Wie der einst mächtige Lobbyist Hans-Olaf Henkel versucht, die Menschen für die recht neue Partei zu gewinnen. Henkel: „Unser Programm ist nicht extrem, es ist nicht mal rechts.“
Hamburg. Das fängt ja gut an. Hans-Olaf Henkel ist in seiner Heimatstadt Hamburg zu Gast, doch für ein Gespräch mit dem einst mächtigsten deutschen Industrielobbyisten, Talkshow-Dauergast und heutigem Kandidaten für das EU-Parlament, interessieren sich nur zwei Journalisten. Und dann lässt der Hotelier, bei dem Henkels Partei, die Alternative für Deutschland (AfD), einen Raum angemietet hat, auch noch ausrichten, man möge doch seine Herberge am Dammtor nicht erwähnen. Ohne Begründung. Vielleicht hat er davon gehört, dass es jüngst bei einer AfD-Veranstaltung in Heimfeld Drohungen gegen den Hotelbesitzer gegeben haben soll. Wer weiß.
Henkel nimmt den Faden sogleich auf, um die Verschwörungstheorie vom „Opfer AfD“ zu spinnen: „Die Medien“, „Schreibtischtäter in den Redaktionen“ oder wahlweise „die Springer-Presse“ hätten die neue Partei gezielt in die rechte Ecke gestellt, um sie zu diskreditieren. Ein „Schock“ sei für ihn gewesen, als sogar die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) die AfD an der „Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit“ angesiedelt hat. Daher wolle er eines klarstellen, so der 74-Jährige. „Unser Programm ist nicht extrem, es ist nicht mal rechts.“ Die AfD setze sich als einzige Partei für Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber und gegen die Zwangsmitgliedschaft von Unternehmen in Kammern ein, im Kern sei sie liberal. Und überhaupt nicht gegen Europa oder die EU, wie immer behauptet würde, sondern nur gegen den Euro und für „eine schlankere EU“. Henkels Kernsatz dazu ist jedoch vieldeutig: „Wir sind für ein Europa souveräner Staaten.“ Das würde auch auf ein Europa ohne EU und ohne Euro zutreffen.
Es gehört zu den Widersprüchen der AfD, dass ihre Spitzenleute wie der Hamburger Landeschef Jörn Kruse und eben Henkel das EU-Parlament für völlig machtlos und daher überflüssig halten, sich aber trotzdem um ein Mandat bewerben. Bevor Henkel aufbricht zu seinem Auftritt in Wandsbek, klärt er den vermeintlichen Widerspruch so auf: Nachdem es mit dem Bundestag nicht geklappt habe, solle nun das EU-Parlament die Aufmerksamkeit bietende Plattform sein, von der aus Anfang 2015 mit Hamburg das erste westdeutsche Landesparlament erobert werden solle. So weit die politische Strategie.
Ortswechsel. Im Cinemaxx Wandsbek haben sich gut 200 Interessierte eingefunden – viele ältere Herren, aber auch junge Männer mit Basecap und eine ältere Dame mit Kopftuch. Eine wie auch immer geartete rechte Gesinnung ist nicht auszumachen, die Stimmung ist entspannt. Dennoch sind rund um das Kino etwa 20 Polizisten postiert. Ihr Einsatz steht noch bevor.
Um 19.34 Uhr betritt Hans-Olaf Henkel die Bühne, greift sich ein Mikro und spricht – 90 Minuten, stehend, ohne schriftliche Vorlage. Er schlägt einen weiten Bogen vom Römischen Reich über den HSV zu seiner Kindheit in Hamburg und wie sein Vater 1943 das brennende Haus der Familie in der Rothenbaumchaussee gefilmt habe. Das Nachbarhaus sei dank einer Brandmauer stehen geblieben. Genau so eine „Brandmauer“, also der Schutz zwischen starken und schwachen Ländern der Euro-Zone, sei von Angela Merkel eingerissen worden, daher habe er sich vom „überzeugten Euro-Anhänger“, der er als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) von 1995 bis 2000 war, zum Gegner der Einheitswährung gewandelt. Nun befinde sich Europa „in einer griechischen Tragödie, und die habe ein tragisches Ende“. Ein Patentrezept habe er auch nicht, aber drei Alternativen: A: Austritt der schwachen Länder aus dem Euro. B: Die starken Länder um Deutschland treten aus und gründen ihren eigenen Nord-Euro, oder C: Alle gehen zurück zu ihren Währungen.
Bevor Henkel so weit kommt, gibt es kurz absurdes Theater. Ein dunkelhäutiger Mann, der mit seinem elektrischen Rollstuhl direkt vor der Bühne steht, ruft plötzlich „Lang lebe der Kommunismus“ und „Nazis raus“. In den hinteren Reihen kommt es derweil zu einem Handgemenge zwischen dem AfD-Versammlungsleiter und einigen jungen Leuten. Und mitten in den Tumult mischt sich Henkel per Mikro ein: „Fassen Sie die Leute nicht an. Sie können nichts dafür, sie wurden von den Medien gegen uns aufgehetzt.“ Schließlich führen Polizisten die Störer hinaus, nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei.
Henkel redet noch eine Stunde lang weiter, gegen den Euro und gegen die Medien. Er plaudert über Währungspolitik, Briefe an Bundeskanzler, Treffen mit Lord Ralf Dahrendorf und Gespräche mit Horst Köhler – ein Weltmann in Wandsbek, das beeindruckt viele Zuhörer. Ihre letzte Frage lautet, was er von gentechnisch veränderten Lebensmitteln halte. Henkels Antwort irritiert: „Wir müssen die Macht der Parteien zugunsten der Macht der Bürger begrenzen.“ Fragt sich nur: mit oder ohne Gentechnik?