Am Sauerampferweg werden hohe Anliegerbeiträge für eine einheitliche Optik fällig. Viele Anwohner wollen ihre über Jahrzehnte gewachsene Straße bewahren, ihren dörflichen Charakter erhalten.
Hamburg. Die japanischen Kirschbäume sollten nicht fallen. Wenn es aber unbedingt nötig sei, müsse wenigstens nachgepflanzt werden, finden die Anwohner von Sauerampferweg, Wichelkamp, Ilenkruut und Brammerhörn in Bramfeld.
Als sie sich im Bezirksamt Wandsbek beschwerten, verblüffte das Amt mit der Nachricht, dass die seit Jahren völlig intakten Straßen „erstmalig endgültig hergestellt“ werden sollen und dafür Anliegerbeiträge von bis zu 15.000 Euro pro Grundstück fällig werden. Wenn die Straßen dann fertig seien, würden auch wieder Bäume gepflanzt.
„Wir wollen überhaupt keine neue Straße“, sagt Roland Susel aus dem Sauerampferweg. Von Haus zu Haus ist er gelaufen und hat die Nachbarn zusammengerufen. Mehr als 100 kamen in den Gemeindesaal der Thomaskirche. Viele ältere Bewohner der kleinen Häuser aus den 1930er-Jahren haben nicht viel Geld, jüngeren Zuzüglern mit kleinen Kindern geht es ähnlich. Sie alle wollen keine Einheitsstraße mit Kantsteinen und Betoneinfahrten.
Sie wollen ihre über Jahrzehnte gewachsene Straße bewahren, ihren dörflichen Charakter erhalten. Das „Straßenbegleitgrün“ haben sie ohnehin zumeist selbst in Ordnung gehalten, die Entwässerungsgräben funktionieren, und die Straßenbeläge sind nur an einigen wenigen Stellen reparaturbedürftig. Auch möchten die Bürger ihre größtenteils selbst hergestellten Grundstückseinfahrten und die unversiegelten Grand-Fußwege behalten. Die Straße Brammerhörn, an der nur drei Anlieger wohnen, sei derzeit nicht asphaltiert und solle auch ohne Asphalt bleiben. „Für drei Häuser lohnt sich der Aufwand doch gar nicht“, sagte Susel.
Das Amt sicherte weitgehende Bürgerbeteiligung zu. Obwohl es dazu nicht verpflichtet sei, wie Vertreter des Amts und der Wandsbeker SPD im Verkehrsausschuss betonten. Aber die neue Straße kommt. Das Gesetz und die Direktiven der Politik sehen es so vor. Wer die Einheitswabensteine für Grundstückseinfahrten nicht will, muss einen Aufpreis zahlen. Die Anwohner hoffen, eine Spielstraße ohne geflieste Gehwege durchsetzen zu können. Nach den Sommerferien soll ihnen eine vorläufige Planung vorgestellt werden, der Bau im Spätsommer oder Herbst 2015 starten. Die 28 Stümpfe der abgesägten japanischen Kirschbäume lässt das Amt vorerst als Platzhalter für Neupflanzungen stehen. Für Susel sind es „Mahnmale“.
Endgültig und nicht endgültig hergestellte Straßen sind praktisch nicht auseinanderzuhalten. Baugesetzbuch und Hamburgisches Wegegesetz machen jedoch Unterschiede: Die Fahrbahn muss aus Asphalt oder ähnlichem Material sein, sie muss abgegrenzt sein durch Bordsteine, Rasengittersteine oder Straßenrinnen. Es muss Entwässerungseinrichtungen und Beleuchtung geben, die Straße muss baurechtlich als Straße ausgewiesen und Eigentum der Stadt sein. Erst wenn alle diese Kriterien erfüllt sind, darf die Stadt je nach Grundstücksgröße und Bebaubarkeit Anliegerbeiträge einziehen. Sind die Straßen nicht in diesem Sinne „endgültig hergestellt“, zahlt allein die Stadt.
Senat und Bezirksämter berufen sich auf diese „Gerechtigkeitslücke“. Alle Hamburger, die an bereits endgültig hergestellten Straßen leben, haben nämlich schon Anliegerbeiträge gezahlt. Ihnen sei es nicht zuzumuten, dass andere ihre Straße komplett vom Steuerzahler finanziert bekommen. Auch der Rechnungshof hat dringend empfohlen, noch nicht endgültig hergestellte Straßen im juristischen Sinne fertig zu bauen, damit Anliegerbeiträge erhoben werden können und die Stadt ihre für Straßenbau erbrachte Vorleistung eintreiben kann.
Nach der endgültigen Herstellung einer Straße sind 90 Prozent der Kosten auf die Anlieger umzulegen. Die Beiträge werden vier Wochen nach Ergehen des Bescheides fällig. Sie können nach der Prüfung der Vermögenssituation des Betroffenen gestundet oder auf bis zu zehn Jahre verrentet werden. Die monatliche Mindestrate soll 150 Euro nicht unterschreiten.
Laut Bezirksamt Wandsbek warten in ganz Hamburg 646 Straßen auf ihre endgültige Herstellung, davon im Bezirk Nord 37, in Bergedorf 48, in Harburg 59, in Mitte und Altona je 64, in Eimsbüttel 153 und in Wandsbek 221.
Eine davon ist der Volksdorfer Feldkamp, dessen Anwohner der endgültigen Herstellung ihrer Straße allerdings erleichtert entgegensehen. Sie wollen bei Regen mit ihren Kinderwagen endlich trockenen Fußes nach Hause kommen. Bei der Bürgerbeteiligung standen drei Ausbauvarianten zur Wahl: eine ohne, zwei mit Parkplätzen. Sie wählten die Nulllösung – zu Preisen zwischen 9000 und 13.500 Euro.