Was den einen befreit, nervt den anderen. Wenn der Fußballer sich auf dem Platz auspowert, rauft sich der Nachbar am Kaffeetisch die Haare. Schreie, Schiedsrichterpfiffe und Autolärm lassen immer mehr Anwohner klagen.
Hamburg. Sportlärm wird zunehmend zum Problem. Für Anwohner, aber auch für die Vereine. Denn wenn der Lärm der Sportler die Anwohner dünnhäutig macht, setzen die Nachbarn immer öfter auch gerichtlich rigide Nutzungseinschränkungen durch. Die zu erwartende Große Koalition in Berlin will das Problem laut Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode angehen. Der Hamburger Sportbund (HSB) fordert, dass Sportlärm im Gesetz grundsätzlich nicht mehr wie Industrielärm behandelt wird, sondern als eine natürliche Lebensäußerung.
Der TSC Wellingsbüttel hat einen neuen Kunstrasenplatz, den er aber nur sehr eingeschränkt nutzen kann. Anwohner setzten Beschränkungen durch, die dem Verein lediglich fünf Heimspiele pro Wochenende erlauben. Bis zu 16 Mannschaften aber müssten Heimspiele austragen. Der renommierte Klipper THC konnte seine Hockeyanlage nach Anwohnerklagen lange kaum nutzen. Seit August läuft der Spielbetrieb zwar wieder uneingeschränkt, aber noch immer steht ein Gerichtsurteil aus, das massive Einschränkungen bringen könnte. „Obwohl wir unsere neue Kunstrasenanlage wegen der Anwohnerbeschwerden gedreht, weiter von den Nachbarn weggerückt und den Lärmschutzwall 1,5 Meter höher gebaut haben als vorgeschrieben“, sagt Ingo Gercke, Präsident vom Klipper THC.
Die Streitereien kosten Geld, Nerven und viel Zeit. Für die erste Instanz vor dem Verwaltungsgericht kann man drei Jahre rechnen, für die zweite noch einmal zwei. Verlierer sind meistens beide Parteien: Einer steht in der Nachbarschaft als Nörgler und Blockierer da, der andere kann im Zweifel nicht spielen. Die Stadt und ihre Vereine brauchen dringend mehr Sportanlagen und Hallen. Und anders als in Flächenländern prallen in Stadtstaaten wie Hamburg Sport- und Anwohnerinteressen auf engem Raum aufeinander.
An der Sportanlage Tegelsbarg führten Anwohnerbeschwerden zu Nutzungseinschränkungen. Der TSV Sasel hat an seiner Stammanlage am Saseler Parkweg gerade erst eine Sichtschutzwand gebaut, weil Anwohner nach dem Baumbeschnitt der sportliche Ausblick störte. Am Lokstedter Steindamm 52 wurde entlang der neu gebauten Anlagen des SC Victoria auf 150 Meter Länge eine 7,70 Meter hohe Lärmschutzwand gebaut, um den Nachbarn an der Platanenallee Ruhe zu verschaffen. Die im Sommer eingeweihte neue Dreifeldhalle am Klein Flottbeker Weg darf ab 17 Uhr nicht mehr bespielt werden, also gerade dann, wenn die Vereine sie brauchen. Zwar ist die Halle lärmtechnisch perfekt, aber die An- und Abfahrten der Kinder und Eltern wollten einzelne Nachbarn nicht hinnehmen, zumal im Bebauungsplan vermerkt ist, dass von der Anlage ab 17 Uhr keine Belastung mehr ausgehen darf.
Maßgebliche gesetzliche Grundlage ist die 18. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) vom 18. Juli 1991. Sie legte deutlich verschärfte Grenzwerte für Ruhezeiten, Nachtzeiten und übrige Zeiten fest. Entscheidend ist: Altanlagen genießen einen Bonus. Sie dürfen immer um 5 db(A) über dem gerade zulässigen Grenzwert liegen. Wobei 3 db(A) einer Verdoppelung des Lärms entsprechen. Dieser Bonus geht aber verloren, wenn die Sportanlage renoviert wird und zugleich dabei „Identität und Charakter“ der Anlage verändert werden. Nutzungserweiterungen wie zum Beispiel längere Spielzeiten am Abend führen generell zum Verlust des Altanlagen-Bonus.
Wer also aus einem alten Grand- einen neuen Kunstrasenplatz machen will, saniert zwar eigentlich nur, will aber anschließend den Platz besser nutzen. Und muss fortan strengeren Lärmgrenzwerten genügen. Sprich: den von der Anlage ausgehenden Lärm mehr als halbieren. In einem gewachsenen Wohngebiet, das moderne Lärmschutzansprüche bei der Konzeption nicht berücksichtigt hat, ist das schwierig und teuer. Bei Neubauten ist es einfacher: An der Bundesstraße wurde neben der verkleinerten Sportanlage die Diakonieklinik gebaut. Hier zeigen Treppenhäuser, Aufenthalts- und Lagerräume zum Sportplatz und erfüllen als Lärmpuffer die Forderungen des Gesetzes. Das hatte schon der Bebauungsplan so festgeschrieben.
Häufig müssen für umfängliche Sanierungen Baugenehmigungen beantragt werden. Damit aber sind „nachbarschaftliche Belange“ berührt: Die Anwohner haben automatisch eine Widerspruchsmöglichkeit. Auch geht in der Regel der Altanlagen-Bonus verloren. Deshalb wird vielfach schon im Vorfeld versucht, Bedürfnisse zu klären und Absprachen zu treffen. Der TSV Sasel zum Beispiel will jetzt seine Anlage am Alsterredder erneuern. Einen Info-Abend mit Anwohnern gab es schon, im Januar will man sich wieder treffen. „Wir müssen halt versuchen, alle irgendwie zufriedenzustellen“, sagt der Vereinsvorsitzende Marcus Benthien. „Auch die Anwohner haben Rechte“.