Berne. Die bauwillige Berner Genossenschaft kann Denkmäler aus ihrer Gartenstadt „weg rechnen“ – und verzichtet fürs Erste darauf – abreißen will sie woanders
Mit einem Zuschuss von 7.600 Euro retten Kulturbehörde und Denkmalschutzamt ein geschütztes Haus in der Berner Siedlung vor dem Abriss. Alles scheint gut. Es befriedet den zähen Poker um die kleine, seit einem Jahr leer stehende Doppelhaushälfte Rooksbarg 4 in Hamburgs größtem, denkmalgeschützten Ensemble. Aber der heftige Streit unter den Eigentümern, den Mitgliedern der „Genossenschaft Gartenstadt Hamburg eG“, geht nur in die nächste Runde.
Der Vorstand hatte wegen „wirtschaftlicher Unzumutbarkeit einer Sanierung“ den Abriss des Denkmals betrieben und das Denkmalschutzamt aufgefordert, sein Okay zu geben. Die 7.600 Euro aus der Staatskasse wenden jetzt die Unwirtschaftlichkeit ab, das Haus wird saniert.
„Wir wissen gar nicht, wofür wir uns Jahre lang verprügeln lassen haben, wenn es am Ende doch so einfach war“, sagte der Sprecher der Kulturbehörde, Enno Isermann zu der für ihn überraschenden Einigung, „die Entwicklung ist sehr erfreulich.“ Die Behörde hatte der Genossenschaft 2010 einen „Denkmalschutz light“ zugesichert und war dafür von Denkmalschützern immer wieder harsch kritisiert worden. Isermann betonte, dass der Zuschuss eine echte Ausnahme sei und keinesfalls einen Weg in die Subvention von Denkmaleigentümern vozeichne.
Genossenschaftschef Sönke Witt kündigte die baldige Sanierung des Häuschens an, wollte die Einigung aber nicht kommentieren. Die genossenschaftsinterne Initiative für den Erhalt der Siedlung reagierte erleichtert, sprach aber nur von einer „gewonnenen Schlacht. Das Grundproblem bleibt“, sagte Initiativen-Sprecherin Anne Dingkuhn. Es gebe weitere Leerstände im Ensemble.
Sonderregelungen für das Berner Ensemble
Isermann bestätigte, dass sich die Rechtslage nicht geändert habe. Es könne immer wieder ein einzelnes Haus aus dem Berner Ensemble herausgebrochen und sein Abriss beantragt werden. Das ist hamburgweit einzigartig.
Denkmäler soweit das Auge reicht. Eingeschossig, mit roten Schrägdächern und hölzernen Fensterläden. 540 Doppelhaushälften auf je 1000 Quadratmetern Garten stehen in der Siedlung Berne, gebaut von 1919 bis 1928 von Heimkehrern aus dem ersten Weltkrieg, mit Erlass des neuen Hamburgischen Denkmalschutzgesetzes 2013 gesichert mitsamt ihrer Selbstversorger-Gärten und als sogenanntes „Ensemble“. Als Einheit also, die kraft Gesetz pflegerisch als ganzes zu betrachten und zu erhalten ist. Doch statt des verschärften Ensembleschutzes kann die Genossenschaft bei teuren Sanierungen eine „Einzelfallprüfung im Ensemble“ durchsetzen. Grundlage ist ein 2010 geschlossener Vergleichsvertrag zwischen Stadt und Genossenschaftsvorstand.
Bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Sanierung wird demnach nicht mehr auf die Ertragslage des ganzen Ensembles abgestellt, sondern jedes einzelne Teil des Ensembles muss für sich wirtschaftlich erhaltbar sein. Es können also nicht die Mieteinnahmen des gesamten Ensembles den Sanierungskosten gegenübergestellt werden, sondern nur die Mieteinnahmen aus dem Ensembleteil, dem betroffenen Doppelhaus.
Der Weg in die Kopie
„Das hebt den Ensembleschutz für die Siedlung faktisch auf“, sagt Olaf Duge, baupolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, der als Oppositionspolitiker bis zuletzt Widerstand gegen die Aufweichung des Denkmalschutzes in Berne geleistet hatte. Ähnlich äußerte sich ein bekannter Hamburger Bau- und Verwaltungsrechtler, der namentlich nicht genannt sein will. Der besagte Vergleichsvertrag sei „außerordentlich segensreich für den Eigentümer“ und ein „völliger Systemwechsel des Denkmalschutzamtes“. Er verstehe nicht, „wie man als Amt so etwas unterschreiben kann. Es ist klar, dass damit ein Teil des Ensembles verloren ist, weil einzelne Häuser herausgepickt und weg gerechnet werden können“. Für das Denkmal sei das „der Weg in die Kopie“, der Weg in nachempfundene Neubauten.
Der erste Schritt in diese Richtung ist jetzt abgewendet. Oder bloß vertagt, wie die Initiative befürchtet.
Die Genossenschaft hatte dem Abendblatt vorliegenden Gesprächsnotizen des Denkmalschutzamtes zufolge spätestens seit 2009 immer wieder Vorstöße unternommen, um den mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes „drohenden“ Denkmalschutz für ihre Berner Siedlung zu verhindern. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Lasten seien unverhältnismäßig, das Ensemble doppelt so groß wie die Speicherstadt inklusive Wasser, argumentierte ihr Vorstand Witt und drohte laut denkmalschutzamtlicher Akte mit Prozessen, falls seine „Reservefläche“ für den Wohnungsbau geschützt werden sollte. Den Mitgliedern gegenüber beteuerte der Genossenschaftsvorstand stets, alle Häuser erhalten zu wollen. Der Poker fand hinter den Kulissen statt.
Zunächst hatte die Stadt dem Vorstand den Einbau von Fenster und Türen aus Kunststoff erlaubt und rückwärtige An- und Umbauten für zulässig erklärt. Dann wurde die sogenannte „Insel“, 35 Häushälften auf 35.000 Quadratmeter Land entlang der Linie U1, aus dem Schutzgebiet genommen. Sie darf neu bebaut werden, obwohl laut Akte des Denkmalschutzamtes die üblichen Fachgutachten über die Substanz der Häuser zunächst fehlten. Die Darlegungen der Genossenschaft reichten der Stadt für ihr Entgegenkommen. Der Genossenschaft reichte es nicht.
Früherer Genossenschaftschef spricht von „Verstümmelung“
Am Ende setzte Witt mit Hilfe der SPD-Politiker im Aufsichtsrat seiner Genossenschaft zusätzlich die Aufweichung des Ensembleschutzes durch. Im Vergleichsvertrag versprach die Genossenschaft im Gegenzug, nicht gerichtlich gegen den Denkmalschutz vorzugehen. Im Januar dieses Jahres kündigte der Vorstand auf seinem Neujahrsempfang an, die „Insel“ zur „Entwicklungsfläche“ machen zu wollen.
Für den früheren Berner Genossenschaftschef Martin Sieg, Amtsvorgänger von Witt, ist es eine Tragödie. Die Siedlung werde „verstümmelt“ und sei insgesamt in Gefahr, sagte Sieg. „Es geht um eine Grundsatzfrage: Soll die Genossenschaft agieren wie eine normales Wohnungsbauunternehmen und nach maximaler Ausnutzung ihrer Grundstücke trachten oder soll sie ihre Siedlungen im Sinne der jeweiligen Bewohner und Anteilseigner so bewirtschaften, dass sie sich nur wirtschaftlich trägt?“ Der alte Genossenschaftsgedanke will das letztere, modernere Ökonomen setzen eher auf Maximalausnutzung, sagen Experten wie Duge oder der Architekt Joachim Reinig, der viel für Genossenschaften gebaut und begutachtet hat. Mehrere Änderungen des Genossenschaftsgesetzes in den letzten Jahrzehnten ließen die Vorstände immer autonomer werden. Manche nutzen das. Obwohl ihre Genossen nicht Mieter sind, sondern Miteigentümer.
Das Klima ist vergiftet
Der Wind in Witts Genossenschaft ist rau geworden. Als kürzlich ein der Bewohner-Initiative nahe stehendes Mitglied der Vertreterversammlung mit einem satirischen Rundbrief für Aufruhr sorgte, zog der Vorstand die Notbremse und drohte mit Erzwingung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Der Vertreter Ralf Niemeyer sollte 5000 Euro zahlen, falls er ein weiteres Mal ein Rundschreiben in der Aufmachung der Genossenschaftsbriefe herausgebe, in dem laut Betreff der „Abriss Ihres Hauses“ Thema sei. Auch dürfe der Rebell die heimeligen kleinen Häuschen im Logo der Genossenschaft nicht mehr so arg zusammendrängen und in die Höhe wachsen lassen. Solche „Irreführung von Mitgliedern“ war Witt denn doch zu viel der Dichtung bzw. Nachverdichtung, und er erzwang den Canossa-Gang des Satirikers in einem weiteren Rundschreiben. Das enthielt eine kleinlaute Entschuldigung und den ausdrücklichen Wunsch des Delinquenten, jedes erschrockene Mitglied einzeln um Verzeihung zu bitten.
Die Basis war wieder ein Vergleichsvertrag: Öffentliche Entschuldigung gegen Verzicht auf rechtliche Schritte.
Anfang April soll eine Mitgliederversammlung, Ende April die Vertreterversammlung laut Vorstand sehr transparent und demokratisch darüber informiert werden, dass die Insel „Entwicklungsfläche“ wird. „Verwertungskündigungen“ werde es nicht geben, sagte Witt. Mittlerweile stehen auf der Insel sieben Haushälften leer. Erwartet wird mittelfristig der Bau von Geschosswohnungen.