Beweger in Hamburg: Vor 30 Jahren eröffnete Dörte Inselmann das Zentrum in Billstedt, das Kinder und Jugendliche stark macht.

Verantwortung übernehmen, Menschen helfen und streiten für soziale Gerechtigkeit – das sind Werte, die Dörte Inselmann von ihren Eltern, zwei Lehrern, mitbekommen hat und für die sie bis heute steht. Die Intendantin und Vorständin der Stiftung Kultur Palast hat es in 44 Jahren Engagement geschafft, dem sozial eher schwachen Stadtgebiet Billstedt/Horn eine Strahlkraft in Sachen Kultur zu geben, die weit über das Quartier hinausreicht. Aufgewachsen im eher dörflichen Neuengamme, lernte sie Billstedt durch ihren älteren Bruder kennen, der dort, wie sie auch später auf die Wichernschule in Hamburg Horn ging. Schon mit 15 engagierte sich Dörte Inselmann für Kinder und Jugendliche in Billstedt – erst vier Jahre lang in der Gemeinde der Kreuzkirche, seit 1979, da war sie noch Schülerin, zudem im von ihr mitbegründeten „Kultur Palast“. „Damals war der Name ironisch gemeint, wir hatten damals einen 70-Quadratmeter-Raum in einem heruntergekommenen Haus angemietet“, sagt Dörte Inselmann.

13 Jahre haben sie und ihre Mitstreiter für den Kultur Palast gekämpft

Damals habe es in dem 100.000-Einwohner-Stadtgebiet Billstedt/Horn keinerlei Kulturangebote gegeben. „Dieser Stadtteil mit seinen Menschen hat so viel Potenzial. Das hat mich gemeinsam mit anderen Mitstreitern herausgefordert, hier ein Stadtteilkulturzentrum zu errichten. Wir haben 13 Jahre lang dafür gekämpft.“ Sie hat zwei Studiengänge – Sozialpädagogik sowie Kultur- und Bildungsmanagement studiert, gejobbt, aber nie ihr Ziel aus den Augen verloren. 1993, nach langem Ringen mit der Stadt, wurde dem Verein das Hauptgebäude des ehemaligen Wasserwerks am Öjendorfer Weg zur Verfügung gestellt. „Nach dem Umzug 1993 gab es ein halbes Jahr nur Euphorie bei uns“, sagt Inselmann. „Endlich waren wir ein wirklich sichtbares Kulturzentrum.“ Das nun 30. Geburtstag gefeiert hat.

Das historische Gebäude mit ursprünglich 600 Quadratmetern hat sich durch das Engagement der Kulturmanagerin im Laufe der Zeit tatsächlich zu einem richtigen Kulturveranstaltungszentrum entwickelt, in dem es nun auf 3500 Quadratmetern einen großen Theatersaal, eine Musik-Kita, ein Restaurant, ein Tonstudio, viele Probenräume und den Club Bambi galore gibt. Denn seit 2017 existiert ein großer Anbau, für deren Realisierung Inselmann sich zehn Jahre eingesetzt hat. „Nun können wir endlich auch eigene Produktionen einem größeren Publikum zeigen“, sagt Inselmann.

Punker probten neben der Liedertafel Schiffbek

Von Anfang an gab es im Kultur Palast Konzerte, Tanznächte, Vorträge, Kabarett, Kindertheater und viele Kulturgruppen, die sich in dem alten Wasserwerk trafen. Da probten Punker neben der Liedertafel Schiffbek, russische Tanzgruppen neben orientalischen Bauchtänzern – aktuell treffen sich dort 40 Gruppen. Doch Dörte Inselmann wollte noch mehr in den Stadtteil hineinwirken: Im Jahr 2000 initiierte sie das Stadtfestival BilleVue, das inzwischen zweitgrößte Stadtteil- und Kulturfestival in Hamburg. Vier Jahre später gründete Inselmannn den Musikclub Bambi galore im ehemaligen Wasserbunker des Wasserwerks, der heute zu den beliebtesten Musikclubs Deutschlands im Heavy Metal Bereich gehört und zu dem Besucher aus Billstedt und ganz Hamburg kommen. „Wir kommen in Norddeutschland gleich nach Wacken“, sagt Inselmann sichtbar stolz.

„Was uns jedoch in der Anfangszeit fehlte, war die junge Generation. Wir haben viel ausprobiert, doch zu Theater und sehr sprachlastigen Angeboten kam kaum jemand“, sagt Inselmann. Deswegen initiierte und konzeptionierte Inselmann 2007 die hamburgweiten Projekte HipHop Academy Hamburg und Klangstrolche, die mittlerweile 3500 Kinder und Jugendliche jeglicher Herkunft fördern. Die Arbeit in Billstedt lehrte sie, dass Markennamen wie „HipHop Academy“ und „Klangstrolche“ wichtig sind, um sichtbar und wiedererkennbar zu sein. „Wir müssen da sein, wo die Familien leben. Doch auf die Idee sie in die musikalische Frühförderung zu schicken, kämen viele nicht“, sagt Inselmann.

Szene aus einer Gala der HipHop Acadamy. Die große Gala findet immer am Ende des Jahres statt.
Szene aus einer Gala der HipHop Acadamy. Die große Gala findet immer am Ende des Jahres statt. © Tanja Hall | TANJA HALL

Die Angebote sind überwiegend kostenfrei für die Teilnehmenden. Die musikalische Früherziehung der „Klangstrolche“ gibt es in 33 Kitas und Elternschulen. Auch Hip-Hop-Kurse werden an 43 Standorten, überwiegend Schulen, in ganz Hamburg angeboten. Dort können sich Kinder von sechs bis zwölf Jahren im Level 0 und Jugendliche ab 13 Jahren im Level eins ausprobieren. Talente können dann in den höheren Levels weitermachen am Standort in Billstedt – wo sie sich in einer Masterclass bis zu professionellen Hip-Hop-Künstlern ausbilden lassen können. „Ich finde es so wichtig, der jungen Generation Möglichkeiten und den Raum zu geben, dass sie sich entwickeln können“, sagt die 63-Jährige.

Wenn die Kinder und Jugendlichen die Bühne betreten, strotzen sie vor Selbstbewusstsein

An der mehrfach preisgekrönten Academy werden sechs Hip-Hop-Disziplinen gelehrt: Breaking, New Style, Rap, Gesang und Graffiti. Es gibt inzwischen etliche Talente, die als Jugendliche angefangen haben, nun professionelle Tänzer, Choreografen, Musiker und Dozenten sind und damit ihren Lebensunterhalt verdienen können. „Wir haben Jugendliche, die aus ganz schwierigen Verhältnissen kommen und hier richtig aufblühen. Wenn die auf der Bühne stehen, strotzen sie vor Selbstbewusstsein. Ich bin vom Hip-Hop begeistert, weil die Kinder und Jugendlichen sofort mitmachen, sich in der Hip-Hop-Gemeinschaft gegenseitig unterstützen, ,battlen‘ und sich kreativ entfalten können. Es ist egal, wo du herkommst. Gewalt und Respekt sind die Grundgesetze dieser Kunst- und Kulturform.“, erklärt Inselmann. Ensembles aus der HipHop Academy sind schon in Kopenhagen, New York und bei der Expo in Shanghai aufgetreten. 2010 besuchte sogar Angela Merkel während einer Hamburg-Visite zum Thema Integration die HipHop Academy. „Wir haben heute gesehen, wie gut kulturelle Vielfalt im Bereich des Hip-Hop funktionieren kann“, sagte die Kanzlerin damals.

Mehr zum Thema

Um den Kindern und ihren Eltern aus dem Stadtteil jedoch auch klassische Musik näherzubringen, startete Inselmann vor zehn Jahren dann zusammen mit einem Professor der Hochschule für Musik das Format Billstedt Classics. Den Anfang machte ein vom Unternehmer Karl-Otto Wulff gestifteter Flügel. Ziel ist es, ein offenes Orchester aufzubauen, an dem sich alle Billstedter und speziell Kinder beteiligen und musizieren können. Regelmäßig stattfindende Konzerte für Kinder in den ersten sechs Lebensjahren soll den Kleinen frühzeitig „Nahrung für die Ohren“ bieten.

Seit 2022 gibt es einen weiteren Kultur Palast in Harburg

Und als wäre das alles noch nicht genug, gibt es jetzt noch einen weiteren Kultur Palast in Harburg, der seit 2022 in Betrieb ist und im ehemaligen Rieckhof neben Konzerten vor allem Kinder- und Jugendprogramme anbietet. „Was den Stadtteil angeht, haben Billstedt und Harburg sehr ähnliche Bevölkerungsstrukturen“, sagt Dörte Inselmann, „sodass vieles, was dort erfolgreich war, hier auch gut funktionieren müsste.“

Rund 30 Prozent öffentliche Förderung gibt es für die Einrichtungen aus der Stadt, den Rest müssen die beiden Kultur Paläste selber erwirtschaften, unterstützt durch Spenden und Stiftungen, aber auch durch Eintrittsgelder und Vermietungen von Räumen und Know-how – etwa das Moderieren von Shows und Ausrichten von Festivals. . Auch der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“ unterstützt die HipHop Academy mit Spenden. „Ich bin schon sehr stolz darauf, was wir erreicht haben. Als wir anfingen vor 30 Jahren mit dem Kulturzentrum, schienen wir die Loser zu sein, es gab nur wenig Resonanz im Stadtteil“, sagt Inselmann, die vergangenes Jahr mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet wurde. Inzwischen kommen rund 270.00 Besucher pro Jahr zu Veranstaltungen des Kultur Palasts.