Lauenburg. Drei Frauen gründeten in Lauenburg ein Begegnungszentrum. Inzwischen ist es eine preisgekrönte Institution für Frauen aus aller Welt

Eine kleine Treppe führt hinauf zu dem Backsteinbau in der Mitte Lauenburgs, in dessen Erdgeschoss die Räume von SML individuell liegen. In der Küche gleich hinter dem Eingang haben sich fünf Frauen zu einem Deutschkursus zusammengefunden, während nebenan ein Beratungsgespräch mit zwei Ukrainern stattfindet. Der Raum beherbergt eine Tischgruppe und verschiedene Spielecken für Kinder, dahinter schließen ein Tobezimmer mit dicken Schaumstoffklötzen und ein kleinerer Raum mit Schultafel an. Jeder Quadratmeter macht hier Sinn, denn nicht selten sind bis zu 70 kleine und große Besucher vor Ort. Im Juli ist das Projekt mit dem Preis „Wir für die Zukunft“ ausgezeichnet worden, den die Bergedorfer Zeitung gemeinsam mit der Volksbank Bergedorf und dem Verein Hamburger Abendblatt hilft ausgeschrieben hatte.

Das Hauptziel der SML-Leiterinnen Sylwia Emilia Sobotko und Marzena Podolski ist es, Menschen aus verschiedensten Herkunftsländern Deutsch beizubringen. SML steht für die Anfangsbuchstaben der drei Gründerinnen Sylwia, Marzena und Leyla des Geflüchteten Begegnungszentrums. Ein Großteil der Teilnehmer kommt aus der Ukraine und der Türkei, eine kleinere Anzahl Besucher stammt aus Afghanistan, Albanien und anderen Ländern. Doch das Projekt ist weit mehr als ein Ort für Deutschkurse. Es ist eine interkulturelle Begegnungsstätte für Geflüchtete und Zugewanderte und für viele ein zweites Zuhause.

SML individuell: Lauenburgs superinternationaler Treffpunkt gewinnt Zukunftspreis

Dabei war das Angebot zunächst nur als spontane Hilfsaktion der Lauenburgerinnen gedacht, die zu Beginn des Ukraine-Krieges einen privaten Spendenaufruf starteten. Nachdem die Terrasse von Familie Podolski vor gespendeter Kleidung und Waren nahezu platzte und zu allen Tageszeiten hilfsbedürftige Ukrainer vor der Tür standen, organisierte der Lauenburger Bürgermeister einen leer stehenden Supermarkt für die weitere Spendensammlung und -ausgabe. Ende 2023 nahm der Bedarf an Sachspenden zwar schließlich ab, aber der Bedarf der Menschen an Beratung und Begleitung blieb.

So wurde SML individuell geboren, eine Begegnungsstätte, die, wie im Projektnamen angedeutet, für alle Menschen, ob small, middle oder large, und ihre Bedarfe da sein will. Sobotko und Podolski, die eine selbst als junge Frau, die andere als Kind nach Deutschland gekommen, kennen die Herausforderungen, die sich Einwanderern stellen, aus eigener Erfahrung. In einer spektakulären Gemeinschaftsaktion mit vielen Helfern, darunter zahlreiche Ukrainerinnen, sanierten sie deswegen die Räume eines ehemaligen Awo-Sozialkaufhauses und statteten sie mit gespendeten Möbeln aus. Die Stadt Lauenburg übernahm die Kosten für eine Küche und ein Teil der Renovierungsmaterialien. Die Diakonie stellte die beiden Initiatorinnen als Teilzeitkräfte an.  

SML individuell: Vom Deutschkursus bis zum interkulturellen Brunch

Seit Anfang 2023 läuft das Projekt nun mit einer Vielzahl von wöchentlichen Angeboten. Neben dem normalen Deutschkursus gibt es einen Analphabeten-Kursus. Auch wenn die Teilnehmerinnen hier kein Zertifikat erlangen können, haben sich beide Kurse als sehr effektiv für sie erwiesen, weil Marzena Podolski Alltagstätigkeiten wie gemeinsames Kochen, Backen oder Basteln zum Ausgangspunkt nimmt. So ist auch Tamara (69) aus der Ukraine dankbar für ihre Erfolge und sagt: „Ich bin nach Deutschland gekommen, um meine Tochter mit ihren zwei kleinen Kindern nicht in einem fremden Land alleinzulassen. Leider habe ich das B1-Niveau im Integrationskurs nicht geschafft. Zum Glück kann ich bei SML individuell Deutsch üben. Und neue Menschen kennenlernen.“

Kinder kommen nach der Schule zum Spielen und Lernen zu SML individuell. 
Kinder kommen nach der Schule zum Spielen und Lernen zu SML individuell.  © Liv Sachisthal | Liv Sachisthal

Dreimal wöchentlich findet eine Behördenberatung statt, um Geflüchtete bei der Schulanmeldung ihrer Kinder oder bei Formalitäten fürs Jobcenter zu unterstützen. Ehrenamtliche Helfer, die sowohl Russisch als auch Ukrainisch sprechen, begleiten die Menschen zu Ämtern oder Ärzten. Manchmal sind es aber auch ganz praktische Dinge wie der Ausfall einer Heizung in der eigenen Wohnung, bei denen das Projekt-Netzwerk hilft. Daneben spielt die psychosoziale Begleitung für die Ratsuchenden, die ihre Heimat hinter sich lassen mussten, eine große Rolle.

Zu den Handarbeitskursen kommen überwiegend türkische und ukrainische Frauen, die sich gegenseitig Nähen beibringen oder gemeinsam stricken und häkeln.  Zum interkulturellen Bruch donnerstags bringen alle Teilnehmerinnen etwas mit, die Bäckerei Lührs aus dem Ort spendet regelmäßig Kuchen und Brot. Bis zu 20 Frauen aus verschiedenen Kulturen sitzen dann am Tisch, essen gemeinsam und tauschen sich aus.

SML individuell: Interkulturelles Miteinander – Integration von Anfang an

Das interkulturelle Miteinander gelingt bei SML individuell, weil die Projektleiterinnen, beide studierte Pädagoginnen, ihre Prämissen liebevoll, aber konsequent umsetzen. „Wir stellen von Anfang an klar, dass hier alle gleich sind. Wir feiern das Zuckerfest genauso wie Ostern, und wer damit nicht einverstanden ist, kann am Projekt nicht teilnehmen“, sagt Emilia Sobotko. „Natürlich wird im Projekt auch darüber gesprochen, dass die Lage in der Ukraine schlimm ist“, ergänzt Marzena Podolski, „aber es gibt keine Schuldzuweisungen hier.“ So unterstützen sich im Projekt auch Ukrainerinnen und Russinnen gegenseitig, beaufsichtigen zum Beispiel die Kinder der anderen bei Ausflügen, wenn eine Mutter aus beruflichen Gründen nicht dabei sein kann.

Die Projektsprache ist Deutsch. Immer wieder erinnern Sobotko und Podolski große und kleine Teilnehmer daran. Wer sich nicht daran hält, muss einen kleinen Betrag in die allgemeine Kaffeekasse werfen, Kinder spenden einen Kaugummi.

Ankommen lernen: schulische und soziale Unterstützung für Kinder bei SML indivuduell

Auch für die Kinder ist SML individuell ein zweites Zuhause geworden. Ab 11.40 Uhr kommen die Ersten von der Schule und erledigen ihre Hausaufgaben im Projekt. Heute sind es drei Grundschüler. „Zum Glück haben wir nur wenig auf!“, ruft ein Junge in den Raum. „Es ist nur eine Seite.“  Zusammen mit zwei anderen Jungen setzt er sich erst mal an einen Tisch, sie spielen gemeinsam. In der Schule besuchen sie zwar „Deutsch als Zweitsprache“, die Nachmittagsbetreuung jedoch nicht, denn diese ist kostenpflichtig. Die Hausaufgabenhilfe bei SML an vier Tagen pro Woche, bei der Podolski und Sobotko mit den Kindern auch noch mal fehlende Deutschkenntnisse aufholen, kostet für die Familien nichts genauso wie die regelmäßigen Bastel- und Koch- und Experimentierangebote, die Fahrradwerkstatt oder gemeinsame Ausflüge.

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Das Projekt erfährt in Lauenburg großen Rückhalt und hat die Menschen näher zusammengebracht. Nachbarn fragen Sobotko und Podolski auf der Straße nach ihrem Befinden oder was gebraucht wird. Teilnehmerinnen halten „Schwätzchen“, wenn sie sich außerhalb des Projekts treffen. Die Räumlichkeiten werden sogar mietfrei von der Lauenburger Familie Göpfert zur Verfügung gestellt, die Betriebskosten von der Stadt übernommen. Für die Finanzierung der Teilzeitstellen konnte die Diakonie Landesprojektgelder einwerben, die jedoch nur bis Ende dieses Jahres reichen.

SML individuell: Lauenburg zeigt Zusammenhalt

„Die ständige Unsicherheit ist für uns sehr belastend“, sagt Podolski. „Wir können noch keine Konzepte schreiben für 2025. Das ist für uns und unsere eigenen Familien unsicher. Wir machen uns aber auch Gedanken um die Menschen, die hierherkommen.“ Ihre Ängste haben Teilnehmerinnen durchaus schon zum Ausdruck gebracht. Eine Besucherin schlug vor, eine Unterschriftenaktion zu machen, eine andere sagte: „Wir ketten uns dann vorm Bürgeramt an.“ Auch wenn die Idee halb im Spaß geäußert wurde, sie zeigt, dass keiner mehr hier sein zweites Zuhause verlieren will.