Das alte Gewerbegebiet wird grunderneuert. Mit 300 Wohnungen in zwei Bauabschnitten wird zwischen Mühlenteich und Wandsbeker Markt ein neues Wohnquartier geschaffen.
Hamburg. Es geht los. Der Wandel im Wandsbeker Brauhausviertel wird sichtbar. Die Bagger sind da. Die morbiden, heruntergekommenen kleinen Gewerbebauten zwischen Brauhausstieg, Wandsbeker Königstraße und dem Mühlenteich werden zusammengeschoben. Entstehen wird ein modernes Wohnquartier. Etwa 110 Millionen Euro will die Becken-Gruppe investieren und bis 2019 etwa 300 Wohnungen auf dem etwa 16.000 Quadratmeter großen Areal bauen.
Das jahrzehntelang vernachlässigte Quartier liegt keine drei Gehminuten entfernt von der Wandsbeker Marktstraße, aber damit schon abseits des Lärms der großen Verkehrsader des Bezirks. Die Wandse und der Mühlenteich sind genauso schnell zu erreichen. 143 Wohnungen sollen im 50 Millionen Euro teuren ersten Bauabschnitt bis Mitte 2016 entstehen, dazu kommen 2900 Quadratmeter für bis zu 23 Gewerbe- bzw. Büroeinheiten (jeweils ab 83 Quadratmeter) in den Erdgeschossen und 124 Stellplätze in der Tiefgarage. Diese Parkplätze sollen bevorzugt den Gewerbemietern der alten, meist eingeschossigen Klinkerbauten aus den 50er- und 60er-Jahren angeboten werden.
Der Bezirk erhofft sich einen Entwicklungsschub von den etwa 600 erwarteten Neu-Wandsbekern. Als Kunden am Wandsbeker Markt und an der Wandsbeker Chaussee sollen sie den Einzelhandel stärken. Sie verjüngen, so die Hoffnung, den Stadtteil und werden mit ihren Bedürfnissen weitere neue Entwicklungen im Stadtteil anstoßen. Dafür haben sie Grünanlagen, Innenstadtnähe und eine ideale Verkehrsinfrastruktur vor der Nase. Investor Dieter Becken ist überzeugt von der Lage des Quartiers. In den vergangenen zwei Jahren hat er von insgesamt sechs Eigentümern die Grundstücke gekauft, um die Wohnungsbaupläne zusammenhängend umsetzen zu können.
Anlass war 2012 die Abwanderung der Firma Krauth Medical nach Hannover. Nach Auffassung Beckens kann das Quartier noch weit mehr Wohnungsbau vertragen als bisher geplant.
Auch Bezirksamt und Kommunalpolitik sehen das so, bestehen aber dennoch auf neuen Gewerbeflächen im Erdgeschoss. An der Wandsbeker Chaussee stehen viele Läden leer. Anfang des Jahres wurde der neue Bebauungsplan verabschiedet, der das früher reine Gewerbegebiet zugunsten des Wohnungsbaus um mehr als 50 Prozent reduziert.
Im sogenannten Mühlenquartier von Becken liegen die Gewerbeeinheiten an den Straßen, in den geschützten und durchgrünten Höfen wird ausschließlich gewohnt. An Mühlenstieg und Wandsbeker Königstraße entstehen viergeschossige Blöcke mit zurückgesetzten Staffelgeschossen, in den Höfen dreigeschossige Häuser mit Staffel. Putz- und Backsteinfassaden wechseln einander ab, Balkone verspringen mal nach innen, mal sind sie ausgekragt. Wenn der neue Bebauungsplan komplett umgesetzt ist, wird ein breiter Fuß- und Radweg vom Mühlenstieg zur Königsreihe das Wohngebiet begrenzen, die direkte Verbindung zum Mühlenteich und zugleich Distanz zu den alten Gewerbebauten schaffen, die sich bis zur Brauhausstraße erstrecken.
Die Wohnungen werden zwei bis vier Zimmer (55 bis 110 Quadratmeter) haben und zu Quadratmeter-Mieten von etwa 13 Euro netto kalt angeboten werden. Eigentumswohnungen sollen zwischen 3500 und 4500 Euro pro Quadratmeter kosten. Wie viele Sozialwohnungen gebaut werden, ist noch offen. Nach dem Versprechen der regierenden SPD müssten es gut 30 Prozent sein.
Die Gewerbebetriebe, die im Quartier bleiben wollten, haben in der Königsreihe 20-22 Ersatzflächen angemietet. Sie können bei Bedarf nach Ablauf der Bauzeit in die Neubauten wechseln.
Das neue Wohnquartier wird das Viertel deutlich aufwerten. Da Wandsbek bisher nicht durch Gentrifizierungstendenzen auffiel, ist das auch aus Sicht der Stadtplaner durchweg positiv. Es werde eine Klientel angesprochen, die bisher in Wandsbek kaum vertreten gewesen sei und deshalb den Stadtteil vielfältiger machen werde. Der Projektentwickler Dieter Becken gilt als ambitioniert. Kritik entzündet sich allenfalls daran, dass der Standort nicht kleinteilig entwickelt und das Verschachtelte des Quartiers nicht aufgenommen werde. Die geplanten Wohnblöcke könnten, so die Kritiker, demnach überall in Hamburg stehen und hätten mit dem Geist des gewachsenen Quartiers wenig zu tun.
Viel für die künftige Wohnqualität in Wandsbek wird davon abhängen, ob die Stadt ihren vernachlässigten Wandse-Grünzug in Ordnung bringt und in die Naherholung investiert. Die Durchmischung von Wohnen und Gewerbe läuft nicht auf eine Integration von Handwerksbetrieben und Wohnnutzung hinaus, sondern baut neben die Wohnungen nur Büros und Läden. Auf dem Altonaer Kolbenschmidt-Gelände (Friedensallee) zum Beispiel werden kleine Betriebe erhalten und die Wohnungen mit viel Aufwand gegen Lärm geschützt. Viele Stadtplaner setzen auf solche Vielfalt und Details, weil das Quartiere liebenswert macht.
Dem hält der Wandsbeker Baudezernent Arne Klein entgegen, dass zu Beginn einer Quartiersentwicklung ein „großer Player“ stehen müsse, der zeitgleich eine gewisse Mindestzahl an Wohnungen schaffe. „Dann ziehen auch andere nach“, sagte Klein. Auch könne die Weiterentwicklung des Quartiers durchaus kleinteiliger erfolgen.