Hamburg. Unternehmen fehlen Mitarbeiter. Das Projekt „Perspektive Job“ berät Ausländer und bringt sie mit Behörden und Firmen zusammen
Brunel Raherinandrasana aus Madagaskars Hauptstadt Antanarivo wird gleich Kerstin Wintersberg in Altona treffen. Es ist ein Job-Termin, von dem sich der Mann von der ostafrikanischen Insel viel erwartet. Sehr viel.
Er ist neu in Hamburg, hat seine Heimat verlassen, weil er sein Glück in Europa sucht, am besten in Deutschland. Denn Deutsch hat er schon gut gelernt, und man könne hierzulande mit Arbeit etwas erreichen. Sagt man jedenfalls in der Insel-Hauptstadt Antanarivo.
Zuwanderung: Auf nach Europa – aber die Freunde in der Heimat zweifeln
Du bist verrückt, in deinem Alter nach Europa zu gehen, sagten Freunde und Verwandte, als er im Jahr 2022 seine Koffer packte. Damals war er 32 Jahre alt. „Du bist schon älter, kriegst du das denn hin?“
Hat er. „Und wie gut du das geschafft hast“, ist sich das Team von „Perspektive Job“ beim ersten gemeinsamen Treffen in den Räumen der Hamburger Diakonie einig. Der Madagasse hatte die diakonische Beratungsstelle „Perspektive Job“ aufgesucht und mit deren Mitarbeiterin Natalie Dhootun gesprochen, nachdem die Zentrale Anerkennungsberatungsstelle im Hamburger Welcome Center ihm den Tipp gab und er einen festen Job mit seiner vollen Anerkennung als Bürokaufmann wollte.
Perspektive Job hilft Fachkräften mit Migrationsgeschichte bei Jobsuche
Das Projekt „Perspektive Job“ unterstützt seit 2023 Fachkräfte mit Migrationsgeschichte beim (Wieder-)Einstieg in den Beruf. Das Angebot richtet sich an zugewanderte Fachkräfte, die einen in Deutschland anerkannten Berufsabschluss haben oder sich im Anerkennungsverfahren befinden.
„Insbesondere wenn der vorhandene Abschluss nicht mit einem konkreten Berufsprofil verbunden ist, wie etwa bei einem geisteswissenschaftlichen Studium, braucht es bedarfsgerechte, individuelle Beratung und Coaching, damit der Berufseinstieg langfristig gelingen kann“, sagt die fachliche Leiterin der Beratungsstelle, Ninja Foik.
Fachkräftemangel: So bereitet das Coaching auf die Jobsuche vor
Im kultursensiblen Coaching erarbeitet das dreiköpfige Beratungs-Team, unterstützt von einer Verwaltungsmitarbeiterin, gemeinsam mit den Ratsuchenden ein persönliches Kompetenzprofil und stellt einen Aktionsplan zur Erreichung der beruflichen Ziele auf. Bei Bedarf wird dabei auch auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geachtet. Das Projekt hilft den Teilnehmern dabei, eine passende Aus- oder Weiterbildung oder direkte Beschäftigung zu finden und begleitet sie auch während der Probezeit.
Brunel Raherinandrasanas Fall ist beispielgebend für die Arbeit des Diakonie-Projekts. Zwar hat er in seiner Heimat Verwaltung und Buchhaltung studiert; in Deutschland wurde ihm aber nur eine Ausbildung zum Bürokaufmann anerkannt. Bei zahlreichen Zuwanderern liegen gar keine Papiere vor, sie müssen erst besorgt und dann ins Deutsche übersetzt werden. Wenn alles wie vorgeschrieben läuft, steht am Ende dieses Prozesses die Anerkennung des Berufsabschlusses.
Job-Beraterin für Ausländer: „Wir zeigen, wie es geht, in den Job zu kommen“
Brunel Raherinandrasana erhielt von der Diakonie wertvolle Unterstützung bei der Job-Suche. „Wir zeigen, wie es geht, in den Job zu kommen“, sagt Beraterin Kerstin Wintersberg. Das Team berät bei der Erstellung eines Lebenslaufes, dem Motivationsschreiben für die Bewerbung und schaut vor allem ständig auf den regionalen Stellenmarkt, achtet darauf, welches Profil zu welchem Bewerber passt. Dafür brauchen die Beraterinnen ausgezeichnete Branchenkenntnisse. Um die Entscheidung der Jobsuchenden zu erleichtern, werten sie Anforderungsprofile in Stellenanzeigen aus und unterstützen, wo es nötig ist. Am Ende trifft der Klient seine Wahl selbst.
Technikexperten, Kaufleute, Erzieher – diese Fachkräfte werden gesucht
Klar ist dabei: In Deutschland werden Fachkräfte dringend gesucht – auch gut ausgebildete Zuwanderer. Nach Angaben der Hamburger Handelskammer wird sich der Fachkräftemangel in Hamburg bis zum Jahr 2035 weiter verschärfen. Dann dürften auf dem Hamburger Arbeitsmarkt 133.000 Fachkräfte fehlen. Gebraucht werden in den nächsten Jahren Fachkräfte mit technischer und kaufmännischer Ausbildung, während in den Krankenhäusern und Seniorenheimen weiterhin Pflegepersonal fehlt.
Unter der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland gibt es einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) zufolge großes Potenzial für eine höhere Erwerbsbeteiligung. Da die rund 24 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln in Deutschland durchschnittlich jung seien, könnten gerade unter ihnen mehr Arbeitskräfte gewonnen werden.
Um diese Chancen zu nutzen, müsse die Integration von Bürgern mit ausländischen Wurzeln „in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt, den Spracherwerb sowie den Zugang zu frühkindlicher, schulischer und beruflicher Bildung“ aktiv gefördert und nachhaltig gestaltet werden, heißt es in der Studie.
Für den Mann aus Madagaskar war es von Anfang an wichtig, die deutsche Sprache zu lernen – der erste Schritt in eine erfolgreiche Integration. Er sitzt mit dem Beratungs-Team gerade im Büro des Projekts in der Max-Brauer-Allee und erzählt im fließenden Deutsch, wie er es dank der Hilfe der Beraterinnen geschafft hat.
Der Mann aus Madagskar arbeitet jetzt als Verwaltungskraft in Hamburg
Nachdem er einen Aufenthaltstitel und die Anerkennung seiner Abschlüsse erhalten hat, ging er auf Jobsuche und war erfolgreich: Der 34-Jährige arbeitet nun als Verwaltungskraft in der Zentralen Anlaufstelle Anerkennung. Dort ist er erster Ansprechpartner für Fachkräfte, die ihre ausländischen Abschlüsse in Deutschland anerkennen lassen wollen. Brunel Raherinandrasanas hilft dabei und informiert bei allen Fragen rund um den Anerkennungsprozess. Das Angebot der „ZAA“ und von „Perspektive Job“ ist für die Ratsuchenden kostenlos und wird durch das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“ (IQ) sowie durch die Stadt Hamburg finanziert. Projektträger ist das Diakonische Werk Hamburg.
Migranten mit Berufsabschluss als Jurist finden nur schwer einen Job
Seit seinem Bestehen konnte das Projekt „Perspektive Job“ mehr als 100 Menschen je nach Wunsch informieren oder intensiv beraten und 26 Personen erfolgreich in einen Job, eine Ausbildung/Umschulung und eine berufliche Weiterbildung vermitteln. Das sei mitunter ein langer Weg, weiß Ninja Foik. „Da heißt es: auf Anerkennungsbescheide warten, Deutschkurse besuchen, Prüfungen bestehen.“ Die Ratsuchenden kommen aus 46 Ländern, die meisten von ihnen aus der Ukraine, danach folgen Iran und Syrien; sie verfügen über ausländische Berufsabschlüsse im Ingenieurswesen, Grafik/Design, arbeiteten in ihrer Heimat als Lehrer, Juristen, Soziologen, Politikwissenschaftler und im Personalwesen.
Während Quereinsteiger als Erzieher, Kita-Mitarbeiter gut zu vermitteln sind, haben es ausländische Lehrkräfte schwer, in Deutschland als Pädagogen zu arbeiten, sagt das Beraterinnen-Team. „Und bei Juristen ist es fast unmöglich, einen Job in Deutschland zu finden.“ Wichtig sei in jedem Fall, dass die deutsche Sprache gut, am besten sehr gut beherrscht werde.
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Brunel Raherinandrasana spricht Deutsch inzwischen auf dem Niveau B 2. Das bedeutet: Er ist kommunikativ in der Lage, am Alltagsleben ohne größere Probleme teilzunehmen. „Demnächst“, sagt er, „will ich auf das Niveau C 1 kommen.“ Damit hat er die vorletzte Niveaustufe im Kurssystem erreicht.
Der Madagasse fühlt sich in Hamburg inzwischen zu Hause. Er ist hoch motiviert, in seinem Job das Beste zu geben und sich weiterzuqualifizieren.
Der Appell einer Job-Beraterin: „Mehr Bereitschaft zur interkulturellen Öffnung“
„Herr Raherinandrasana ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die Unternehmen mit qualifizierten ausländischen Arbeitskräften hoch motivierte Mitarbeiter bekommen. Sie sollten diese Chance viel stärker nutzen und diesen Menschen eine Job-Perspektive bieten. Wir wünschen uns mehr Bereitschaft zur interkulturellen Öffnung“, sagt Projektleiterin Ninja Foik.