Hamburg. Tessa Aust ist Geschäftsführerin bei Schmidts Tivoli. Seit sie ein Kind war, bestimmt das Theater ihr Leben – auch in Krisenzeiten.
Verglichen mit dem etwas verwilderten Garten mit den etwas skurrilen Stahlpalmen im Hintergrund, der abgeblätterten Holzstuhlgarnitur und der dünnen Regenbogenfahne, die vor dem Eingang hängt, ist das Innere der St. Pauli-Kirche verblüffend nüchtern – eben klassizistisch. Hellgraue Stühle statt Holzbänke sind für die Gottesdienst- und Konzertbesucher aufgereiht. Die Farbe ist passend gewählt zum Bohlenboden und den weißgrauen Wänden. Doch wer genauer hinschaut, dem fallen kleine Details auf, die dann doch das bindende Glied zur „sündigen Meile“, der Reeperbahn, die gleich um die Ecke ist, bilden. So hängt neben den ehrwürdigen alten Ölschinken der ehemaligen Pastoren ein grell rotes Bild von einer Prostituierten aus der Herbertstraße, die mit einem vermeintlichen Freier flirtet. Besonders an dieser Kirche ist jedoch nicht das Innere oder Äußere, sondern dass sie dem Stadtteil ihren Namen gab – sie ist dem Apostel Paulus gewidmet. Dadurch wurde dann die westliche Vorstadt, der Hamburger Berg, 1833 in St. Pauli umbenannt.
Tessa Aust, die sich diese Kirche für die Begegnung ausgesucht hat, weil sie an der Reeperbahn arbeitet, betrachtet das Bild lächelnd. Dann schwenkt ihr Blick nach links, wo ein Schal mit der Aufschrift: „Refugees welcome“ hängt, darüber das Foto der rund 80 geflüchteten Männer aus Lampedusa, die viele Monate in der Backsteinkirche, die 1820 gebaut wurde, verbrachten. Die Pastoren Martin Paulekun und Sieghard Wilm nannten es damals „humanitäre Nothilfe“, ausdrücklich nicht Kirchenasyl.
Das Bild und ein Fußballpokal erinnern an die überwältigende Hilfsbereitschaft für diese Geflüchteten, die der Stadtteil St. Pauli damals geleistet hat. „Diese Kirche steht im besonderen Maße für Offenheit, Vielfalt und das Engagement von Menschen im Stadtteil“, sagt Pastorin Sandra Starfinger. Sie und Tessa Aust sind gemeinsam in der Interessensgemeinschaft St. Pauli und Hafenmeile e.V. Aust ist dort sogar im Vorstand.
Das erfolgreichste Privattheater mit jährlich rund 500.000 Gästen
Das passt, denn schließlich leitet sie das erfolgreichste deutsche Privattheater mitten auf dem Kiez. Sie ist Geschäftsführerin für das Schmidt Theater und das Schmidts Tivoli, das Schmidtchen und das Angie’s, für zwei Bars, zwei Restaurants und einen Weingarten, den Eventbereich und den Tourneebetrieb der Theater. Rund 500.000 Gäste hat das Schmidt im Jahr, aus Hamburg, dem Umland und ganz Deutschland.
Die studierte Sozialökonomin und älteste Tochter von Schmidts-Tivoli-GmbH-Gründer Norbert Aust ist seit ihrer Kindheit auf dem Kiez zu Hause, auch wenn sie mit ihren fünf jüngeren Geschwistern – drei Schwestern und zwei Brüdern – zuletzt im eher beschaulichen Alsterdorf aufwuchs. „Die Eltern meiner Freundinnen hätten ihnen niemals erlaubt, abends auf der Reeperbahn zu sein. Das kam den Mädels in jungen Jahren aber sowieso nicht in den Sinn“, sagt Tessa Aust lächelnd.
Schon mit sechs Jahren an der Bar ein Kaltgetränk geschlürft
Sie selbst hat hingegen schon mit sechs Jahren an der Theaterbar gesessen, ein Softgetränk geschlürft und den Tänzern und Schauspielern bei den Proben und Auftritten zugeschaut. Damals sei auf der Reeperbahn tagsüber wenig los gewesen, erinnert sie sich – „heute ist die Gegend durch die Bespielung des Spielbudenplatzes, durch Cafés und Restaurants viel belebter und netter“. Auch durch das Kindertheater, das es seit 2006 im Schmidt gibt, wuseln, genau wie sie und ihre Geschwister früher, heute Kinder durch den Theatersaal.
Eine bunte Kindheit in der Großfamilie
Tessa Aust bezeichnet ihre Kindheit als „schön und vor allem bunt“, auch aufgrund der Großfamilie, in der sie als Älteste immer wieder auch auf die Jüngeren aufpasste. „Ich bekam allerdings Geld fürs Babysitten und habe gern Verantwortung für meine Geschwister übernommen“, erinnert sie sich. Ihr Vater war viel im Theater, auch ihre Mutter arbeitete Vollzeit als Juristin bei der Stadt. „Aber dennoch waren meine Eltern immer präsent und da, wenn wir sie brauchten“, betont sie.
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Mehr sagt sie nicht dazu. Tessa Aust ist auffallend schön und auffallend zurückhaltend, was ihr Privatleben angeht. Sie erzählt nur, dass sie einen Partner und ein kleines Kind hat. Es dauert eine Weile, bis die Managerin auftaut und dann aber auch mal lachend von ihrem Alltag erzählt.
Selbstverständlich sind alle Kinder getauft und konfirmiert
Die Kirche spielte in der Familie insoweit eine Rolle, als dass es selbstverständlich war, dass die Kinder alle getauft und konfirmiert sind, man zu den Feiertagen zu Ostern und Weihnachten in die Kirche ging und der Glaube somit irgendwie zum Leben dazugehörte. Das ist noch immer so für die 39-Jährige. Für sie verkörpert Gott vor allem Hoffnung und Halt. Sie glaubt jedoch nicht, dass „Gott uns lenkt, aber mir gefällt der Gedanke, dass er da ist und über uns wacht“.
Tessa Aust ist Mitglied im Kuratorium der Stiftung St. Michaelis
Tessa Aust findet die Kirche als Institution innerhalb der Gesellschaft wichtig, auch in ihrer Funktion für Kinder, alte Menschen und alle, die Unterstützung brauchen. Hier würden alle so angenommen, wie sie seien: „Unabhängig davon, ob man Mitglied ist oder nicht, können alle die Angebote und die Unterstützung der Kirche in Anspruch nehmen. Das ist ein wertvoller Beitrag in unserer Gesellschaft, den die Kirche leistet. Die St. Pauli-Kirche bietet ein breites Spektrum hier im Stadtteil, von Kinderbetreuung über die Elbdiakonie bis hin zur Rechtsberatung.“ Sie engagiert sich auch im Kuratorium der St. Michaelis Stiftung. „Als ich gefragt wurde, ob ich Kuratoriumsmitglied werden möchte, hat mich das sehr gefreut. Der Michel ist ein Wahrzeichen der Stadt, und hier bin ich gern beratend dabei.“
Nächstenliebe steht bei ihr ganz vorn als christlicher Wert
Fürsorge und Nächstenliebe sind für sie wesentliche christliche Werte. „Sich umeinander zu kümmern ist seit jeher Teil meiner Lebensphilosophie.“ So war es für sie und ihre Mitgeschäftsführer Hannes Vater – Ehemann ihrer Schwester – und Corny Littmann, Gründer, Gesellschafter und künstlerischer Leiter der Schmidt-Bühnen, immer klar, dass sie in der Corona-Krise für das gesamte Team einstehen werden „wie eine Familie“
Corona-Krise war die schlimmste Zeit ihres Lebens
Die Zeit ab März 2020 bis April 2022 bezeichnet Tessa Aust als die herausforderndste Zeit ihres Lebens mit schlaflosen Nächten und Tagen, an denen sie nicht wusste, ob sie die Gehälter ihrer Angestellten zahlen kann. „Wir haben uns sofort um Kurzarbeiterlöhne gekümmert, aber diese mussten wir immer vorstrecken.“ Genauso versuchte das Theater mit gestreamten Shows die Stimmung seiner „Schmidt-Gemeinde“ hochzuhalten, und intern half eine neu installierte Intranet-Plattform, mit dem gesamten Team in Kontakt zu bleiben.
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Bei Apple für die Digitalisierung von Schulen zuständig
Tessa Aust war zu Beginn der Corona-Krise im März 2020 erst zweieinhalb Jahre Geschäftsführerin im Schmidt. Davor hatte sie Sozialökonomie mit dem Schwerpunkt BWL in Hamburg studiert und dann internationales Management in England und Australien. Als Studentin jobbte sie im Theater- und Restaurantbereich der Schmidt-Tivoli-Welt, aber der Gedanke, dass sie dort einmal einsteigen sollte, kam damals noch nicht auf. „Mein Vater hat immer im Sinne des Unternehmens gedacht und gehandelt, Familienbande standen dabei nicht im Fokus.“ Nach einem Jahr als Markenmanagerin beim Brauereikonzern Carlsberg ging sie nach München zu Apple, um dann ab 2012 in Hamburg im Homeoffice die Digitalisierung des Unterrichts in norddeutschen Schulen mit aufzubauen. Eine Arbeit, die ihr viel Spaß machte.
Ihr Vater bot ihr die Nachfolge an – sie zögerte nur kurz
Doch als ihr Vater Norbert, der inzwischen Präses der Hamburger Handelskammer ist, ihr dann seine Nachfolge anbot, hat sie gründlich, aber nur kurz überlegt. Eifersucht zwischen den Geschwistern habe es nicht gegeben, versichert Tessa Aust. „Keins meiner Geschwister hat einen wirtschaftlichen Hintergrund, und einige sind noch in der Ausbildung.“ So trennen sie und ihre jüngste Schwester 15 Jahre. Mit ihrem Schwager, der schon 18 Monate vor ihr an Bord war, ist dennoch ein enges Familienmitglied im Unternehmen aktiv.
Und die Theater sind schon immer Teil ihres Lebens gewesen. „Für mich verschwimmen die Grenzen zwischen meinem Privat- und Arbeitsleben“, sagt sie. Ist das gut? Für Tessa Aust passt es genauso, „das kommt automatisch, wenn man ein Unternehmen führt, das jeden Tag Programm hat und das vom eigenen Vater gegründet wurde. Das ist für mich selbstverständlich.“ In jedem Fall liebt sie jeden Winkel von St. Pauli – und ganz besonders den etwas verwilderten Garten der gleichnamigen Kirche.