Hamburg. Was beflügelt Menschen und macht sie glücklich? Ein Plädoyer für mehr Lust am Leben. Schwerpunkt im neuen Magazin Himmel & Elbe.
Was uns leicht fällt: Beim Kaffee oder in der Eckkneipe erzählen, welche Probleme wir so mit uns herumtragen. Das Drama der Welt und die Wohlstandsprobleme der eigenen kleinen Existenz wälzen. Klimakatastrophe, Gewaltfantasien allerorts beklagen und den einen Kollegen, der scheinbar in einer anderen Dimension lebt.
Darüber stöhnen, dass es nicht einfach ist, zu entscheiden, an welchem Feiertag, welcher Teil der Familie an welchem Tisch Platz nimmt und ob es noch vertretbar ist, Fleisch zu servieren. Die Liste ist lang.
Magazin Himmel & Elbe: Mit Freude an die Arbeit und in den Alltag
Was uns dagegen schwerer über die Lippen geht: Dass uns etwas in den letzten Tagen unbändige Freude gemacht hat. Glück ist verdächtig. Den Genuss scheint eine eigentümliche Kommunikations-Barriere zu umgeben. Auf diese Weise werden alle Vergnügen zu unerlaubten Freuden. Und, noch schwerer ist die Antwort auf die Frage: Worauf hast du Lust? Als müsste sich darin das Innerste entblößen. Da gibt es übrigens noch etwas in mir, das Wünsche hat. Irgendetwas hindert uns einzugestehen: Da ist etwas, das habe ich lange nicht mehr oder noch nie gemacht, ich glaube, das könnte mich entzücken.
Lust ist immer noch keine Kategorie
Es ist leichter über die Abgründe des Handelns und Denkens zu philosophieren als das Lustvolle mitzuteilen. Das ist nicht unsere Schuld. Lust ist immer noch keine Kategorie. Weder im Beruf noch im Alltag. Dabei würde sich alles verwandeln, wenn das, was wir so machen, irgendetwas mit Hingabe zu tun hätte.
Einmal habe ich eine Kollegin, die wenige Jahre vor dem Ruhestand ihre Arbeitsbereiche ordnete, gefragt: Auf welche der Aufgaben hast du Lust? Sie: schwieg. Dann sagte sie, das habe sie sich noch nie gefragt. Es sei ja immer etwas zu tun gewesen. Das habe sie eben abgearbeitet. Ich fühlte mich merkwürdig ertappt, als hätte ich ihr ein besonders verwegenes Abenteuer vorgeschlagen. Einen Banküberfall mit anschließender Karriere am Roulettetisch statt eben das Nötige zu tun. Die Erfahrung, vor allem die Pflicht zu tun, teilen viele Menschen in den unteschiedlichsten Berufen.
Es scheint nur die Wahl zwischen Pflichterfüllung oder Exzess zu geben
Es scheint nur das eine oder das andere zu geben. Pflichterfüllung oder Exzess. Heldin der Arbeit oder Hedonist. Professionalität oder Promiskuität. Als würde das Wahre und Tiefe immer zwischen Schweiß und Schmerz liegen. Niemals zwischen Glitzer und Leichtsinn.
Der Apfel ist vergiftet und er wird von Generation zu Generation weitergegeben. Aus dem Garten Eden bis hinter die sieben Berge, wo Schneewittchen mit den sieben Zwergen Tisch und Bett teilt.
Das Evangelium als frohe Botschaft
Es ist höchste Zeit, damit aufzuhören.
Als der Apostel Paulus versucht, seine alles verändernde Erfahrung mit Gott zu Papier zu bringen, schreibt er in einem Brief: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht“ (Römerbrief 1,16). Der Himmel macht selig. Menschen werden plötzlich zu Ausgelassenen, Liebenden, Genießenden, Singenden, Träumenden, Feiernden, Lachenden, Tanzenden. Das ist die gute Nachricht. Und es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen. Das Evangelium, die frohe Botschaft, ist eine Interpretation der Paradiesgeschichte. Der Apfel ist nicht giftig. Es ist ein roter, köstlicher Liebesapfel vom Weihnachtsmarkt. Er ist völlig unbedenklich. Du kannst ihn essen. Das Einzige, was er verspricht, ist: Lust am Leben.
Arbeit als etwas Lustvolles betrachten
Lust an der Arbeit zum Beispiel. Und ich meine nicht Kickertische im Bürovorraum, damit man den Wahnsinn ertragen kann und trotzdem mit dem Unternehmen identifiziert bleibt. Lust an der Arbeit könnte aber heißen: Ich erlaube mir auszuhandeln, welche Aufgaben auf meinem Schreibtisch landen und halte dabei nicht hinterm Berg mit dem, was mir Freude bereitet. Ein Maler hat mir einmal erzählt, das, was ihm am meisten Spaß mache, sei das Abkleben der Kanten. Ich konnte es gar nicht glauben. Aber so ist die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch, dass Menschen verschiedene Vorlieben haben und so alle etwas tun, das sie mit Freude erfüllt. Das japanische Konzept des Ikigai legt nahe, dass „das, wofür es sich zu Leben lohnt“ genau in der Schnittmenge besteht, zwischen dem, was gebraucht wird, wofür du bezahlt wirst, was du kannst und eben dem, was du liebst und voller Lust tust. Es macht also geradezu unsere Professionalität aus, dass wir uns dem, was wir gerne tun, mit Hingabe widmen.
Es könnte auch heißen, dass eine Arbeitssitzung (die vielleicht gar nicht mehr Sitzung heißt, sondern einen Namen trägt, bei dem man erwarten kann, dass etwas Lustvolles dabei herauskommt) nicht mit der Vergabe des Protokolls beginnt, sondern die Ergebnisse stattdessen an der Wonderwall festgehalten werden, weil alle daran glauben, dass sie eine Bedeutung haben, weil sie etwas Großes bewegen können.
Geistliche als Expertinnen und Experten für Frohsinn
Wie zeigt sich Kirche, wenn wir ernst nehmen, dass wir Expertinnen und Experten für Frohsinn sind, wenn wir es mit dem Evangelium zu tun haben, und das Lustvolle nicht im Giftschrank in der Abstellkammer aufbewahren?
Wir feiern das Leben. Jeden Sonntag. Es ist eine Party, zu der alle eingeladen sind. Kinder, die selbstvergessen tanzen und Hochaltrige, die sich hinauswagen ins Unbekannte. Freigeister, die einen Boden unter den Füßen suchen und Verkniffene, die sich in eine Atmosphäre der Anerkennung fallen lassen.
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Wir feiern mit der Taufe den Anfang des Lebens, damit du weißt: Du bist willkommen, so wie du bist. Wir feiern das Erwachsenwerden bei der Konfirmation und das Verlieben am Valentistag. Wir feiern das, worauf du stolz bist und das Scheitern. Wir feiern am Ende des Lebens, damit alle hören: Dass du nicht mehr da bist, macht einen Unterschied. Wir feiern das Leben. Wir suchen das Evangelium auf der Straße und hinterlassen Konfetti. Wir erfinden Segensmaschinen und verschenken Seifenblasen. Wir tragen Pink. Wir wissen nicht alles, aber wir vertrauen der Geistkraft. Wir gönnen uns was und einander das Beste. Kirche feiert. Also ich hab Bock.
Was mir in den letzten Tagen unbändige Freude gemacht hat? Kettenkarussell fahren und Lose ziehen. Türchen öffnen und ein Lagerfeuer machen. Jemandem ein Geheimnis verraten und einen ganzen Tag auf dem Sofa verbringen. Ich schäme mich nicht. Ich war selig.
Die Autorin ist Pastorin in der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Bergedorfer Marschen