Hamburg. Vincenzo Andronaco kam mit nichts nach Hamburg, besitzt heute elf Großsupermärkte. Sein Glauben gibt ihm Halt. Im neuen Himmel & Elbe.
Lächelnd steht Vincenzo Andronaco auf der Treppe der Pfarrkirche, die mit dem großen Platz davor einen Mittelpunkt seiner Jugendzeit in dem kleinen Dorf Ali auf Sizilien darstellte. „Hier wurde ich getauft, jeden Sonntag gingen wir zur Messe, da haben sich alle schön angezogen. Es war ein Erlebnis. Und in dieser Kirche war ich auch Messdiener. Darauf war ich besonders stolz“, sagt der quirlige Italiener, während er die Bilder betrachtet, die ihn betend am Taufbecken zeigen.
Er hat sich deswegen statt einer Hamburger katholischen Kirche lieber seine Heimatkirche, die Kathedrale Sant’Agata aus dem Jahr 1582, als Fotomotiv ausgesucht. Andronaco zeigt auf ein Bild mit sich und Padre Siracusa, der sich um die Jugendlichen im Dorf kümmerte. „Er hat mit uns Jungs Fußball gespielt, ihm konnte man seine Sorgen und Nöte anvertrauen.“ Viel mehr als einen Fußball zum Spielen hätten sie als Kinder früher nicht gehabt, sagt der Großhändler für italienische Spezialitäten, der inzwischen elf große Andronaco-Supermärkte mit eigenen Bistros in ganz Deutschland unterhält.
Schon mit fünf Jahren arbeitete er auf den Feldern
Er habe eine schöne Kindheit gehabt, sagt Vincenzo Andronaco. Ihm und seinen zwei Geschwistern sei es gut gegangen, auch dadurch, dass die Familie – der Vater arbeitete als Bauarbeiter, die Mutter war Hausfrau – zusätzliches Land mit Zitronen- und Olivenbäumen und Tieren gehabt habe. Doch Kindheit bedeutete für ihn vor allem auch Arbeit. Schon als Fünfjähriger versorgte er morgens die Tiere und ging mit auf die Felder, im Sommer holte er noch vor der Schule die Ernte auf den Jasminfeldern eines anderen Bauern ein, um das Familieneinkommen mit zu unterstützen.
Da war er erst zwölf Jahre alt. „Ich schlief oft in der Schule ein, weil ich schon vier Stunden Erntearbeit und einen ordentlichen Fußmarsch hinter mir hatte“, sagt er, als sei das eine Selbstverständlichkeit. Deswegen war der Sonntag so ein besonderer Tag, denn dann bekamen alle einen halben Tag frei – und gingen zur Kirche, danach in die Bibelstunde.
Andronaco glaubt fest an Gott. „Er hat mich immer begleitet und beschützt“, sagt er. Offenbar auch dann, als der Sizilianer mit 18 Jahren beschloss, heimlich aus seinem Heimatdorf wegzulaufen. Er wollte nach Hamburg, dort wohnte ein Freund. Für Andronaco war es das Tor zur Welt, für Padre Siracusa, mit dem er sich zuvor beraten und der eine Zeitlang in Deutschland gewohnt hatte „eine Stadt der Sünde“. Das hielt den jungen Mann nicht davon ab, sich sein Erspartes und heimlich etwas Geld von der Mutter zu nehmen. Das reichte gerade für eine Zugfahrt. Mit 2,50 D-Mark kam er 1970 in der Hansestadt an.
Das schlechte Gewissen und die „Schmerzen, die ich meinen Eltern bereitet habe“, begleiten ihn sichtlich bis heute, auch wenn die Elten ihm verziehen, später oft besucht haben und er mehrfach im Jahr in sein Heimatdorf fuhr. „Doch ich wollte einfach mehr aus meinem Leben machen“, sagt er und schaut über den großen Parkplatz vor seiner Zentrale in Billbrook, wo nun ein riesiges Warenlager mit italienischen Lebensmittelimporten steht, von welchem aus die anderen Andronaco-Standorte beliefert werden.
Keine Ahnung von Obst, aber den Wunsch nach Selbstständigkeit
Angefangen hat er jedoch als Arbeiter in einer Hamburger Aluminium-Gießerei. „Das fühlte sich an wie im Knast.“ Bis 1983 hat er dann auf einer Baustelle gearbeitet, wurde Vorarbeiter und war auch damit nicht richtig glücklich. Er hatte die Vision von etwas Größerem, und er wollte sein eigener Chef sein. „Ich habe oft zu Gott gebetet, dass er mir die Kraft gibt durchzuhalten“. Dann der spontane Entschluss, den sicheren Job aufzugeben und sich selbstständig zu machen: mit einem kleinen Obststand am Bahnhof Barmbek. „Ich hatte keine Ahnung von Obst, aber viel Mut und Gottesglauben, dass ich es schaffe, selbstständig zu sein.“
Von dort aus ging es zum Hamburger Großmarkt, wo er sich darauf spezialisierte, italienisches Gemüse wie Auberginen, Zucchini und Mangold, Weine und andere Lebensmittel aus seinem Heimatland an die Restaurants seiner Landsleute zu verkaufen. „Ich hatte schnell den Ruf, dass ich alles aus Italien besorgen kann“, sagt er verschmitzt. Aus einem kleinen Stand wurde eine ganze Andronaco-Zeile auf dem Großmarkt, bis er nach 15 Jahren 2000 nach Billbrook zog, um dort selbst einen Lebensmittelgroßmarkt aufzumachen – quasi im Nirgendwo, zwischen Industriegebäuden. Seine Idee war, dass nicht nur Großhändler, sondern auch Privatleute bei ihm einkaufen sollten. Deswegen brauchte er einen großen Parkplatz vor dem Geschäft. „Bis 2002 war es ein Tal der Trauer, doch aufgeben war keine Option.“
Bei Andronaco riecht es nach Italien
Und die Kunden fanden erst zu seinem Großsupermarkt, als er zusätzlich ein Bistro aufmachte und die Mitarbeiter aus den umliegenden Unternehmen gleichzeitig auch sein Konzept schätzen lernten. Er wurde vor allem durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt. „Bei Andronaco gibt es nicht nur die Produkte, sondern wir leben hier auch die italienische Kultur, hier riecht es nach Italien, sehr viele Angestellte kommen von dort. Es ist ein Stück Italien in Norddeutschland“, sagt er.
Viele kleinere Familienbetriebe in Italien arbeiten für ihn, und auch seine eigene Familie hat er mit in die Firma geholt. So arbeiten heute neben seinem Sohn Florian, der in seine Fußstapfen treten möchte, auch seine Tochter, eine Nichte und zwei Neffen und drei Enkelkinder im Familienunternehmen. Alle wichtigen Entscheidungen gehen nach wie vor über seinen Schreibtisch. Inzwischen hält Vincenzo Andronaco, der selber nur acht Jahre zur Schule gehen durfte, Vorlesungen vor Studenten in Rom, und ein italienischer Wirtschaftsverbund hat ihm den Titel „Cavaliere“ verliehen. Sein Lebensmotto: „Wer stehen bleibt, hat schon verloren.“
- Mit Freude an die Arbeit und in den Alltag
- Ironie, Witz und Humor bereichern den Glauben
- Vergebung, wie Eltern mit dem gewaltsamen Tod ihrer Tochter umgehen
Vincenzo Andronacos Begeisterung und Lebendigkeit wirken ansteckend. Hier sitzt jemand, der ganz klein angefangen und nie die Bodenerdung verloren hat. Und für den unermüdliches Arbeiten noch immer sein Leben ist. Noch jetzt ist er jeden Morgen um 6 Uhr im Betrieb. Was er bereut? „Dass ich nicht mehr Zeit für meine Kinder hatte.“
Die nimmt er sich jetzt für seine fünf Enkel und die beiden Urenkel. Er hat ein großes Haus gebaut, wenn sie da sind, kocht er für die ganze Familie. Meistens sonntags, und dann gehen sie auch gerne mal gemeinsam in die Kirche. Dort, wo eines seiner Kinder und die Enkelkinder getauft wurden, zur Missione Cattolica Italiana in der Bürgerweide 31. „Das Geschäft ist wichtig, aber die Kirche gehört einfach auch zu meinem Leben dazu.“
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