Hamburg. Anwohner in Jenfeld und Stellingen entsetzt. Hamburgs Behörden wissen nicht, wie viele Bäume für Radschnellwege fallen.

Am Sonnabend rollten die Bagger in Jenfeld an. Für den Bau einer der geplanten 14 Velorouten in Hamburg wurde ein Baum nach dem anderen gefällt – 55 sollen es insgesamt werden. Der Protest einzelner Anwohner konnte das traurige Bild nicht mehr verhindern: Nun säumen Baumstümpfe die Straße.

Als das Abendblatt am Mittwoch über das Vorhaben der Stadt, Dutzende Bäume für den Bau der Velorouten zu fällen, berichtet hatte, war der Aufschrei groß. Allein an einer Straße in Jenfeld werden 55 und an einem Sandweg in Stellingen 22 Bäume beseitigt. Dabei wirbt die Stadt mit den Argumenten mehr Klimaschutz, weniger Lärm und eine viel saubere Luft. Gelingen soll dies durch den Ausbau des Radwegenetzes. Das Ziel: Fahrradfahren in der Stadt so attraktiv gestalten, dass Autofahrer auf das umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen. Doch wie umweltfreundlich ist das Vorhaben?

Wird das Klima durch die Rodung zerstört?

Wie viele Bäume dem Ausbau aller 14 Velorouten in Hamburg bislang zum Opfer gefallen sind und wie viele noch abgeholzt werden müssen, kann die Hamburger Umweltbehörde nach wie vor nicht sagen. Eine solche Erhebung gibt es laut einem Sprecher nicht.

“Wenn das Klima durch den verbesserten Radverkehr gerettet werden soll, dann wird es durch diese gründliche Abholzmaßnahme gleich wieder zerstört“, empört sich Harald Gragen aus Stellingen. Dort hat vor wenigen Wochen der Bau der Veloroute 2 begonnen, die die Innenstadt über Eimsbüttel mit Eidelstedt verbinden soll. Derzeit wird der Langenfelder Damm ausgebaut. Einige Straßenbäume mussten dort schon gefällt werden.

Stadt lässt 55 Bäume an der Kuehnstraße fällen

Für September ist der Start der Arbeiten auf der Högenstraße geplant. Die Straße soll anschließend in eine Fahrradstraße umgewidmet werden. Zudem wird ein Sandweg an einer Kleingartenanlage, der zum Spannskamp führt, Teil der Veloroute 2.

„Es handelt sich um einen 100 Metern langen Weg, den nur Fußgänger und Radfahrer benutzen“, sagt Gragen, der den Ausbau an dieser Stelle nicht nachvollziehen kann. Laut Bezirksamt Eimsbüttel muss der Weg verbreitert und asphaltiert werden. Zahlreiche Bäume standen diesem Vorhaben im Weg und sind bereits im März dieses Jahres gefällt worden.

An dem Sandweg zwischen der Högenstraße und der Straße Spannskamp sind zahlreiche Bäume gefällt worden.
An dem Sandweg zwischen der Högenstraße und der Straße Spannskamp sind zahlreiche Bäume gefällt worden. © Harald Gragen

Bezirksamtssprecher Kay Becker bestätigt gegenüber dem Abendblatt, dass an diesem Sandweg 22 Bäume abgeholzt wurden, spricht bei den 30 bis 40 Jahre alten Bäumen jedoch von „Wildwuchs“. Konkret haben Arbeiter acht Birken, sechs Fichten, fünf Ahornbäume, einen Kirschbaum, eine Weide und einen Weißdornbaum entfernt.

Auch Anwohner der Kuehnstraße in Jenfeld beklagen, dass für die dort geplante Veloroute 7 zahlreiche Bäume verschwinden mussten. „Hier werden gesunde Bäume abgeholzt. Wir sind alle sprachlos entsetzt“, sagt Anwohner Thomas Schönfeld, der auch einen weiteren Nachteil sieht: „Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer werden nun von der Sonne geblendet, es gibt keinen Schatten mehr.“ Laut Bezirksamt Wandsbek müssen Arbeiter dort 55 Bäume entfernen. Den Großteil haben sie bereits am Sonnabend vor einer Woche gefällt.

Bauarbeiten sollen im März 2020 beginnen

„Die derzeitige Breite der Fahrbahn der Kuehnstraße erlaubt es nicht, innerhalb dieser Breite zusätzlich Radfahrstreifen oder Schutzstreifen zu installieren“, erklärt Jacob Löwenstrom, Sprecher des Bezirksamts Wandsbek. Deswegen müssten Bäume und Parkbuchten entfernt werden. Die Bauarbeiten sollen voraussichtlich im März 2020 beginnen. Geplant sind bis zu 2,25 Meter breite Radfahrstreifen auf der Fahrbahn. Der neue Gehweg soll eine Breite von 2,15 Metern haben.

Bei den gefällten Straßenbäumen an der Kuehnstraße handelt es sich laut Behördensprecher Löwenstrom größtenteils um 40 bis 50 Jahre alte Platanen. Die zuständige Fachabteilung des Bezirksamtes stuft diese Baumart als „nicht vorrangig schützenswert ein“. Löwenstrom: „Wir werden 76 hochwertigere Bäume an geeigneten Standorten als Ersatz pflanzen.“ Geplant sind heimische Arten – 54 Hainbuchen, 19 Eschen und drei Amur-Kirschen. „Die Längsparkstände werden im Norden sowie im Süden neu angeordnet“, sagt Jacob Löwenstrom.

Hamburgs Velorouten-Netz soll 280 Kilometer umfassen

Auch im Bezirk Eimsbüttel will die Behörde neue Bäume als Ersatz für die 22 gefällten pflanzen lassen. Kay Becker: „Nach Beendigung der Straßenbaumaßnahme werden 15 Bäume neu gepflanzt. Im nördlichen Bereich in Richtung Spannskamp wird zusätzlich eine Hecke gepflanzt.“

Opfer des Hamburger Radschnellwegs: Die Kuehnstraße in Jenfeld vor und nach der Baumfällaktion.
Opfer des Hamburger Radschnellwegs: Die Kuehnstraße in Jenfeld vor und nach der Baumfällaktion. © HA | Privat

Der Nabu in Hamburg begrüßt zwar, dass Ersatzbäume, insbesondere heimische, gepflanzt werden, betont aber auch: „Bis junge Bäume die ökologische Funktion alter Bäume erfüllen, dauert es Jahre“. Katharina Schmidt, Referentin für Stadtnatur, nennt die Sauerstoffproduktion als ein Beispiel.

Seit 2016 plant und baut die Stadt 14 Velorouten. 2020 soll der Ausbau abgeschlossen sein. Rund 46 Millionen Euro hat Hamburg inzwischen in die Radschnellwege investiert. 30 Millionen Euro zahlte davon der Bund. Ist das gesamte Hamburger Veloroutennetz fertig, soll es 280 Kilometer umfassen. 136 Kilometer sind bisher fertig.