Hamburg. Der bildgewaltige heidnische Kult erobert bereits vor dem 31. Oktober die Stadt. Warum das Gruselfest nicht mehr in die Zeit passt.

„Dein Zufluchtsort für Gesundheit und Wellness in der Stadt“ – mit diesem Versprechen wirbt der Fitnessclub MeridianSpa in Hamburg. Doch der „Zufluchtsort“ mutiert bereits Tage vor Halloween zum Ort des Gruselns und Grauens. Wer die Wellnessoase am neu installierten Drehkreuz in Wandsbek betritt, erblickt zu seiner Überraschung oder gar zu seinem Entsetzen einen kleinen menschlichen Totenkopf, nicht weit davon entfernt liegen weitere Nachbildungen von Knochen.

Halloween: MeridianSpa wirbt mit einem Totenkopf für den Kult

Schon Tage vor Halloween am 31. Oktober zieht also auch dieses Unternehmen alle Register dekorativen Könnens, und gleich am Eingang werden die Kunden unbeabsichtigt darauf eingestimmt, dass all das Schwitzen in der Muckibude langfristig sowieso nichts nützt, weil das Leben – siehe Totenkopf – endlich ist. Da helfen weder Pilates noch Wassergymnastik.

Halloween in Hamburg: Ein heidnischer Kult ohne Narrativ

Das Verstörende an der inzwischen allgegenwärtigen Präsenz dieses heidnischen Kultes ist, wie bereitwillig und gedankenlos sich die Menschen diesem aus den USA kommenden, keltischen Brauch unterwerfen, der einzig und allein den Herstellern diverser Gruselartikel nützt. Es ist eine Inszenierung ohne gängiges Narrativ. Denn nur wenige Menschen dürften wissen, dass die heidnischen Kelten einst glaubten, in jener Nacht sei die Grenze zwischen den Lebenden und den toten Ahnen durchlässig geworden.

So gruselt man sich also ohne Erzählung, nimmt die Kinder an die Hand und zeigt ihnen das Reich des Schreckens in Gestalt von Skeletten, Spinnennetzen und harmlos ausgehöhlten Kürbissen. Mit dem Smartphone wird das angeblich wichtigste Fest vor Beginn der Weihnachtszeit festgehalten und bei Instagram gepostet. 

Halloween in Hamburg: Was sagen die Kriegsflüchtlinge dazu?

Man reibt sich die Augen vor so viel Unsinn. Was vor Jahren, als die Halloween-Welle nach Deutschland schwappte, noch neu und unterhaltsam war, gerät heute aus meiner Sicht an die Grenze des schwer Erträglichen. Kaum einer, der den öffentlichen Raum betritt, der einkaufen, an Gärten vorbeiflanieren und im Fitnessclub trainieren will, kann sich diesem gottlos bildgewaltigen Kult entziehen. Wie muss die unerwartete Präsenz von Totenköpfen und menschlichen Skeletten auf jene Bürgerinnen und Bürger wirken, die aus Kriegsgebieten einen Zufluchtsort in Deutschland gefunden haben? Auch allen, die gerade einen geliebten Menschen verloren haben, dürfte der Anblick menschlicher Skelette, und seien es explizit Nachbildungen, nicht guttun.

Halloween ist ein Kult ohne Trost, der nicht mehr in die Zeit passt. Er mag in die USA passen, wo es seit Jahrhunderten keinen Krieg mit einem äußeren Feind mehr gab, aber nicht nach Deutschland, wo inzwischen Hunderttausende Kriegsflüchtlinge leben und zweieinhalb Flugstunden entfernt blutige Schlachten toben.

Reformationstag kontra Halloween: Es braucht eine Bildungsoffensive

Das Frappierende ist, dass die Menschen heutzutage von der Bildgewalt Halloweens mehr fasziniert sind als von der Kraft des Wortes. Genau dafür steht der Reformationstag am 31. Oktober. Er erinnert an ein Ereignis von europäischem Rang, denn der Reformator Martin Luther veröffentlichte an diesem Tag im Jahr 1517 an der Wittenberger Schlosskirche seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel. Zwar begann damit die Trennung von der katholischen Kirche. Aber gleichzeitig ging mit der Reformation eine Bildungsoffensive durch die deutschen Fürstentümer und eine Medienrevolution in der populären Verbreitung des Buchdrucks.

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Aus Verehrern von religiösen Reliquien (wie einem Splitter vom Kreuz Jesu) wurden dank der gedruckten Bibeln und Schriften des Lesens kundige Bürgerinnen und Bürger. Sie waren froh, sich selbst einen Reim auf das Leben machen zu können. Das wünscht man den Fans von Halloween auch. Ganz im Sinne von Immanuel Kant und der Aufklärung möge man ihnen zurufen: „Sapere aude! Habt Mut, Euch Eures Verstandes zu bedienen!“