Hamburg. Bischöfin Kirsten Fehrs und Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg plädieren für mehr Zusammenhalt. Vielfalt: Schwerpunkt in Himmel & Elbe
Die sieben Bezirksämter der Stadt Hamburg haben dieses Frühjahr gemeinsam mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften sowie anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen die Kampagne „Vielfalt macht uns stärker“ ins Leben gerufen. Es geht dabei um ein deutliches Bekenntnis für Diversität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Hamburg. Führend mit dabei sind Bischöfin Kirsten Fehrs und Stefanie von Berg, Bezirksamtsleiterin Altona. Ein Gespräch über Chancen von Vielfalt, Zusammenhalt und die Gefahr von rechts. Laden Sie sich hier die aktuelle Ausgabe des Magazins Himmel & Elbe herunter.
Wie sollte man mit Menschen umgehen, die in der Innenstadt für ein Kalifat auf die Straße gehen?
Kirsten Fehrs: Dazu haben wir uns als Religionen klar positioniert. Diese Aufmärsche verfolgen einzig das Ziel, Hass zu säen und die Gesellschaft zu spalten. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Religionsgemeinschaften erreichen wollen. Als Interreligiöses Forum haben wir klar formuliert, dass wir für ein gutes Miteinander hier in Hamburg eintreten und eine Herabsetzung von Menschen anderen Glaubens nicht mit unserer Grundüberzeugung übereingeht. Das sind verfassungsfeindliche Ideologien, die man klar abgrenzen muss vom religiösen Glauben.
Stefanie von Berg: Es ist wichtig, dem etwas entgegenzusetzen. Das Gute ist, dass sich die lange Arbeit mit den Religionsgemeinschaften, gerade auch mit den muslimischen Religionsgemeinschaften, auch den Aleviten, jetzt auszahlt. Und ich glaube, dass es viel wirksamer ist, wenn diese Impulse auch aus den muslimischen Gemeinden kommen. Meine Wahrnehmung ist, die kommen jetzt richtig aus dem Knick.
Warum war es für Sie notwendig, die Kampagne „Vielfalt macht uns stärker“ zu starten?
Stefanie von Berg: Das Bedürfnis, etwas zu tun, entstand vor eineinhalb Jahren bei einem Jahrestreffen von Pröpstinnen, Pröpsten und Bischöfin Fehrs sowie uns sieben Bezirksamtsleitungen. Wir haben festgestellt, dass es ein Auseinanderdriften der Gesellschaft im Sinne von Diskriminierung, von Abwertung, von zunehmenden Egoismen und auch Sozialneid gibt. Wir haben gesagt, wir müssen gemeinsam, also Kirche und Bezirke, die wir oft an der Basis und mit Menschen tagtäglich zu tun haben, aktiv werden.
Kirsten Fehrs: Es waren menschenverachtende Töne, die uns zu der Beobachtung gebracht haben, dass eine Gesellschaft der „Ichlinge“ entstanden ist. In solch einer Gesellschaft wird die eigene Freiheit als oberster Maßstab gesetzt, die Freiheit der anderen ist plötzlich irrelevant. Als Leiterinnen und Leiter von Institutionen, die sich für das Recht der Schwächeren einsetzen, hatten wir den Punkt erreicht zu sagen: Wir müssen aktiv werden! Wir wollten eine Kampagne, die deutlich macht, dass wir in unserer Gesellschaft mehr Zusammenhalt brauchen.
Was bedeutet Vielfalt für Sie?
Kirsten Fehrs: Vielfalt bedeutet die Akzeptanz und das Miteinander verschiedener Kulturen, verschiedener Religionen, verschiedener Nationen – mit einer großen inneren Offenheit und der Neugier, die jeweiligen Unterschiede kennenzulernen und sich mit ihnen zu befreunden.
Stefanie von Berg: Ich möchte unterstreichen, dass es bei aller Unterschiedlichkeit auch Gemeinsamkeiten gibt in dieser Vielfalt. Das wird immer vergessen, und ganz wichtig, es drückt sich auch in Akzeptanz und Toleranz aus. Dass alle gleich viel wert sind, das ist für mich auch ein Teil von Vielfalt.
Kirsten Fehrs: Ich finde es sensationell, wie bereits die Gründungsväter und -mütter unseres Grundgesetzes die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Gleichberechtigung aller Menschen in den 19 Grundrechtsartikeln auf den Punkt gebracht haben.
Wo kommt Vielfalt an seine Grenze?
Stefanie von Berg: Es gibt keine Grenzen für Vielfalt. Vielfalt kommt dann nicht an seine Grenze, wenn Konsens besteht, dass alle gleich viel wert sind. Dann sind superdiverse Gesellschaften sogar erfolgreicher.
Kirsten Fehrs: Freiheit funktioniert nicht ohne Nächstenliebe, wenn ich das mal auf den religiösen Punkt bringen darf.
Wie sollte man mit Menschen umgehen, die diese Vielfalt ablehnen?
Kirsten Fehrs: Zunächst ist es wichtig, ins Gespräch zu gehen. Bürgerdialoge und ähnliche Formate sind und bleiben eine wichtige Option. Das ist bei den vielen verbalen Radikalismen, die wir im Moment erleben, allerdings nicht einfach und kommt, in einer so aufgerauten Welt, an Grenzen. Das andere ist, auch zu signalisieren: Wir sind mehr. Es ist die Mehrheit, die der Demokratie und der Vielfalt zugewandt ist. Es ist für die Gesellschaft wichtig zu merken, dass diejenigen, die am lautesten schreien, eben nicht die Mehrheit bilden.
Stefanie von Berg: Man muss diesen Menschen, die gegen die Gleichwertigkeit der Menschen sind, ganz klar signalisieren, dass sie sich außerhalb des Grundgesetzes bewegen. Nichtsdestotrotz ist es die Schwierigkeit, denen die rote Karte zu zeigen und gleichzeitig mit ihnen ins Gespräch zu gehen. Meiner Erfahrung nach können das nur Vieraugengespräche sein. Sobald das größere Gruppen sind, ist man auf verlorenem Posten. Wichtig ist es, auch immer wieder Gelegenheit zu bieten zur Begegnung, insbesondere auch mit Menschen aus anderen Kulturen oder einer anderen sexuellen Orientierung und immer wieder zu zeigen, dass am Ende alles Menschen sind. Wir alle wissen, dass es schwierig ist, erst mal die Formate zu finden, die zu erreichen, damit sie überhaupt kommen.
Welche Gruppe meinen Sie damit konkret?
Stefanie von Berg: Am Ende des Tages sind das zum Beispiel Teile der AfD-Wähler und AfD-Wählerinnen und die gibt es quer durch unsere Gesellschaft. Und wo man es auch merkt, ist da, wo beispielsweise gezielte Desinformation Russlands auf fruchtbaren Boden trifft.
Wo in Hamburg bemerken Sie das Auseinanderdriften der Gesellschaft besonders stark?
Stefanie von Berg: In Altona sind wir noch auf der Insel der Glückseligen, da wir hier aufgrund unserer Geschichte das Thema Vielfalt pflegen, sowohl durch interreligiöse Dialoge als auch durch die Wochen der Vielfalt, und sehr aktive Initiativen vor Ort haben. Das zahlt sich aus. Aber es gibt andere Gebiete in unserer Stadt, da tickt die Welt leider anders.
Kirsten Fehrs: Es gibt schon die Stadtteile, in denen viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen und sich teilweise Parallelgesellschaften bilden. Dort, wo es schwierig ist, in Sprache und Kultur aneinander anzudocken, da wird es auch relativ schwer, überhaupt einen Kontakt herzustellen. Auch das war ein Grund, unser ursprüngliches Bündnis von „Vielfalt macht uns stärker“ zu erweitern und zu einer Demonstration aufzurufen, um die Möglichkeit zu schaffen, sich deutlich zu positionieren. Nicht umsonst sind am 19. Januar in Hamburg 180.000 Menschen auf die Straße gegangen. Da hatten wir nun wirklich ein breites Bündnis unterschiedlicher Kulturen, Religionen, von der Wirtschaft bis zur Politik alle dabei. Viele fürchten um unsere Demokratie und möchten dies auch zum Ausdruck bringen!
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Ist die Kirche von heute vielfältig genug?
Kirsten Fehrs: Unsere Kirche ist im Umbruch. Doch nach wie vor engagieren sich ältere wie jüngere Menschen in der Kirche. Die Jüngeren sind beispielsweise sehr aktiv, wenn es darum geht, Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung zu übernehmen. Was aber sicherlich eine Frage ist, inwieweit sich auch Menschen mit Migrationsgeschichte in der Kirche wiederfinden können. So feiern zum Beispiel internationale Gemeinden Gottesdienste in unseren Kirchen, die aber in unseren Leitungsgremien wenig präsent sind. Da ist noch deutlich Luft nach oben.
Wo arbeiten die Religionen in Hamburg besonders eng zusammen?
Kirsten Fehrs: Die Ökumene hier in der Stadt, also nicht nur evangelisch und katholisch, besteht aus Dutzenden von Konfessionen, hinzu kommen andere Religionsgemeinschaften. Besonders im Interreligiösen Forum Hamburg besteht ein ganz intensiver Austausch. Gerade jetzt, wo die internationalen Konflikte sich zuspitzen, ist es ganz wichtig, als Religionsgemeinschaften zusammenzustehen. Auch in dem Wissen, dass wir innerhalb der Stadt für den Frieden zwischen den Religionen sorgen müssen.