Hamburg. Peggy Elfmanns Mutter konnte nicht mehr sprechen. Die Journalistin hat ein Buch über den langen Abschied von ihr geschrieben.
Peggy Elfmann ist Journalistin und schreibt über Gesundheit, Familie und Pflege. Durch die Alzheimererkrankung ihrer Mutter Kerstin begann sie, sich mit dem Thema Demenz zu beschäftigen. Auf ihrem Blog „Alzheimer und wir“ teilt sie ihre Erfahrungen, um andere Angehörige zu unterstützen und über Demenz aufzuklären. Mit ihrem neuen Buch „Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander“ (hanserblau) möchte sie motivieren, sich dem Thema Pflege frühzeitig anzugehen.
Hamburger Abendblatt: Was haben Sie empfunden, als Sie das erste Mal die Diagnose gehört haben, dass Ihre Mutter an Alzheimer erkrankt ist?
Peggy Elfmann: Vor gut 13 Jahren. Sie war im Krankenhaus zur Untersuchung, denn sie zeigte Auffälligkeiten im Alltagsverhalten. Wir dachten erst, sie hat Stress, ist im Beruf als Lehrerin für Geografie und Sport überfordert. Dass da eine Demenz und Alzheimer dahintersteckt, hatten wir überhaupt nicht in Betracht gezogen, denn sie war erst 55 Jahre alt. Für mich war damals Demenz eine Krankheit eher für alte Menschen. Jetzt weiß ich, es kann auch jüngere treffen. Ich dachte sofort: Meine Mutter braucht jetzt Pflege und kommt einsam ins Pflegeheim. Das löste Angst in mir aus. Wir in der Familie fragten uns: Was machen wir nun?
Was waren das für Auffälligkeiten?
Meine Mama hatte sich stark zurückgezogen, und auch in Gesprächen war sie nicht mehr nahbar. Sie verbrachte auf einmal viel Zeit mit Unterrichtsvorbereitungen, obwohl sie doch ganz viel Erfahrungen als Lehrerin hatte. Sie wirkte sehr angespannt, und wir dachten erst, sie habe Burnout.
Wie ist es ihr und Ihnen nach der Diagnose ergangen?
Sie war traurig, und auch wir alle in der Familie waren traurig. Zugleich sagte sie aber, sie sei froh, weil sie nun endlich weiß, an welcher Krankheit sie leidet.
Wie haben Sie sich als Familie, auch mit Ihrem Vater und Ihrem Bruder, organisiert?
Wir saßen zusammen, wie es eigentlich zu Weihnachten üblich ist, nur eben traurig. Und fragten uns. Was heißt das jetzt? Was brauchen die Eltern? Müssen wir Jüngeren zu ihnen zurückziehen, um zu helfen? Aber wie soll das mit unseren Jobs und Familien funktionieren? Oder wäre es besser, wenn die Eltern umziehen? Zum Glück haben meine Eltern für sich daheim eine gute Routine gefunden. Bewegung und spazieren gehen waren ganz lange wichtig. Das hat eine Struktur im Alltag gegeben und beiden gut getan. Die Mama hat recht früh aufgehört zu sprechen, weil das Sprachzentrum betroffen war. Kommunikation wurde schwierig, aber sie war noch flott zu Fuß. Sie hat, wie vor ihrer Erkrankung, beim Spazierengehen gern Blätter abgezupft, eine Blüte oder einen Stein mit nach Hause genommen. Die Aufmerksamkeit für Natur, die Ente auf dem Teich, den Blick für die kleinen Dinge konnte sie sich lange bewahren und hatte Freude daran.
Alzheimer: „Ich habe meine Mama als Ratgeberin vermisst“
Hat Sie das getröstet?
Das war eine gute Erfahrung. Obwohl ich meine Mama auch vermisst habe als Mensch, den man um Rat fragen kann.
Wie lange ging das noch gut? Wann kam der Kipppunkt?
Es gab nicht diesen einen Kipppunkt, die Krankheit verlief schleichend. Das ist typisch für Demenzerkrankungen. Spazierengehen und in Bewegung sein klappte lange gut, aber auch da gab es bessere und schlechtere Tage. Mama brauchte immer mehr Unterstützung, auch bei alltäglichen Dingen wie Essen oder Anziehen. Die Potenziale verschwinden leise.
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Hat sie dumme Sachen angestellt?
Nein, mein Vater war ja fast immer bei ihr und hat aufgepasst. Mama hatte sich eher zurückgezogen. Sie hatte aber auch eine große Bewegungsunruhe. Einmal ist sie mir weggelaufen. Aber es dauerte zum Glück nur 15 Minuten, bis ich sie wiederfand.
Wie verlief die medizinische Unterstützung?
Meine Mutter lebte mit meinem Vater in einer ländlichen Region in Sachsen-Anhalt. Der Arzt verschrieb ihr ein Antidementivum. Es hätte sicher geholfen, wenn sie Möglichkeiten zur Aktivität und Austausch gehabt hätte, zum Beispiel an einer Kunst- oder Sportgruppe. Leider gab es keine Angebote in dieser Region.
Alzheimer: Wie die Mutter ins Pflegeheim kam
Wann ist Ihre Mama gestorben?
Zwölfeinhalb Jahre nach der Diagnose, im Januar dieses Jahres. Sie ist friedlich eingeschlafen in einem Zeitzer Pflegeheim in Sachsen-Anhalt. Die letzten Wochen war es aufgrund von drei Stürzen schwierig geworden. Sie kam erst ins Krankenhaus. Weil sie mehr pflegerische Unterstützung brauchte und wir die Pflege zuhause nicht leisten konnten, haben wir beschlossen, dass sie ins Pflegeheim zieht. Dort wurde sie pflegerisch optimal und mit Herzenswärme versorgt.
Wie wichtig ist ein soziales Netzwerk bei der Pflege von Kranken?
Extrem wichtig. Wir haben das nach und nach aufgebaut. Zum einen mit dem Facharzt und der Hausärztin, zum anderen mit dem Pflegedienst. Der war ein guter Partner auch für Notfälle. Auch Nachbarn und Familie spielen eine wichtige Rolle in dem Netzwerk. Es ist gut, wenn man Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen kann.
Welche Tipps geben Sie Ihrem Lesern beispielsweise?
Wichtig ist es, mit den Eltern frühzeitig in den Austausch zu gehen, was sie sich im Krankheitsfall wünschen. Und auch zu reflektieren, welche Hilfe man leisten kann und möchte. Außerdem gebe ich Anregungen für gemeinsame Aktivitäten. Eine Idee ist es, an die Kindheitsorte der Eltern zu reisen, um sie besser zu verstehen oder ihre Lieblingsmusik zu sammeln. Damit kann man später im Pflegealltag schöne Momente gestalten.