Berlin. Seit Februar stritten sich die Deutschen Bahn und die EVG über die Bezahlung von gut 180.000 Beschäftigten. Ein tagelanger Streik stand im Raum - doch die Gewerkschaftsmitglieder entscheiden sich anders.
Gute Nachrichten für Fahrgäste der Deutsche Bahn: In den nächsten Wochen droht bei dem Konzern kein unbefristeter Streik - der seit Ende Februar andauernde Tarifkonflikt ist beendet. Bei der Urabstimmung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG haben sich mehr als 50 Prozent der Teilnehmer dafür ausgesprochen, den mühsam ausgearbeiteten Schlichterspruch anzunehmen, wie die EVG am Montag mitteilte.
Damit gibt es für gut 180.000 DB-Beschäftigte schon ab Oktober mehr Geld aufs Konto. Der unbefristete Streik wurde von weniger als der Hälfte der Abstimmungsteilnehmer gefordert. Die hohe Hürde von 75 Prozent für einen Arbeitskampf wurde damit deutlich verfehlt. EVG-Chef Martin Burkert sprach von einem „solidarischen Tarifabschluss, der vor allem den kleineren und mittleren Einkommen ein deutliches Plus zum Teil von über 50 Prozent bringt“. Die Wahlbeteiligung lag bei 65,3 Prozent.
410 Euro mehr bei 25 Monaten Laufzeit und im Oktober Inflationsprämie
Sofern es jetzt nicht zu weiteren Verzögerungen kommt, können sich gut 180.000 DB-Beschäftigte auf 2850 Euro mehr auf der Oktober-Abrechnung freuen - und zwar netto. Teil des Schlichterspruchs ist nämlich die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie, die steuer- und abgabenfrei ausfällt. Ab Dezember gibt es dann 200 Euro brutto mehr, weitere 210 Euro mehr ab August 2024. Die Laufzeit des Tarifvertrags liegt bei 25 Monaten.
Für einzelne Berufsgruppen wurden darüber hinaus strukturelle Erhöhungen in den Tariftabellen vereinbart, die nach dieser Vertragslaufzeit angewendet werden. Die Einkommen von gut 70.000 Beschäftigten werden sich damit noch einmal deutlich erhöhen. Der EVG-Bundesvorstand hatte nach hitzigen Diskussionen den Mitgliedern empfohlen, den Schlichterspruch anzunehmen.
Sechs Monate Tarifkonflikt, zwei Warnstreiks, ein Gerichtstermin
Leicht gemacht haben sich die EVG und die DB den Weg zu diesem Kompromiss nicht. Die Tarifverhandlungen begannen Ende Februar und kamen zunächst kaum voran. Die erste Verhandlungsrunde endete nach nicht einmal zwei Stunden. Auch danach kamen die Gespräche nicht in Schwung. Zweimal legte die Gewerkschaft im Frühjahr mit Warnstreiks den Zugverkehr stundenlang nahezu komplett lahm. Ein dritter, besonders lang angelegter Ausstand wurde vom Arbeitsgericht in Frankfurt am Main kurzfristig verhindert.
Nach dem Gerichtstermin fanden die Tarifparteien dann besser zueinander, letztlich scheiterten die Verhandlungen aber doch. Beide Seiten verständigten sich dann mit zwei Schlichtern auf den nun vorliegenden Kompromiss. EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch sagte am Montag, dass die Sozialpartnerschaft zwischen DB und EVG „eine der stärksten Bewährungsproben nicht vollends bestanden“ habe. Es müsse viel Zeit und Kraft investiert werden, um wieder aufzubauen, was bei der Tarifrunde kaputt gegangen sei.
DB-Vorstand: Ergebnis verlangt uns wirtschaftlich sehr viel ab
Die Deutsche Bahn reagierte erfreut auf das Urabstimmungsergebnis. „Es ist für alle eine gute Nachricht, dass wir in diesen herausfordernden Zeiten eine Tarifeinigung erzielt haben. Mit diesem Abschluss erkennen wir die exzellente Leistung unserer Mitarbeitenden an. Auch wenn er uns wirtschaftlich sehr viel abverlangt“, sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler.
Neben mehr Geld für die Beschäftigten umfasst der Tarifvertrag auch Punkte, von denen sich der Konzern eine Steigerung der Produktivität erhofft. So wurde zum Beispiel ein flexibleres Arbeitszeitmodell bei DB Cargo vereinbart. „Dieser Abschluss sichert auch unsere Zukunftsfähigkeit, damit wir die Transformation gemeinsam gestalten und erfolgreich meistern können“, sagte Seiler.
Hat die EVG zu hohe Erwartungen geweckt?
Sind nun also alle glücklich bei der DB und der EVG? Vermutlich nicht, immerhin stimmten fast 48 Prozent gegen den Schlichterspruch. Viele dürften auf mehr Geld gehofft haben, die EVG war mit der Forderung nach 650 Euro mehr für alle Beschäftigten bei 12 Monaten Laufzeit in die Verhandlungen gegangen. Verhandlungsführerin Cosima Ingenschay verteidigte die hohe Forderung am Montag, sie habe ihre Berechtigung gehabt. Es seien nicht zu hohe Erwartungen erzeugt worden, vielmehr sei die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen nach Corona-Pandemie, 9-Euro-Ticket und jetzt 49-Euro-Ticket hoch.
Ab November tritt Claus Weselsky ins Rampenlicht
Bis einschließlich Oktober können sich die DB-Kunden darauf verlassen, dass ihre Reisepläne zumindest nicht von Streiks gestört werden. Ab November geht es dann aber in den nächsten Tarifkonflikt bei der Bahn - dann mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer.
Deren Chef Claus Weselsky will für seine Leute 555 Euro mehr pro Monat erreichen sowie eine Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden. Auch die Inflationsausgleichsprämie gehört zu seinen Forderungen, der Tarifvertrag soll nach seiner Vorstellung zwölf Monate laufen. Weselsky steht für eine offensive Gangart bei Tarifverhandlungen - obwohl nur gut 8000 DB-Beschäftigte nach den von der GDL ausgehandelten Tarifverträgen bezahlt werden. Warnstreiks sind dann also durchaus wieder möglich. Sollte die GDL ein besseres Ergebnis als die EVG erzielen, kann diese nicht nachverhandeln. Eine solche Klausel sei nicht Teil der Einigung, sagte Loroch.