Buchholz/Hamburg. 72 Kilometer täglich fährt Dave Claessen, Hornist im NDR-Elbphilharmonie Orchester von zu Hause in Buchholz zu seinem Arbeitsplatz und zurück
Manchmal kann er es selbst kaum glauben, was das Radfahren innerhalb von zwölf Monaten mit ihm gemacht hat. 14 Kilo sind weg, Erkältungen die absolute Ausnahme, der Blutdruck ist runter und seine Auftritte in der Elbphilharmonie sind besser als jemals zuvor.
72 Kilometer täglich fährt Dave Claessen, Hornist im NDR-Elbphilharmonie Orchester von seinem Wohnort in Buchholz zu seinem Arbeitsplatz am Platz der deutschen Einheit und von dort wieder zurück. Morgens um sieben geht’s los.
Rucksack mit Regenjacke, Schuhüberziehern und Powerriegeln
Dann steigt der 44-Jährige in Rennradhose und Trikot auf sein Landstreckenrennrad Cannondale Model Synapse, schnallt sich den kleinen Rucksack mit Regenjacke, Schuhüberziehern und zwei Powerriegeln - falls der Hungerast kommt - auf den Rücken und tritt in die Pedale.
Eine Stunde und 20 Minuten dauert die Fahrt. Das sind zehn Minuten mehr, als er mit Bus und Bahn zum Konzerthaus bräuchte.
Auf die Idee mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, kam er durch seinen Kollegen Constantin Ribbentrop, der im August 2018 im Rahmen des „Race around Austria“ 2170 Kilometer am Stück in vier Tagen und 20 Stunden gefinished hatte.
„Ein fetter, ausgeleierter Sack war ich!“
„Als ich mit ihm sprach, wurde mir klar, dass ich viel zu wenig für meinen Körper tue“, sagt Dave Claessen. Der Musiker wog damals 100 Kilo, hatte seit einem Unfall im Jahr 2007, bei dem er sich beide Fersen brach, kaum noch Sport gemacht.
„Ich habe nicht mal die vier Kilometer bis zum Buchholzer Bahnhof mit dem Rad geschafft“, sagt er. „So ein fetter, ausgeleierter Sack war ich.“
Dave Claessen war damals 43 Jahre alt, sein jüngster Sohn acht Monate. Und er als Vater von drei Kindern von Schmerzen geplagt, kaum in der Lage, mit ihnen Fußball zu spielen und herumzutoben. Also holte er sein Stadtrad aus dem Keller, fuhr damit zum Buchholzer Bahnhof, stieg in Harburg wieder aus und legte die restlichen zwölf Kilometer mit dem Rad zurück.
Ausnahmen gibt es nicht
Bis er eines morgens ohne Fahrradmitnahmeticket im Metronom erwischt wurde. „Ich wusste gar nicht, dass die Radmitnahme etwas kostet“, sagt er. „3,50 Euro pro Strecke, das war mir zu teuer.“ Seitdem legt er eben die ganze Strecke zurück. Auch an Tagen, wo der Wind von vorn kommt, es regnet und bitterkalt ist. Ausnahmen gibt es nicht.
An Konzerttagen gibt er doppelt Gas, legt die Strecke über Dibbersen, Emsen, Langenrehm, Sieversen, Sottorf, Alvesen, Vahrendorf, Ehestorf, Hausbruch, Moorburg, Hafen, altem Elbtunnel und Elbphilharmonie sogar zweimal zurück.
Am Instrument verbessert
Kommt am Nachmittag zum Ausruhen für eineinhalb Stunden nach Hause und startet gegen halb fünf erneut Richtung Konzerthaus, um am Abend topfit und tiefenentspannt auf der Bühne zu stehen. „Seitdem ich Rad fahre, bin ich am Instrument noch besser“, sagt der Musiker.
„Auch in kritischen Momenten, bleibe ich ruhig.“ Sogar zu Gastkonzerten reist er mit dem Rad an. Im Sommer ging’s nach Lübeck. 112 Kilometer waren das.
Doch nicht nur der gesundheitliche Aspekt hält ihn auf dem Rad. Es sind vor allem die Eindrücke, die er nicht mehr missen möchte, das Erleben der Landschaft und der Natur, die vor allem bei seinen Nachtfahrten beeindruckend sind.
Nachts sieht er Füchse, Rehe und Kröten
Dann teilt er sich die leeren Straßen und Feldwege mit Füchsen, Rehen und Kröten statt mit genervten Autofahrern und donnernden Lkws. Und so träumt er wie die meisten seiner Mitstreiter von besseren Radwegen und ausgebauten Strecken, die ohne Unfallgefahr zu befahren sind.
Auch wenn es davon noch viel zu wenig gibt, genießt er jede Tour. „Das Radfahren durch den Rosengarten und den Hamburger Hafen ist für mich zu einer mein Leben erweiternden, sinnerfüllenden Beschäftigung geworden“, sagt Dave Claessen.
„Die Zeit im Sattel ist meine Zeit, mal ist sie Meditation, mal ein Kampf mit mir selbst - aber immer ist sie gut.“