stunde, eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 250 Euro und eine Laufzeit des Tarifvertrags von einem Jahr. Die Arbeitgeber bieten einen tariflichen Mindestlohn von 13 Euro, sind aber ab Mai kommenden Jahres zu einer weiteren Erhöhung der Löhne um 3,1 Prozent bereit. Der tarifliche Mindestlohn soll dann bei 13,50 Euro liegen. Zudem soll es eine Einmalzahlung als Inflationsausgleich in Höhe von 450 Euro geben. Laufzeit des Vertrags: 24 Monate.

Im Groß- und Außenhandel sind die Tarifparteien ebenfalls weit auseinander: Ver.di fordert für die 50.000 Beschäftigten dieser Branche eine Erhöhung der Entgelte von 13 Prozent, mindestens aber 400 Euro. Auch hier soll die Laufzeit 12 Monate betragen. Die Arbeitgeber bieten hingegen nach vier Nullmonaten eine Anhebung der Löhne und Gehälter um 5,1 Prozent und eine Inflationsausgleichszahlung von 700 Euro. Eine weitere Einmalzahlung über 700 Euro soll im Januar folgen. Ab August 2024 sollen die Entgelte dann noch einmal um 2,9 Prozent angehoben werden. Die Vertragslaufzeit beträgt dabei 24 Monate.

Montag große Demo in der City

Für Ver.di ist das nicht akzeptabel: „Seit April warten die Beschäftigten auf Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit. Die Arbeitgeber bieten nach fünf Verhandlungsrunden aber weiterhin nur Reallohnverluste“, sagte Gewerkschafterin Lattekamp. Ver.di ruft deshalb für den kommenden Montag auch zu einer Demonstration in der Innenstadt auf. Die Kundgebung soll um 11 Uhr am Neuen Wall beginnen. Von dort soll der Protestzug zum Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof führen.

Ver.di-Handelsexpertin Heike Lattekamp führt die Verhandlungen für die Arbeitnehmer. Sie fordert deutlich mehr Geld für die Beschäftigten.
Ver.di-Handelsexpertin Heike Lattekamp führt die Verhandlungen für die Arbeitnehmer. Sie fordert deutlich mehr Geld für die Beschäftigten. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Der Handelsverband Nord verurteilt den Arbeitskampf: Trotz der äußerst schwierigen Rahmenbedingungen für die Branche hätten sich die Arbeitgeber in Hamburg entschlossen, bereits in der ersten Verhandlungsrunde ein „abschlussnahes“ Angebot zu unterbreiten, welches in den weiteren Verhandlungsrunden seitens der Arbeitgeber deutlich nachgebessert worden sei, sagte eine Verbandssprecherin. Das letzte der Gewerkschaft vorliegende Angebot der Arbeitgeberseite entspreche dem Niveau, auf dem in anderen Branchen Abschlüsse längst erfolgt sind. „Die Arbeitgeber haben den finanziellen Spielraum unter diesen schwierigen Umständen praktisch ausgereizt.“

Ver.di plant Streikaktionen bis Weihnachten

Tatsächlich ist die Situation des Einzelhandels derzeit angespannt. Zwar ist der vom Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklimaindex in dieser Sparte im September um 0,5 Punkte leicht gestiegen, weil die Händler ihre Erwartungen weniger pessimistisch sehen. Mit den laufenden Geschäften sind sie jedoch unzufrieden. Neben der hohen Inflation trüben der anhaltende Krieg in der Ukraine und die schlechten Wirtschaftsprognosen die Verbraucherstimmung der Menschen weiterhin deutlich, mit entsprechenden Auswirkungen auf den Handel.

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Ver.di richtet sich jedenfalls auf einen langen Arbeitskampf ein. Bei einer Streikkonferenz am morgigen Freitag sollen die weiteren Aktionen geplant werden, wenn nötig bis Weihnachten.