Hamburg. Unternehmen fertigen Schmuck, Espadrilles und Maskenketten aus Geisternetzen und Plastikmüll.

Was für viele, die die Netflix-Doku „Seaspiracy“ im März gesehen haben, ein Augenöffner war – nämlich, dass der größte Teil des verheerenden Plastikmüll-Teppichs in unseren Meeren durch zurückgelassene Netze der Industriefischerei entsteht und dass Meeresfrüchte keinesfalls bedenkenlos konsumiert werden sollten – ist einigen Hamburgern bereits seit Jahren sehr präsent.

Das Wissen, dass aktuell jedes Jahr zwölf Millionen Tonnen Plastik in unsere Meere gelangen – minütlich ist das die Ladung eines Müllwagens – bewegte sie so sehr, dass sie ihre unternehmerischen Visionen mit dem Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz verknüpfen wollten.

Die Schuhe sollten auch eine Mission haben

So kam es, dass Agnes Wagter ihre Firma Seads gründete und gerade aus Eimsbüttel heraus ihre erste Kollektion veganer Upcycling-Espadrilles aus recyceltem Ozean- und Verpackungsmüll, Jute und Naturkautschuk auf den Markt gebracht hat. „Es geht nicht darum, Nein zu Plastik zu sagen. Es geht darum, Nein zum Wegwerfen von Plastik zu sagen“, beschreibt sie ihre Vision. Denn eigentlich wollte Wagter, selbst Schuhgröße-43-Trägerin, eine Schuhlinie für große Füße kreieren.

Nach einem Nordsee-Strandspaziergang änderte sie aber ihr Konzept – die Schuhe sollten nun auch eine Mission haben, die Mission, dem aus den Weltmeeren gefischten Plastikmüll durch das Wiederaufbereiten ein neues Leben zu schenken und nicht auf gänzlich neue Rohstoffe zurückzugreifen. Und dazu für Menschen gemacht, die auf großem Fuß leben, denn die Modelle gibt es bis Größe 46.

Für das Logo ihrer Firma hat die Hamburgerin einen Meeresbewohner gewählt

Für das Logo ihrer Firma hat die Hamburgerin einen Meeresbewohner gewählt, der freundlich dreinschaut: „Der Oktopus kann sich an seine Umgebung anpassen und ist dank seiner drei Herzen und neun Gehirne extrem intelligent, wendig und lernfähig“, sagt sie.

Und das sollten wir alle sein, findet die Umwelt-Unternehmerin. Auch Madeleine von Hohenthal beschäftigt sich gemeinsam mit ihrem Mann Benjamin seit 2015 mit den sogenannten Geisternetzen, die herrenlos im Meer herumtreiben. Nachdem Fischer diese über Bord geworfen haben, werden sie zur tödlichen Gefahr für viele Meeresbewohner, die sich darin verfangen und verenden.

Vom Jungfernstieg aus in die ganze Welt

Vor fünf Jahren gründeten die beiden ihre Firma Bracenet, die vom Jungfernstieg aus Produkte in die ganze Welt versendet. „Nachdem wir die Netze mit unseren Partnern transportiert, gereinigt und sortiert haben, kommen sie zu uns nach Hamburg. Hier verwandeln wir sie in Handarbeit in Hundeleinen, Keychains oder Taschen und Armbänder“, sagt von Hohenthal.

Agnes Wagter hat ihre erste Kollektion auf dem Markt.
Agnes Wagter hat ihre erste Kollektion auf dem Markt. © Seads | Seads

„Jede Kollektion ist limitiert, jedes Produkt ein Unikat, denn wir verwenden die Netze in ihrer originalen Form und Farbe.“ Oft werden Kunden auf die Herkunft der bunten Teile angesprochen, und damit werde das Thema gesellschaftlich etabliert. „Wir haben Bracenet als ein Herzensprojekt gestartet – und das neben zwei Hauptjobs, in denen wir 60–70 Stunden die Woche gearbeitet haben“, sagt sie, die jahrelang als Fotografin und Art Buyerin in Agenturen arbeitete. „Als wir immer mehr Termine unterbringen mussten und vor der Arbeit immer noch zur Post fuhren, war beides zusammen nicht mehr möglich.“

Ungläubiges Kopfschütteln der Eltern

Auch, wenn die Eltern das Kündigen der sicheren Jobs mit ungläubigem Kopfschütteln goutierten, ging das Paar den unkonventionelleren Weg. „Es fühlte sich einfach toll an, in einem völlig neuen Bereich kreativ sein zu können und auch noch etwas Gutes zu tun. Das Gefühl war einfach stärker.“ Heute beschäftigen sie 35 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, weiten das Produktangebot ständig aus, haben schon mehr als fünf Tonnen Geisternetze verarbeitet und über 175.000 Euro an Spenden für meeresschützende Organisationen generiert.

Hamburg wird übrigens Hauptsitz des Unternehmens bleiben. Warum? „Wir sind hier nah am Wasser und lieben die direkte Hamburger Art“, sagt von Hohenthal. Der perfekte Ort, um den verlorenen Geisternetzen neues Leben einzuhauchen.