Hamburg. Upcycling ist in Hamburg ein Trend. Tentation setzt auf Überreste von Musikfestivals. Die Gründerin über Vorurteile und hohe Preise.

Neues aus Altem machen. Einen Gegenentwurf zur Wegwerfgellschaft schreiben und umsetzen. Das ist das Geschäftsmodell der Hamburger Modedesignerin Katrin Rieber. In ihrem Atelier in Altona entwirft sie Regenjacken, jedes Stück ein Unikat. Das Material dafür stammt von Festivals, denn sie rettet kaputte Zelte vor dem Müll. Das ist die Idee der Upcycling-Marke Tentation.

Wer schon einmal auf einem Festival im Regen gestanden hat, weiß eine gute Jacke zu schätzen. Oder ein regendichtes Zelt. Rieber sah vor sieben Jahren nach einem Festivalbesuch, wie viele Zelte nach der Veranstaltung kaputt gingen und einfach weggeworfen wurden. Bei der leidenschaftlichen Festivalgängerin schrillten sofort die Alarmglocken. „Daraus kann man doch etwas Sinnvolles machen“, dachte sich Rieber. Regenjacken zum Beispiel.

Hamburgerin macht Mode aus kaputten Zelten

Von der Idee bis zur fertigen Kollektion dauerte es wegen der Pandemie etwas länger. Mindestens zwei Festival-Saisons fielen komplett aus und damit auch die wichtigste Rohstoff-Bezugsquelle von Tentation. Seitdem es wieder große Festivals gibt, sammelt Rieber mit Freiwilligen kaputte Zelte bei verschiedenen Veranstaltungen ein. Dafür haben sie eine Holzkiste vorbereitet, in welche die Besucher ihre kaputten Zelte am Ende des Festivals werfen können. Den Vorwurf, Tentation würde das schnelllebige Konsumverhalten mit den extra für das Festival gekauften Billigzelten unterstützen, weist Rieber zurück. Denn noch intakte Zelte gehen direkt an Hilfsorganisationen, die diese an Obdachlose verschenken.

Die Hamburger Modedesignerin Katrin Rieber steht hinter Tentation.
Die Hamburger Modedesignerin Katrin Rieber steht hinter Tentation. © Tentation | Tentation

Wie viele Zelte sie pro Festival sammelt, kann die Gründerin nicht genau sagen. Meistens seien es zwei volle Transporter. Sind die Zelte erst einmal eingesammelt, beginnt ein langwieriger Prozess, der größtenteils in Handarbeit erledigt wird. Hat es während des Festivals geregnet, müssen die Zelte zunächst getrocknet werden. Wenn nicht, werden sie direkt gereinigt. Außerdem werden die verschiedenen Materialien – Stoff, Gestänge, Reißverschlüsse - voneinander getrennt. Erst dann können sie zu neuen Produkten weiterverarbeitet werden.

Zum Team gehören neben Katrin Rieber eine Designassistentin und weitere Freiberufler, die auf Honorarbasis für das Start-up arbeiten. In einem Atelier in Altona entwerfen die beiden Designerinnen Musterkollektionen, die Hauptproduktion lagern sie aus. Rieber vergibt dafür Aufträge an lokale und freie Schneidereien im Hamburger Umland. Sobald es sich rentiert, möchte Rieber ihre Honorarkräfte fest anstellen sowie eine inklusive Nähwerkstatt aufbauen.

Tentation-Chefin rechtfertig hohe Preise

Ihre Produkte vertreibt die Hamburgerin vor allem auf Messen und über einen eigenen Onlineshop. Dort gibt es kurze, halblange und lange Unisex-Regenjacken sowie Regenhosen in bunten Farben. Dass sie einmal Zelte waren, sieht man ihnen nicht an. Zur Kollektion gehören auch verschiedene Taschen, unter anderem eine regendichte Hülle für Yogamatten. Die Taschen kosten zwischen 45 und 150 Euro, die Preise für die Jacken beginnen bei 165 Euro. Nicht gerade billig. Doch Rieber sagt: „Für das, was sie sind, sind meine Produkte eigentlich zu günstig. Konventionelle Produkte im Handel sind viel zu billig, weil sie unter unmenschlichen Umständen hergestellt werden.“

Und auf noch eine Tatsache weist sie hin. Für die Produkte von Tentation muss Rieber zusätzliche Materialien wie Reißverschlüsse, Ösen und Nähgarn einkaufen. Die Zelte vom Festivalplatz sind aus Kunststoff. Damit die fertigen Stücke sortenrein bleiben, kann sie zum Beispiel keine Baumwollkordeln bestellen. Sonst können die Jacken am Ende ihres Produktlebens nicht in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden. „Was ich verwenden kann, ist meist zwanzigmal so teuer, als wenn ich es in China bestellen würde“, sagt die Unternehmerin. Das wäre auch nicht im ökologischen Sinne ihrer Marke, so Rieber.

Upcycling ist in Hamburg ein Trend

Upcycling ist in Hamburg durchaus ein Trend. Mindestens ein Dutzend Händler und Hersteller tummeln sich in der Stadt. So werden zum Beispiel bei Bridge & Tunnel in Wilhelmsburg aus alten Hosen neue Kleidungsstücke, Taschen und Wohnaccessoires wie Kissenhüllen oder Decken gefertigt.

Das Unternehmen Bracenet produziert aus verlorenen Fischernetzen in den Weltmeeren (sogenannte Geisternetze) unter anderem modische Armbänder. 773 Tonnen Geisternetze konnte Bracenet nach eigenen Angaben bereits bergen. Die Armbänder kosten ab 25 Euro. Mittlerweile fertigen die Hamburger auch Ohrringe, Hundeleinen und Fußketten. Ein Teil des Umsatzes wird zum Schutz der Weltmeere gespendet.

Viele Firmen aus der Szene werden verspottet

Viele dieser Upcycling-Unternehmen müssen Spott über sich ergehen lassen. So erging es auch Katrin Rieber von Tentation. Zu speziell sei ihre Idee, Geld würde sie damit sowieso nicht verdienen. Doch sie hat nicht aufgegeben. „Mir ist wichtiger, dass das Unternehmen nachhaltig wächst.“ Inzwischen laufe der Verkauf ordentlich, sagt sie. Gewinne wirft die Marke aber noch nicht ab.

Ab Oktober können Hamburger die Unikate von Tentation nicht nur im Online-Shop sehen, denn Rieber wird leerstehende Flächen am Fanny-Mendelssohn-Platz in Eimsbüttel für einen Pop-Up-Store nutzen. Bis Ende des Jahres kann man die Kleidungsstücke anprobieren. Schließlich lässt der nächste Regen in Hamburg nie lange auf sich warten.