Die Polizei schützte die Demonstration der Alternative für Deutschland. Die AfD rechnet mit dem Einzug in den Bundestag.
Hamburg. Die Frau ruft mitten durch den Chor, ihre Stimme überschlägt sich fast. „Wir haben die ersten Eierschalen!“. Im Pulk vor ihr breitet sich ein Lächeln aus, stolze Blicke wechseln, als sei der Angriff mit faulen Lebensmitteln eine Art Ritterschlag. „Hop, Hop, Hop - der Euro ist ein Flop!“, rufen sie wieder, diesmal lauter.
Der Demonstrationszug der Partei „Alternative für Deutschland“ beschleunigt seine Schritte. Die große Unbekannte bei der kommenden Bundestagswahl schneidet am Sonnabend durch die Innenstadt, als gelte es, noch vor Sonnenuntergang eine Revolution auszurufen.
Polizisten in Vollmontur begleiten den Zug ab dem Beginn der Demonstration um 11 Uhr auf dem Heidi-Kabel-Platz. Praktisch seit ihrer Gründung sieht sich die oft sehr unpräzise als Anti-Euro-Partei bezeichnete Bewegung den Anfeindungen von einzelnen jungen Grünen und Linksautonomen ausgesetzt.
Sie scheinen zumindest der internen Mobilisierung der AfD zu helfen. In bundesweiten Umfragen verharrt die Partei derzeit bei rund drei Prozent, eine Minderheit der Demoskopen traut der AfD einen dauerhaften Platz in der deutschen Parteilandschaft zu. Doch am Sonnabend zieht sich der Demonstrationszug mit einer Länge von mehreren Hundert Metern vom Hauptbahnhof in Richtung Gänsemarkt.
Von 700 Teilnehmern berichtet die Polizei am frühen Nachmittag, für den Parteivorsitzenden Bernd Lucke eine Untertreibung. „Unser Ziel waren 1000 Teilnehmer, diese Marke haben wir locker geknackt.“
Es ist schwer, Lucke als Anführer der Bewegung auszumachen. Im blauen Poloshirt zu einer hellen Hose läuft er in der vierten Reihe des Demonstrationszuges. Lucke ist Wissenschaftler, Professor für Makroökonomie an der Universität Hamburg. Seine Züge sind sanft, der Tonfall näher an Angela Merkel als am überbordenden Eifer eines Oskar Lafontaine. „Wir wollen ernsthafte Alternativen aufzeigen“, sagt Lucke.
Der Parteivorsitzende kann kühl und nüchtern über die Mechanismen sprechen, die aus seiner Sicht zur Euro-Krise führten. Über neue Rettungsgesuche von Ländern wie Spanien, die nach der Bundestagswahl zwingend folgen würden. Im Trupp seiner Parteifreunde wirkt er fast ein wenig deplatziert. „Ein Volk, das nichts zu sagen hat, ist die Politik bald satt!“, brüllt der rotwangige Mann auf dem Führungswagen. Er verzerrt das Gesicht vor Anstrengung, die Meute ruft mit. Bernd Lucke lächelt milde. Große Mühe, das Bild der Protestpartei zu wiederlegen, gibt sich die AfD an diesem Tage nicht.
Ein Stück weiter hinten im Demonstrationszug läuft Peter Werner, er hat es nicht so mit dem Brüllen. Dafür sprudelt die Verbitterung im direkten Gespräch schon beim Stichwort „Währungsunion“ aus ihm heraus. Deutschland werde in diesem Jahrhundert nicht mehr aufhören können, für die Schulden der Südländer aufzukommen, sagt der Rentner aus Wentorf. „Wir müssen jetzt raus, sonst sind die Folgen unbeherrschbar.“
Er ist schnell bei der Rente, die am Euro hänge, bei den Medien, die mit ihrer „Diktatur“ der schwarz-gelben Regierung zu lange freie Hand gelassen hätten. „Ich war noch nie auf einer Demonstration, nie in einer Partei. Aber es ging nicht mehr. Ich musste teilnehmen.“ Er hofft auf 5,5 Prozent bei der Bundestagswahl. Das würde reichen, sagt Werner, um „auch vor dem Verfassungsgericht dem Volk eine angemessene Stimme zu geben.“
Die jüngeren Mitglieder der AfD setzen sich höhere Ziele. „Eine echte Kursänderung geht langfristig nur über eine Regierungsbeteiligung“, sagt Sandra Wagner, die im vorderen Drittel des Protestzugs mitläuft. Sie verteilt Flyer der Partei, auch an die jugendlichen Schwarzkutten, die auf dem Weg zum Rockfestival „Elbriot“ sind.
Mehr als unwirsche Blicke erntet sie meist nicht. „Es ist natürlich noch Mobilisierungsarbeit zu leisten, der Wahlkampf hat aber auch gerade erst begonnen“, sagt die 28-Jährige.
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Gänsemarkt kritisierte der Hamburger Spitzenkandidat Jörn Kruse die Arbeit des schwarz-gelben Kabinetts. „Der Euro ist bereits gescheitert. Je länger die Regierung braucht, diese Wahrheit zu akzeptieren, desto teurer wird es für die Bürger.“ Gleichzeitig positionierte er die AfD als grundsätzlich pro-europäische Partei - jedoch sei eine grundlegende Reform der europäischen Institutionen und eine deutliche Stärkung der Bürgerbeteiligung nötig.
Für den Parteivorsitzenden Lucke ist der Zuspruch für die AfD einzigartig. „Nie zuvor ist eine Partei so schnell so weit gekommen. Dies verdanken wir nur Ihrem Engagement und Ihrem Enthusiasmus.“ Laut Lucke ist es erklärtes Ziel, mit der AfD nach der Wahl am 22. September in den Bundestag einzuziehen.